Küste
Eine Seefahrt ist nicht mehr lustig – Verschärfung der Lebenslage der Seeleute ruft nach offensiver Lösung
Wenn im Allgemeinen über Seefahrt und Seeleute berichtet wird, dominiert ein romantisiertes Bild der Seeleute, die um die weite Welt in aller Herren Länder fahren und viel kennen lernen. Wer mit diesem Bild im Kopf Seemann werden will, der wird schnell eines Besseren belehrt.
Wenn er an Bord eines Kreuzfahrtschiffes ist, soll sich die Mannschaft am Besten nach Dienstschluss in Luft auflösen. So wurde erst auf den neuen Kreuzfahrtschiffen durchgesetzt, dass sich die Kabinen der Mannschaften ebenfalls über der Wasserlinie befinden. Auf den meisten Frachtschiffen (meist Containerfrachter) haben die Seeleute zwar genügend Platz und geräumige Kabinen, aber sie sehen oft tagelang kaum ihre Kollegen.
Seeleute saßen 17 Monate auf ihren Schiffen fest!
Eine Standardbesatzung hat dort sieben Offiziere und neun Mannschaften (16 Personen) – verteilt auf ein Schiff mit Abmessungen der inzwischen größten Schiffe von 350 bis 400 m Länge und 50 bis 60 m Breite. Von 2020 bis Anfang 2022 führten die Quarantänebestimmungen wegen Corona dazu, dass von den 1,2 Mio. (andere Quellen sprechen von 1,3 bis 1,8 Mio.) Seeleuten weltweit, von denen rund 200.000 pro Monat ausgetauscht werden, Anfang 2021 rund 400.000 seit ca. 17 Monaten auf Schiffen festsaßen bzw. ihre Heuer nicht antreten konnten. Das Schicksal der Seeleute aus Kiribati in Hamburg war nur die Spitze des Eisberg. Somit hat eine große Zahl der Seeleute in den letzten Jahren enorme Geldeinbußen gehabt. Viele von ihnen auf den Frachtschiffen sind Philippinos, von deren Einkommen ganze Familie wenn nicht sogar Dörfer leben.
Reedereien machen enorme Gewinne
Während die namhaften Reedereien wie Maersk, aber auch Hapag-Lloyd (2022 erwarteter Gewinn vor Zinsen und Steuern: 16,3 bis 18,3 Milliarden Euro) enorme Gewinne machen, kommt bei den Seeleuten kaum etwas an. Relativ gut verdienen nur noch die Seeleute aus Deutschland oder Osteuropa (aber das sind in der überwiegende Mehrheit Offiziere). Für die philippinischen Seeleute (40 bis 50 Prozent in der Frachtschifffahrt) ist eine Heuer von 1.000 US-Dollar / Monat für einen Leichtmatrosen oder 1.600 US-Dollar / Monat für einen Vollmatrosen schon hoch, wenn sie den ITF-Mindesttarif bekommen. Dafür arbeiten sie oft 310 Stunden pro Monat (fast das Doppelte eines Normalarbeitsmonats). Was ein ITF-Inspektor bitter kommentierte: „Moderne Sklaverei ist das schon!“.
Missstände waren noch nie so schlimm
Die ITF¹ hat mit ihrer deutschen Mitgliedsgewerkschaft vom 5. bis 9. September eine „Baltic Action Week“ (in den Seehäfen Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Brake, Rostock, Wismar und Lübeck) gegen Billigflaggenschiffe und zur allgemeinen Kontrolle der Einhaltung der Tarifbedingungen ausgerufen. Zur Durchführung ihrer Arbeit stützt sie sich auf weltweit 150 Inspektoren von denen fünf in Deutschland für alle Nord- und Ostseehäfen zuständig sind. Sie führten auf rund 60 Schiffen Kontrollen durch, bei denen über 100 Verstöße und Missstände aufgedeckt wurden: „Die von uns aufgedeckten Missstände waren noch nie so schlimm, wie in diesem Jahr; ganz offensichtlich wurden die Interessen der Seeleute in den mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie vielfach vernachlässigt“, sagte Susana Pereira-Ventura aus dem ver.di-Bereich Internationale Maritime Wirtschaft. „Wir haben zahlreiche Hinweise auf doppelte Buchführung über Löhne und Überstunden, nicht ausbezahlte Löhne, verweigerte Landgänge, schlechte Verpflegung und Unterkunft und weitere Verstöße gegen das Seearbeitsübereinkommen erhalten. Auf einem Schiff liefen sogar Kakerlaken überall herum.“ Zwar habe es auch Schiffe gegeben, auf denen alles in Ordnung gewesen und die Besatzung gut behandelt worden sei – aber das seien nur wenige gewesen."²
Ein anderer Inspektor berichtete von einem Schiff, wo es gelang, ausständige Heuer von mehreren Zehntausend Euro für die Mannschaft einzufordern. Der gesamte Proviant bestand nur noch aus ein paar Kartoffeln, Eiern unklaren Zustands und ein paar Zwiebeln. Auch die Erneuerung des Proviants durch den Schifffahrtsagent konnte durchgesetzt werden. Allerdings erst, als das Schiff an „die Kette“ gelegt wurde. Was ein Inspektor allerdings nicht anordnen kann, sondern in der Berufung auf diverse weltweite Abkommen mit der Hafenstaatskontrolle in ihrem Einvernehmen und durch sie durchgesetzt werden muss. Dieses Mal begleiteten die Inspektoren eine Delegation Hafenarbeiterinnen und Hafenarbeiter, um das Bewusstsein über diese Verhältnisse zu schärfen und den gemeinsamen Zusammenhalt zu fördern.
Kämpfe von Hafenarbeitern und Seeleuten treffen die internationalen Monopole
Das Streikrecht für Seeleute ist eine komplizierte Angelegenheit. Praktisch nur durchsetzbar, wenn die Schiffe ankern. Ansonsten läuft es auf einen gefährlichen Eingriff in den Schiffsverkehr, oder das, was man gemeinhin als Meuterei bezeichnet, hinaus. Die letzten Streikaktionen waren auf Fähren in Griechenland (siehe rf-News). Das Betteln um Verständnis bei den Hafen- und Flaggenstaaten ist eine Beruhigungspille: „Wir brauchen dringend mehr und bessere Kontrollen.“ Hier seien die Hafen- und die Flaggenstaaten, und zwar sowohl die Billig- als auch die nationalen Flaggen, in der Verantwortung.“³ Es ist doch gerade die Profitgier der Reeder und der internationalen Monopole, deren Waren verschifft werden, die zur Ausflaggung bzw. zum Zweitregister und der Tonnagesteuer in Deutschland oder ähnlich weltweit geführt haben.
Wenn Hafenarbeiter und Seeleute solidarisch kämpfen, treffen sie die internationalen Monopole an einer empfindlichen Stelle: Den Lieferketten. Die Tatsache, dass es nur so wenige Seeleute für den gesamten Schiffsverkehr gibt, ist auch seine Achillesferse! Die Koordinierungsgruppe des Internationalen Hafenarbeitererfahrungsaustausch bereitet zur Auswertung der Hafenarbeiterkämpfe, der Lage der Seeleute und der Werftarbeiter nach längerer Corona-Pause wieder ein gemeinsames Treffen vor. Wir hoffen dass wir dort auch viele neue aktive Kräfte gewinnen können. Aktuelle Neuigkeiten findet man auch auf www.dockers-international.org