Chemie-Tarifrunde
Geräuschlose Einigung auf einen faulen Kompromiss
Gestern einigten sich der Arbeitgeberverband der chemischen Industrie, BAVC, mit der Gewerkschaft IGCB nach dreitägigen Verhandlungen auf ein Verhandlungsergebnis für die 580 000 Beschäftigten der Chemie- und Pharmaindustrie.
Beide Seiten und die bürgerlichen Medien sind voll des Lobes. „Bis zu 15,6 Prozent mehr Gehalt“, titelt die Süddeutsche Zeitung am 18.10.. Der Verhandlungsführer des Arbeitgeberverbandes und Personalchef von BASF, Hans Oberschulte, spricht von einem „ausgewogenen Abschluss, der Firmen Planungssicherheit gibt.“ [1] Und der Verhandlungsführer der IGBCE, Ralf Sikorski, lobt das Verhandlungsergebnis: „Wir haben unter miserablen Rahmenbedingungen Wort gehalten und eine intelligente Kombination aus schnell spürbarer Entlastung und nachhaltigem Lohnplus durchgesetzt.“ [2]
Dabei gilt das Lob vor allem der Form der Tarifverhandlungen, dem „geräuschlosen“ Erreichen eines Verhandlungsergebnisses – „Es geht auch ohne Knall“ [3]. Der IGBCE-Chef Michael Vassiliadis würdigt das Ergebnis als Erfolg der Politik der Klassenzusammenarbeit und einen „Beitrag zum sozialen Frieden“. [4]
Das Verhandlungsergebnis unter der Lupe
Nach Aussage von Ralf Sikorski (IBCE) sei es gelungen, „zumindest temporär für 2023 und 2024 … einen Inflationsausgleich zu schaffen“. [5]
Die tatsächliche tabellenwirksame Entgelterhöhung beträgt:
- Für 2022: Die im März auf Oktober verschobene tabellenwirksame Lohnerhöhung soll bis Dezember verlängert werden. D.h. für 2022 soll es für 9 Monate eine Nullrunde geben bei einer offiziellen Inflationsrate von 7,9 Prozent aufs Jahr. Sieht so eine „schnell spürbare Entlastung“ aus?
- Für 2023 soll es eine Erhöhung von 3,25 Prozent gruahlt geben, bei einer erwarteten Inflationsrate von 7,5 Prozent. Wird die Erhöhung um drei Monate verschoben, bleibt es gerade mal bei einer Erhöing um 2,4 Prozent. Deshalb muss das Ergebnis abgelehnt werden. Ab Januar 2023 und Januar 2024 sollen die Entgelte um jeweils 3,25 Prozent steigen – das gilt auch für die Auszubildenden. Beide Entgelterhöhungen können allerdings „aus wirtschaftlichen Gründen“ bis zu drei Monaten durch eine „freiwillige Betriebsvereinbarung“ verschoben werden. Allerdings kann eine ein- bzw. zweimonatige Verschiebung auch einseitig vom Unternehmen angeordnet werden.
- Die Beschäftigten bekommen jeweils im Januar 2023 und 2024 einmalig steuer- und beitragsfrei jeweils 1500 Euro (die Auszubildenden 500 Euro), entsprechend der auf der konzertierten Aktion gemachten Zusage von Bundeskanzler Olaf Scholz. Diese Einmalzahlungen gehen nicht in die Lohntabelle und damit in die steigenden Löhne ein, während die Inflation dauerhaft die Preise erhöht. Außerdem erhalten die Beschäftigten wegen der Beitragsfreiheit keine Rentenpunkte.
Angesichts einer erwarteten Inflationsrate für 2023 von 7,5 Prozent [6] - nach 2022 von 7,9 Prozent - , bedeutet der Abschluss einen Reallohnabbau, vor allem muss man die reale Inflationsrate für eine Arbeiterfamilie von über 20 Prozent zu Grunde legen. [7]
Genau nach dem Muster der Konzertierten Aktion
Das erzielte Verhandlungsergebnis setzt 1:1 die in der konzertierten Aktion beschlossene Klassenzusammenarbeit zur Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten auf den Rücken der Arbeiterinnen und Arbeiter um: Absicherung der Profite der Monopole verbunden mit kleineren Zugeständnissen zur Dämpfung der Klassenwidersprüche. IGBCE-Chef Michael Vassiliadis sieht in dem Ergebnis ein „Signal für andere Branchen“. [8] Mit welchem Recht maßt Vassiadis an, anderen Gewerkschaften Vorschriften für ihre Tarifrunden zu machen, wie den Kolleginnen und Kollegen in der Metall- und Elektroindustrie sowie im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen?
Das Verhandlungsergebnis in der Chemie- und Pharmaindustrie sollte als warnendes Beispiel dienen, dass mit der Politik der Klassenzusammenarbeit nur ein fauler Kompromiss herauskommen kann und die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter verraten werden. Im Kampf gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten ist der volle Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft und der selbständige Kampf um einen Lohnnachschlag gefordert. Die MLPD wird diese Kämpfe als Schule des Klassenkampfs fördern und unterstützen.