Theaterkritik "Der Vorleser"

Theaterkritik "Der Vorleser"

Nein - das kann man nicht "so oder so" sehen!

Unser Stadt-Theater bot „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink. Hörte sich nicht spektakulär an, aber die Beschreibung weckte Neugierde.

Korrespondenz aus dem Schwarzwald

In den Nachkriegsjahren muss sich ein junger Kerl, der die Gelbsucht noch nicht ganz überwunden hat, am Abend in einem Hauseingang übergeben. Eine deutlich ältere Frau (Hanna) spricht ihn mit „Jungchen“ an. Sie hilft ihm auf die Beine, und bietet ihm an, er könne sich bei ihr zuhause reinigen. „Jungchen“ bedankt sich für die Hilfe, indem er ihr vorliest. Sie ist Analphabetin. Es wächst eine ungleiche Liebe, mit kurzer Halbwertszeit. Eines Tages ist sie wie vom Erdboden verschluckt.

 

„Jungchen“ wurde Jurist und eines Tages sah er Hanna im Auschwitz-Prozess auf der Anklagebank. Das Stück verfeinert die Umstände noch mit ein paar nicht erheblichen Varianten. Im Wesentlichen geht es aber um die Schuldfrage, da Hanna zu den ca. 8000 Schergen des KZ zählte. Vom Autor erwartete ich, dass er in geigneter Form die antifaschistische Arbeit stärkt. Schlink verliert sich aber im Klein Klein von Gefühlswelten, statt sich an der Wirklichkeit zu orientieren. Aktuelles Material gibt es genügend, weshalb geht der Autor nicht darauf ein? Mit seiner Interpretation verwischt er den Klassencharakter des Faschismus. Er sucht Erklärungen in psychologischen Welten unter dem Motto: Das könne man so oder so sehen. Statt den Zuschauer zu aktivieren, lässt er ihn gemütlich im weichen Sessel.

 

Belegt nicht Auschwitz, dass der Faschismus die brutalste Herrschaftsform des Kapitalismus ist? Beim Genozid an den Juden wurde fabrikmäßig gemordet. Der damals größte deutsche Chemiekonzern IG Farben betrieb dort das „eigene“ KZ – Buna-Monowitz.

 

Stellte man nach dem Krieg Juristen nicht reihenweise „Persilscheine“ aus? Beschuldigte wurden als „kleine Rädchen“ verharmlost, und erhielten geringe Strafen. Das Hauptergebnis des Auschwitz-Prozesses war, dass jeder, der sich an diesem Mordapparat beteiligte zur Rechenschaft gezogen werden muss!

 

Zwölf Jahre lang (1998 bis 2011) zog der faschistische NSU mordend und raubend durch Deutschland. Sie ermordeten mindestens neun Menschen, überfielen mindestens 15 Banken. Der Inlandsgeheimdienst, genannt Verfassungsschutz, half dabei, Spuren zu verwischen. Per Gerichtsurteil ist die Bezeichnung "Faschist" für den AfDler Höcke angemessen. Der Oberstudienrat ist offiziell aber immer noch im Staatsdienst.