„Machtwort“ von Kanzler Scholz
Ausstieg vom Ausstieg: Atomkraftwerk Emsland läuft weiter
Olaf Scholz verkündete gestern unter Ausnutzung der sogenannten Richtlinienkompetenz des Kanzlers, dass auch das Atomkraftwerk Emsland bis „längstens“ 15. April 2023 weiterlaufen wird. Das gleiche gilt für Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg) und Isar 2 (Bayern).
Es ist ein wirklicher Skandal: Wissenschaftlich ist längst unstrittig nachgewiesen, dass Atomenergie unkontrollierbar ist und ein Unfall über Jahrhunderte hinweg Mensch und Natur verseuchen würde. Wissentlich wird dieses Risiko eingegangen und damit mit Menschenleben gespielt.
Nach dem Wahldebakel der FDP Niedersachsen und vor dem Parteitag der Grünen am vergangenen Wochenende spielten Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sich bezüglich des Schicksals des Atomkraftwerks in Niedersachen mächtig auf. Doch ein weiterer Streit würde die Konflikte innerhalb der Ampel-Koalition in Berlin weiter verschärfen. Also musste eine Entscheidung her. Sie ist voll im Interesse der Monopole.
Ein abgekartetes Spiel? Habecks Demokratieverständnis
Am Wochenende noch beschlossen die Grünen auf ihrem Parteitag, dass sie dem Streckbetrieb in Neckarwestheim 2 und Isar 2 zustimmen, keinesfalls jedoch dem Weiterbetrieb des AKW Emsland. Im Wahlkampf bekamen die Grünen in Niedersachsen auch deshalb einen Zuwachs an Stimmen zur letzten Landtagswahl, weil sie versicherten, dass es mit ihnen Ende des Jahres aus ist mit der Atomkraft in Niedersachsen. Doch all das lässt Wirtschaftsminister Habeck kalt. Kein einziges Wort der Kritik an der Entscheidung von Scholz. Stattdessen fordert er seine Fraktion auf, bei der anstehenden Entscheidung im Bundestag für Scholz‘ Plan und damit gegen den Parteitagsbeschluss zu stimmen: „Weil das Land, Europa, sich ja in einer schweren Krise befindet und in dieser Situation dann die Regierung aufs Spiel zu setzen, scheint mir überhaupt nicht verhältnismäßig zu sein.“ Die Regierung und damit seine Ministerposten aufs Spiel zu setzen - das kommt für ihn nicht infrage! Doch das Land Niedersachsen durch einen potentiellen atomaren Unfall aufs Spiel zu setzen – das erscheint ihm sehr wohl verhältnismäßig.
Vieles spricht dafür, dass der Verlauf der Debatte ein abgekartetes Spiel war. Wenige Stunden nach Scholz' Entscheidung sagt Habeck: „Irgendwie mussten wir aus dieser Situation rauskommen.“ Wieso wurde die Entscheidung nicht am Freitag gefällt, um sie dann mit den Mitgliedern zu diskutieren? Die Entscheidung schürt berechtigt Unmut an der Parteibasis der Grünen, sind doch die meisten Gründungsmitglieder im Kampf gegen den Bau der Atomkraftwerke und Nutzung der Atomenergie Mitglied bei den Grünen geworden.
AKW Emsland ist nicht sicher
Erst am 1. Oktober fand im Emsland eine Demonstration zur Stilllegung des Atomkraftwerks statt. Im Juni wiesen der Elternverein Restrisiko Emsland e. V. und das Bündnis AgiEL auf eine Leckage hin, durch die Radioaktivität austreten könnte. Und das, obwohl kurz zuvor eine Revision stattgefunden hat. Die Leckage war nicht aufgefallen. In den vergangenen Jahren kam es aufgrund von Alterserscheinungen vermehrt zu Korrosion und Lochfraßin den Dampferzeugerheizrohren des Atomkraftwerks Emsland. Eben jene Rohre wurden bei der letzten Revision jedoch gar nicht mehr auf Schäden überprüft. Sie weisen darauf hin, dass alle drei betroffenen Atomkraftwerke Alt-Reaktoren sind, die den aktuell geforderten Sicherheitsstandards nicht mehr entsprechen. Die letzte periodische Sicherheitsüberprüfung war 2009. Der eigentlich festgelegte zehnjährige Turnus zur Sicherheitsüberprüfung wurde ausgesetzt, weil die Atomkraftwerke Ende des Jahres abgeschaltet werden sollten. Doch nun wird noch einmal verlängert – d. h. die letzte Sicherheitsüberprüfung ist dreizehn Jahre her. „Innerhalb der letzten sechs Jahre kam es an diesen drei Standorten zu insgesamt 40 meldepflichtigen Ereignissen unterschiedlichen Schweregrads, zum Teil aus systematischen Fehlerursachen heraus.“ Allein in Neckarwestheim wurden seit 2018 über 350 erhebliche Korrosionsschäden an den Dampferzeugern gefunden. „Es besteht die akute Gefahr, dass die Rohre nach einem Riss spontan bersten. Der Reaktorsicherheitsexperte Majer, ehemals Atomaufseher im Bundesumweltministerium, warnt, dass ein solcher Bruch einen Störfall bis hin zur Kernschmelze auslösen könnte.“ So warnen 16 Bürgerinitiativen der drei Standorte in einer Erklärung vom 4. August 2022. (Alle Infos von www.atomstadt-lingen.de)
Strahlende FDP
Die FDP feiert sich zwar, aber hat ihre Ziele längst nicht erreicht. Für sie ist die endgültige Abschaltung der Atomkraftwerke im April nächsten Jahres keinesfalls endgültig, da sie einen Weiterbetrieb bis mindestens 2024 anstrebt. Von Regierungsseite wurde der EON-Tochtergesellschaft Preussen-Elektra bereits signalisiert, dass sie auf den entstehenden Kosten für die Reparatur von Isar 2 nicht sitzen bleiben werden. Die Bundesregierung finanziert dem Betreiber z. B. dann den notwendigen Austausch des defekten Druckventils im Kühlkreislauf von Isar 2. Das ist nur eine der vielen indirekten Kosten für die Atomkraft, die der Steuerzahler nicht mit der Stromrechnung, aber mit dem Steuerzettel bezahlt.
Atomkraftwerke für Netzstabilität notwendig?
Das ist in mehrfacher Hinsicht eine Lüge.
- Zum einen sind die Gasspeicher zu 95 Prozent gefüllt, was erst zum 1. November angestrebt war.
- Zum zweiten sind Atomkraftwerke alles andere als stabil. Sichtbar ist das in Frankreich, wo 27 der 56 Reaktoren derzeit außer Betrieb sind, unter anderem deswegen, weil es an Kühlwasser fehlt.
- Zum dritten ist gerade Niedersachsen ein Flächenland, in dem die erneuerbaren Energien überdurchschnittlich stark ausgebaut sind und deshalb keine Abhängigkeit vom Atomkraftwerks Emsland besteht
- Zum vierten könnte selbst ein Mangel an Gas und / oder Atomkraft zügig durch erneuerbare Energien ausgeglichen werden. Bereits bisher wurden in der EU durch den Ausbau von erneuerbaren Energien seit dem Beginn des Ukrainekriegs 11 Milliarden Euro an Gaseinkäufen eingespart. „Aber das künftige Potenzial ist noch größer“, so Chris Rosslowe, der eine diesbezügliche aktuelle Studie der Organisationen Ember und E3G leitet. Dies ist tatsächlich eine Maßnahme, die den Strompreis senken würde.
Söder / CSU erzeugt Panik vor einem Blackout. Sämtliche Experten widersprechen dieser Panikmache, die pure Zweckpropaganda im Sinne deutscher Energiekonzerne ist.
Senkt Atomkraft den Strompreis? Sämtliche bürgerlichen Institute verkünden eine Senkung des Strompreises durch den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Nur ist diese Argumentation bar jeder Logik: Die Strompreise sind derzeit verdammt hoch, während die drei Atomkraftwerke am Netz sind. Warum soll der Strompreis billiger werden, wenn sie noch dreieinhalb Monate länger am Netz bleiben? Natürlich sind die Uralt-Atommeiler längst amortisiert und werfen dadurch täglich bis zu 1 Million Euro Gewinn ab. Doch diese Gewinne kassieren die Energiekonzerne, die keineswegs gewillt waren und sind, dies an die Stromkunden weiterzugeben. In den Jahren 2007 bis 2019 war die Stromerzeugung aus Atomenergie überdurchschnittlich teuer - mit 25 bis 39 Cent pro Kilowattstunde. Nur dass 21 bis 34 Cent nicht in die offiziellen Preise eingerechnet werden, da sie über staatliche Subventionen und andere Quellen indirekt vom Steuerzahler finanziert werden. Zum Vergleich: Photovoltaik kostet 2 bis 6 Cent pro Kilowattstunde. Selbst Claudia Kemfert vom bürgerlichen Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagte bereits vor Jahren: „Die Frage, ob billige Atomkraftwerke, mit denen preisgünstig Strom produziert wird, zu niedrigeren Strompreisen führen, muss leider mit Nein beantwortet werden. Weil die Konzerne entsprechend ihrer Monopolstellung ihre Wettbewerbsmacht ausnutzen, um die Strompreise nach oben zu bringen.“
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