Interview mit einem Kollegen von der Intensivstation

Interview mit einem Kollegen von der Intensivstation

"Versuch, die Patienten lebendig über die Schicht zu bringen"

Die Rote Fahne Redaktion sprach mit einem Kollegen, der auf einer Intensivstation arbeitet.

Rote Fahne: Kannst du dich kurz vorstellen?
Kollege: Ich bin Anfang 30 und arbeite auf einer großen Intensivstation in einem Universitätsklinikum mit Maximalversorgung.

 

Rote Fahne: Wie hat sich der Zustand auf deiner Station in den letzten zwei Jahren entwickelt?
Kollege: Die Pflege war schon vor der Pandemie angespannt, da Personalmangel herrschte. Und das Personal wurde so „konditioniert“, dass drei bis vier Patienten zu betreuen „normal“ war. Die neuen Mitarbeiter, die so eingearbeitet wurden, kennen gar nichts anderes. Aber laut WHO liegt die Personalbemessungsgrenze bei einem bis zwei beatmeten Patienten pro Pflegekraft, nachts bei drei beatmeten Patienten. Und so muss das sein!

 

Man muss dazu sagen, dass die Patienten immer älter und kränker werden: Durch Umwelteinflüsse, Stress, Übergewicht usw. Und die Behandlungen bzw. Pflegeversorgung wird dadurch zeitintensiver und aufwendiger. Die Behandlung, so wie sie notwendig ist, kann aber nicht gewährleistet werden, weil das Pflegepersonal oft früh wieder geht, weil die Arbeitsbedingungen so abschreckend sind. Und langjährige Mitarbeiter gehen oft in die Leiharbeit oder wechseln den Beruf.

 

Das Pflegepersonal kann den Patienten nicht gerecht werden, und die Versorgung kann nicht gewährleistet werden – teilweise ist es so, dass das Pflegepersonal weinend auf der Station zusammenbricht oder sich selbst Vorwürfe macht, obwohl sie nichts dafür können. Und natürlich sinkt die Reizschwelle auf der Arbeit. Denn es ist mittlerweile seit acht bis zehn Monaten so, dass man zum Teil sechs Patienten betreuen muss. Man fängt an zu triagieren d. h., zu schauen, welcher Patient hat die Betreuung mehr nötig. Man muss knallhart sagen: Man versucht die Patienten lebendig über die Schicht zu bringen!

 

Zu Beginn der Corona-Pandemie haben die Krankenschwestern in Teilzeit, z. B. Mütter, ihre Stellen auf 100 Prozent aufgestockt. Es wurde vermehrt eingesprungen und generell hat fast jeder 200 Prozent gegeben. Und der Dank war der, dass die Teilzeitbeschäftigten, die ihre Stelle aufgestockt haben, nur für die Teilzeit eine Corona-Prämie erhalten haben.

 

Aktuell sind die Corona-Zahlen auf den Stationen gesunken, aber aufgrund der hohen Personalfluktuation und weil es keine Neueinstellungen gibt, fällt die weitere hohe Arbeitsbelastung auf das noch vorhandene Pflegepersonal zurück. Dadurch kommt es zu vermehrten Krankmeldungen und noch weniger anwesenden Pflegekräften: Man wird gefragt, ob man länger bleiben kann und die Schichten werden in 4-Stunden-Schichten geteilt. Außerdem muss man sagen, auch wenn das Personal länger bleibt: Es ist immer noch zu wenig Personal!

 

Wir hatten ein Gespräch mit der Geschäftsführung, die Pflege wurde in unserem Krankenhaus angehört, ohne Ergebnis. Es wurde gefragt, ob mehr Leiharbeiter eingestellt werden, um die Situation zu entlasten, bis neue Pflegekräfte kommen. Es wurde vorgeschlagen, Betten zu sperren, um die Pflege zu gewährleisten und gesagt wurde: „Das passt nicht in unser Wirtschaftskonzept!“ Nicht das Wohl der Patienten steht im Vordergrund, sondern die Einnahmen. Die Mitarbeiter werden nicht davon abgehalten, zu kündigen, sie werden nicht wertgeschätzt. Man ist nur eine „Nummer“, die ersetzt werden kann.

 

Rote Fahne: Ihr habt von den Streiks der Uniklinken in NRW erfahren. Wie ist das bei euch?
Kollege: Streiks sind auf jeden Fall notwendig, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Wir haben leider bisher nicht gestreikt. Wir wollen bessere Arbeitsbedingungen und nicht mit Magenschmerzen, nach einer schlaflosen Nacht oder mit Sodbrennen, zur Arbeit gehen. Immer mit dem Gedanken: „Was erwartet mich heute?!“ Man muss sagen, dass akut und ganz schnell das Pflegepersonal entlastet werden muss, um weitere Kündigungen zu vermeiden! Und Krankenhäuser dürfen keine Wirtschaftsunternehmen sein!

 

Rote Fahne: Vielen Dank für das Interview und alles Gute!