Versammlungsrecht durch Grundgesetz geschützt
Zu den Teilnehmer-Rechten bei Kundgebungen und Demonstrationen
Immer wieder gibt es Bestrebungen, dass selbsternannte "Orga-Komitees" Demonstranten "ausschließen" wollen. Selbstverständlich gilt die Rote Karte bei fortschrittlichen Demonstrationen und Kundgebungen für Rechte und Faschisten. Aber auf antifaschistischer Grundlage kann sich jeder beteiligen.
Dazu teilen die Rechtsanwälte Meister & Partner aus Gelsenkirchen mit:
Das Versammlungsrecht ist durch Artikel 8 Grundgesetz geschützt
In § 1 des Versammlungsgesetzes heißt es: „Jedermann hat das Recht, öffentliche Versammlungen und Aufzüge zu veranstalten und an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.“ Das Recht, sich in der Öffentlichkeit zu versammeln, wurde durch die demokratische Revolution 1848 erkämpft. Genauso wie das Recht, Vereine und Parteien zu gründen. Politische Parteien und – wie es dort heißt – ihre „Mitwirkung an der politischen Willensbildung“ sind durch Artikel 21 Grundgesetz besonders geschützt. Die Parteienrechte stärken sogar das Versammlungsrecht politischer Parteien.
Versammlungsrecht ist nicht Veranstalterrecht
Das Recht der öffentlichen Versammlungen ist ein demokratisches Menschenrecht und kein obrigkeitsstaatliches Leiter- oder Veranstalterrecht. Welche Ansichten der Versammlungsteilnehmer dabei äußert und wie er das tut, spielt grundsätzlich keine Rolle. Jeder hat selbstverständlich das Recht, seine Plakate, Transparente, Fahnen o. ä. mit sich zu führen und seine Meinung frei zu äußern – auch kritisch, auch wenn dies dem Leiter oder den Veranstaltern nicht genehm ist.
Dazu heißt es im führenden versammlungsrechtlichen Kommentar Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 13. Auflage (Rn. 24 zu § 19): „Weisungen, die Äußerung einer Gegenmeinung verbieten (Mitführen eines Spruchbandes, dessen Aussage den Intentionen der vom Veranstalter oder Leiter vorgesehenen Demonstration widerspricht), sind unzulässig. Die Polizei hat die Rechte des Teilnehmers gegen Leiter und Ordner zu schützen.“
Durch das Zeigen „symbolträchtiger Gegenstände wie einer Fahne wird von der Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht“ (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29.03.2002, NVwZ 2002, 1467). Sie sind natürlich auf Versammlungen erlaubt und dürfen auch nicht durch den Leiter der Versammlung unterdrückt werden, wenn sie nicht allgemein verboten sind. Dieses Recht muss man selbstverständlich in Verbindung mit der Forderung nach Verbot jeglicher faschistischer Propaganda, faschistischer Parteien und Organisationen sehen.
Versammlungsleiter hat kein "Hausrecht"
Der Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel hat auch kein „Hausrecht“ oder dergleichen. Es ist weder dem Leiter einer Versammlung, noch den Ordnern oder der Polizei erlaubt, die freie Meinungsäußerung der Versammlungsteilnehmer zu untersagen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu entschieden: „Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt auch nicht nur solche Teilnehmer vor staatlichen Eingriffen, die die Ziele der Versammlung oder die dort vertretenen Meinungen billigen, sondern kommt ebenso denjenigen zugute, die ihnen kritisch oder ablehnend gegenüberstehen und dies in der Versammlung zum Ausdruck bringen wollen.“ (BVerfGE 84, 203, 209, 1 BvR 772/90).
Nur die Polizei dürfte bei „gröblicher Störung“ eines „ordnungsgemäßen Ablaufs“ (§ 18 Abs. 3 Versammlungsgesetz des Bundes) Teilnehmer aus der Versammlung entfernen. Das bezieht sich z. B. auf Randalierer, dauerhaftes Niederschreien von Rednern oder ähnliches. Daran hat sich durch das Inkrafttreten des Versammlungsgesetzes NRW am 07.01.2022 nichts geändert. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 darf die Versammlungsleitung nur Personen ausschließen, welche die Ordnung der Versammlung „erheblich“ stören. Sie darf diese Befugnis nicht dazu missbrauchen, „unliebsame“ Personen auszuschließen. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren klargestellt. Außerdem braucht auch hier die Versammlungsleitung bei Versammlungen unter freiem Himmel die „Zustimmung der zuständigen Behörde“.
Argument, es könne sich jemand durch MLPD-Fahnen gestört fühlen, zählt nicht
In der letzten Zeit versuchte die Polizei in NRW in Einzelfällen, Ausschlüsse von Teilnehmern mit MLPD-Fahnen usw. mit der Argumentation zu rechtfertigen, es könne dadurch zu Störungen durch andere, mit dem Auftreten der MLPD nicht einverstandene Versammlungsteilnehmer und dadurch zu einem "unfriedlichen Verlauf" der Versammlung kommen. Auch das ist rechtlich unhaltbar. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Beschluss vom 17.01.2020 (Az.: 10 CE 20.111) festgestellt: „Ist die Störung des Ablaufs der Versammlung somit nicht dem Antragsteller, sondern den Versammlungsteilnehmern zuzurechnen, die ihn daran hindern wollten, auch durch das Tragen des Transparents von seinem Teilnehmerrecht an der Versammlung unter freiem Himmel und damit seiner Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen, hätten sich etwaige polizeiliche Maßnahmen primär gegen die anderen Versammlungsteilnehmer richten müssen.“
Ausdrücklich erlaubt ist auch das Verteilen von Flugblättern. So hat das Amtsgericht Villingen-Schwenningen am 20. August 2019 einen Beschluss erlassen (AZ: 13 OWi 540/19), in dem es heißt: „Das Verteilen von Flugblättern einer eine andere politische Auffassung vertretenden Partei erfüllt nicht die Voraussetzungen einer gröblichen Störung nach § 18 Abs. 3 Versammlungsgesetz.“
Faschistische Volksverhetzung oder Ähnliches darf und soll natürlich nicht geduldet werden; dies ist aber durch ausschließlich antifaschistische Sonderregelungen – wie „Volksverhetzung“ gem. § 130 StGB geklärt.