Großbritannien
Liz Truss tritt zurück: Offene Regierungskrise in Großbritannien vertieft sich vor dem Hintergrund der Arbeiterkämpfe
Seit Tagen pfeifen es in Großbritannien die Spatzen von den Dächern: Heute hat Liz Truss nach nur sechs Wochen Amtszeit ihren Rücktritt als Parteivorsitzende der Konservativen (Tories) erklärt und damit auch den Rücktritt als Premierministerin angekündigt.
Damit vertieft sich die offene Krise der britischen Regierung. Glaubt man den Medien, dann trägt allein das internationale Finanzkapital die Verantwortung für das Scheitern von Truss. Hat es doch am 23. September 2022 auf angekündigte Steuersenkungen für Monopolinteressen scheinbar untypisch reagiert und dafür gesorgt, dass die Zinsen für Staatsanleihen in die Höhe schossen und das britische Pfund auf den tiefsten Stand seit 1985 sank.
Das war die Ansage, dass das internationale Finanzkapital der Truss-Regierung keinesfalls zutraut, als ihr Dienstleister die Geschäfte zu führen. Dabei ist Truss keineswegs als Freundin der Arbeiterklasse und der Volksmassen angetreten. Ihre Steuersenkungen waren für die Reichen, für Monopole und Konzerne. Gegenüber den Gewerkschaften kündigte sie an, ihnen die Flügel stutzen zu wollen und einen härteren Kurs zu fahren als Thatcher, die eiserne Lady, ihr Vorbild. Um Arbeiterkämpfe zu verhindern, kündigte sie eine massive Einschränkung des Streikrechts an. Vordergründig wird ihre Schuldenpolitik kritisiert. Die Monopole fordern „solide Staatsfinanzen“. Aber die gibt es nach kapitalistischer Logik nur durch eine verschärfte Abwälzung der Krisenlasten auf die breiten Massen. Und genau hier liegt das Problem, das die Regierung und die Monopole haben. Die Arbeiterklasse zeigt eindrucksvoll, dass sie nicht bereit ist, die Kriegs- und Krisenlasten weiter auf sich abwälzen zu lassen.
Streikwelle geht durchs Land
Seit dem Sommer geht eine Streikwelle durchs Land, wo sich die Arbeiterklasse weder durch Drohung mit Massenentlassungen, noch mit Plänen zum drastischen Abbau von gewerkschaftlichen Rechten einschüchtern lässt. Im Gegenteil, sie fürchtet keine Verschärfung und heute morgen wurden die Streiks durch die Kommunikationsarbeiter landesweit fortgesetzt und es sind weitere Streiktage angekündigt. Solidarität erfahren die Streikenden von den Eisenbahnarbeitern, den Beschäftigten an den Universitäten und weiteren. Hier ein Link zu einem Video, der einen Eindruck vom Streikbeginn heute morgen in Brighton vermittelt. Bei ihrer Kundgebung heute Morgen in Brighton haben die Streikenden die Tory-Regierung ins Visier genommen, während zugleich Illusionen in eine Labour-Regierung auf einem Tiefpunkt sind. Es werden wichtige Diskussionen darum geführt, mit deren letzten Resten fertig zu werden. Was kommt nach dem Rücktritt? Der Aufbau einer marxistisch-leninistischen Partei mit einer sozialistischen Perspektive bleibt mit die größte Herausforderung.
Gewerkschaften stellen sich auf verschärfte Klassenauseinandersetzungen ein
Am vergangenen Dienstagabend trafen am Rande des offiziellen Gewerkschaftskongresses des TUC führende Vertreter und Vertreterinnen kämpferischer Einzelgewerkschaften in Brighton. Thematischer Aufhänger war der Jahrestag der Verhaftung von fünf Vertrauensleuten in Pentonville 1972 (The Pentonville Five), die sich weigerten, ihre vom Gericht verbotenen Streikposten aufzugeben. Sie wurden verhaftet, wogegen sich landesweite Streiks entwickelten. Tausende streikende Arbeiter marschierten nach Pentonville und forderten die Freilassung - die auch erfolgte!
Heute stehen die Gewerkschaften vor umfangreichen Angriffen der - noch amtierenden - Truss-Regierung auf ihre Rechte. Kern ist, die Gewerkschaften per Gesetz zu zwingen, bei Streiks einen „Mindestbetrieb" der bestreikten Einrichtung zu gewährleisten. Im Klartext: Staatlich erzwungene Streikbrecherarbeit. Mark Serwotka Generalsekretär der PCS (Öffentliche und kommerzielle Dienstleistungen) empörte sich über dramatische Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen seiner
Gewerkschaftsmitglieder, wo manche „abends zu Hause im Kerzenlicht sitzen", weil sie das Geld für den Strom nicht mehr aufbringen.
Diskutiert wurde, gemeinsam die Kämpfe vorwärts zu treiben und sich von letzten Illusionen in die Labour-Regierung frei zu machen. „Noch nie seit der Regierung Thatcher hat eine Labour-Regierung den Abbau von Arbeiter- und Gewerkschaftsrechten zurück genommen", so Rechtsantwalt Keith Ewing, der in den 1980er Jahren die Bergarbeitergewerkschaft vertreten hat. Mick Lynch, Vorsitzender der RMT (Bahn-, Schiff- und Transportarbeiter) betonte, die Gewerkschaftsbewegung müsse unabhängig
sein. Es komme darauf an, auf welche Seite man sich stellt: Auf die Seite der Arbeiterklasse oder die der Kapitalistenklasse. „Meine Botschaft an alle Gewerkschafter ist: (...) bauen wir unsere Organisation und unsere Bewegung auf. Fürchtet euch nicht davor, in den Streik zu gehen. Gebt den Arbeitern Selbstvertrauen (…) Die Arbeiterklasse wird ihre Emanzipation erkämpfen. Bauen wir unsere Organisationen auf."
Doug Nicholls, Generalsekretär der GFTU (Gewerkschaftsdachverband verschiedener Fachgewerkschaften) ging darauf ein, dass auch zentrale politische und weltanschauliche Auseinandersetzungen in den Gewerkschaften geführt werden müssen. Er forderte, die Gesamtentwicklung nicht aus dem Blick zu verlieren und wandte sich gegen die imperialistischen Kriegsvorbereitungen von NATO, USA und Großbritannien: „Wir wissen aus der Geschichte, was die Herrschenden tun, um von ihren Problemen abzulenken und uns das Leben schwer zu machen. Die Kriegstrommeln werden geschlagen." Er sprach sich für eine Stärkung des Sozialismus in den Gewerkschaften aus: „Erhöhen wir unsere Ziele, erhöhen wir unser Bewusstsein und verwandeln wir unsere Gewerkschaften wieder stolz in Schulen für den Sozialismus."
Marxistisch-Leninistischer Parteiaufbau das Gebot der Stunde
Der Abend war kein nostalgischer Rückblick auf die Pentonville Five. Er war eine beeindruckende Einstellung auf die Verschärfung der Klassenauseinandersetzungen in Großbritannien, von der man viel lernen kann. Zugleich wurde in Gesprächen am Rande deutlich, dass der marxistisch-leninistische Parteiaufbau weitgehend verdrängt ist. Zum Teil herrscht die Meinung vor, die revolutionäre Arbeiterpartei sei gar nicht mehr nötig und es reiche aus, dass die Gewerkschaften hart für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen kämpfen. Aber die Arbeiterklasse braucht eine gesellschaftliche Perspektive, die dialektisch-materialistische Methode und eine revolutionäre
Kampforganisation, um das hochorganisierte internationale Finanzkapital zu besiegen und eine von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung befreite Gesellschaft aufzubauen. Das beizutragen und die Schule des Kampfs für den Sozialismus zu organisieren, ist Aufgabe der marxistisch-leninistischen Partei im Wechselverhältnis zur Stärkung überparteilichen Gewerkschaften, die Kampforganisationen sind. Darüber führten wir von der MLPD mit verschiedenen Teilnehmern angeregte, kontroverse und lehrreiche Diskussionen.