Leserbrief

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Russland „teilweise halbkoloniales abhängiges kapitalistisches Land“?

Nicht nur die DKP-Führung behauptet, Russland wäre ein „teilweise halbkoloniales abhängiges kapitalistisches Land“, das sich nur gegen eine drohende koloniale Unterwerfung verteidigen würde.

Von ba

Leserbrief zur Ergänzung und Vertiefung des Artikels „Die DKP und das Märchen vom Verteidigungskrieg Russlands“ in Rote Fahne News vom 28. September 2022.

 

Nicht nur die DKP-Führung behauptet, Russland wäre ein „teilweise halbkoloniales abhängiges kapitalistisches Land“, das sich nur gegen eine drohende koloniale Unterwerfung verteidigen würde. Das ist offenbar in weiten Teilen neo-revisionistischer Parteien so. Z.B. haben wir Freunde, die zur „Partei des Volkswillens“ in Syrien gehören, die das ebenfalls behaupten. Hauptargument ist, dass die USA durch die Beherrschung des Welthandels durch den Dollar als Weltleitwährung keine anderen Länder zur Entfaltung kommen lassen. Damit wird auch  begründet, dass sich neuimperialistische Länder überhaupt nicht mehr herausbilden könnten. Das basiert auf der sogenannten Dependenz-Theorie von Amir Sahin, einem Neorevisionisten und ehemaligen „Maoisten“, der im Nahen Osten und in Nordafrika und Teilen Südamerikas viele Anhänger hat.

 

Putin hat in seiner Rede zur Annexion der vier ukrainischen Regionen in ganz ähnlicher Weise behauptet, dass sich Russland nur dagegen wehre, neokolonial unterdrückt zu werden. Offenbar nutzt er diese scheinbar linke Argumentation der Dependenz-Theorie. Er stellt damit den Kampf der russischen Imperialisten gegen die Bedrohung durch die NATO-Länder, Russland als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten bzw. zu einer zweit-rangigen kapitalistischen Macht zu degradieren, hin als einen Befreiungskampf des russischen Volkes gegen den Imperialismus überhaupt. Darin besteht die faschistische, sozialchauvinistische Demagogie Putins zur Rechtfertigung des Ukraine-Krieges.

 

Die Widerlegung dieser Behauptung der DKP-Führung (und damit auch der Demagogie Putins) in dem Rote-Fahne-News-Artikel war nicht ganz überzeugend. Da wurde zur Begründung des imperialistischen Charakters Russlands nur in einem Nebensatz angeführt, dass Russland „mit die stärkste Atommacht“ sei. Es ist zwar richtig, dass es verwunderlich ist, wie ein „teilweise halbkoloniales abhängiges kapitalistisches Land“ in der Lage sein soll, solch einen Militärapparat gegen den Willen der Russland halbkolonial beherrschenden USA/EU aufzubauen. Aber dieses Argument reicht nicht, um Russlands imperialistischen Charakter nachzuweisen.

 

An der Kritik am Dollar als Leitwährung stimmt, dass das ein finanzpolitisches Instrument zur Absicherung der weltweiten Vorherrschaft der USA ist – sowohl der neokolonial abhängigen Länder, als auch der imperialistischen Konkurrenten. Das kann aber die ungleichmäßige Entwicklung der imperialistischen Länder nicht aufheben und auch nicht das Entstehen neuimperialistischer Länder verhindern. Die Grundlage dafür besteht in der Höherentwicklung der Produktivkräfte und der dabei zwangsläufig krisenhaften Entwicklung des Kapitalismus-Imperialismus. Daraus resultiert der Drang der Imperialisten, neue Märkte zu erobern und die alten Märkte immer gründlicher auszubeuten. In den sich besonders seit 2008 entwickelnden neuimperialistischen Ländern haben sich „angestoßen vom Kapitalexport aus den imperialistischen Metropolen, eigene internationale Monopole herausgebildet. Diese wachsen zunächst in eine regionale hegemoniale Rolle hinein und gehen dann, von ökonomischen Zwängen getrieben, selbst zum Kapitalexport und zu einer imperialistischen Raubpolitik gegen andere neokolonial abhängige Länder über, konkurrieren mehr und mehr mit den bisherigen imperialistischen Ländern.“ („Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“, S. 324)

 

Dabei hat die Entwicklung von Russland und China zu neuimperialistischen Ländern aber wesentliche Besonderheiten: Beide Länder waren schon durch die vorherige sozialistische Entwicklung eigenständige Länder, Russland war als Kernland der SU sogar lange Zeit eine sozialimperialistische Supermacht. Nach dem Zusammenbruch der SU war Russland allerdings zwischenzeitlich sehr geschwächt, was die NATO tatsächlich zu seiner Unterwerfung und seiner Umwandlung in ein abhängiges kapitalistisches Land nutzen wollte. Aber der Machtapparat Russlands befand sich immer in den Händen der nach 1990 neu entstandenen russischen Monopole unter Leitung der die Macht ausübenden Oligarchen. Gegen die drohende Unterordnung unter die westlichen Imperialisten richtete sich von Anfang an die Politik von Putins Regierung (im Kampf gegen Gorbatschows und Jelzins Kurs). Sie verkündete schon im Jahr 2000 ein nationales Sicherheitskonzept, das die „Festigung der Position Russlands als Großmacht“ forderte und die „Notwendigkeit der militärischen Präsenz Russlands in einigen strategisch wichtigen Regionen der Welt“ betonte (S. Engel, „Götterdämmerung über der neuen Weltordnung“, S. 520) Putin trieb die Herausbildung von „national champion companies“ voran, die internationale Vormachtstellung erringen sollten. Das war eine deutliche Ausrichtung darauf, wieder als neu-imperialistisches Land aufzusteigen. Es entwickelten sich auch eine Reihe internationaler Monopole, vor allem in der Rohstoffproduktion (Gas, Erdöl, Kohle, Industriemetalle).

 

Russland wurde zweitgrößter Waffenexporteur der Welt und größter Exporteur kreditfinanzierter Atomkraftwerke. Zwischen 2000 und 2014 stieß Russland wieder auf Rang 10 der stärksten Wirtschaftsmächte vor. Sein Anteil am Kapitalexport in der Welt verzwanzigfachte sich wieder auf 2 Prozent. Zugleich wurde die „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ unter Führung von China und Russland seit 2002 ausdrücklich vor allem als Militärbündnis gegen die NATO und deren Einfluss besonders in Zentralasien aufgebaut. Brutal ging Russlands Militär schon gegen Loslösungsbestrebungen der Völker in Nordkaukasien sowie in Tschetschenien und Georgien vor. [1] Der Ukraine-Krieg der russischen Regierung unter Putin ist nur die Fortsetzung dieses imperialistischen Machtkampfes mit den westlichen Imperialisten um die Vorherrschaft im eurasischen Raum. Ein Verlust dieser Vormachtstellung, d.h. eine politische, wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft von USA/EU in der Ukraine würde Russland als neuimperialistische Macht strategisch weit zurückwerfen.

 

Putin hat auch sein Narrativ von der drohenden neo-kolonialen Abhängigkeit Russlands von den USA (bei seiner Rechtfertigung der Annexion ukrainischer Regionen) mit dem Verschwörungsmythos der Reichsbürger in Deutschland verbunden, Europa – und insbesondere Deutschland – wäre auch von den USA besetzt und vollkommen wirtschaftlich und politisch abhängig. Er befeuert damit zum einen die „Querfront“-Versuche, die eine reale Basis in der Übereinstimmung der einseitigen NATO-Ablehnung bei Neorevisionisten und Neofaschisten hat. Zum anderen will er damit den Flügel der Monopole in Europa ansprechen, die eher in einem Bündnis mit Russland und China ihre Zukunft sehen, als in einem Verbleiben im Bündnis mit den USA. Die USA nutzen ja tatsächlich den Krieg in der Ukraine und die Sanktionen als Kriegsmittel auch dazu, um Europa wirtschaftlich und politisch zu schwächen. Das befördert die Rechtsentwicklung mit faschistoiden Regierungen wie in Schweden und Italien. Diese Sprengkraft in der EU versucht Putin für seine neuimperialistischen Machtpäne zu nutzen.

 

Soweit meine Überlegungen dazu.

 

Herzliche Grüße