Anwaltskanzlei Meister & Partner

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Offener Brief gegen die Verschärfung des Paragrafen 130 StGB

In einer gesetzgeberischen Nacht- und Nebelaktion drückten Ampel-Regierung und CDU am 20. Oktober 2022 eine Verschärfung des „Volksverhetzungsparagrafen" 130 StGB durch den Bundestag.

Der entsprechende Gesetzestext dazu wurde erst am Vortag durch das Bundesministerium der Justiz ganz nebenbei über eine unscheinbare Neuregelung des Bundeszentralregistergesetzes eingeschmuggelt.

 

Wir protestieren gegen dieses undemokratische und überfallartige Vorgehen der Bundesregierung. Es stößt zu Recht auf deutlichen Widerspruch sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter Juristinnen und Juristen. Offensichtlich kam es der Bundesregierung darauf an, gerade im Bereich des politischen Strafrechts jegliche öffentliche Debatte über das Gesetzesvorhaben zu verhindern und vollendete Tatsachen zu schaffen.

 

Das Bundesjustizministerium rechtfertigt seine Eile mit einem bereits Ende 2021 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission wegen angeblich ungenügender Umsetzung der rund 14 Jahre alten EU-Richtlinie 2008/913/JI gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Es behauptet auf Twitter, "eine praxisrelevante Erweiterung der Strafbarkeit ist mit der Neuregelung nicht verbunden" (siehe „Cicero"vom  31.10.2022).

 

Nur wieso dann ein solch überfallartiges Vorgehen? Tatsächlich kann nach dem neu eingeführten §§ 130 Abs. 5 StGB jedoch jetzt bestraft werden, wer Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost".  Zu Recht ist bereits heute das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen des Holocaust unter Strafe gestellt. Außer Frage steht auch, dass wir strikt gegen alle Arten solcher Verbrechen sind und für eine konsequente Bestrafung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eintreten.

 

In seiner jetzt beschlossenen Form eröffnet § 130 Abs. 5 StGB jedoch deutlich erweiterte Möglichkeiten für Polizei und Justiz zur Kriminalisierung "missliebiger" politischer Ansichten und politischer Gegner. Er öffnet einer Gesinnungsjustiz Tür und Tor. Macht sich etwa zukünftig wegen „Verharmlosung russischer Kriegsverbrechen" strafbar, wer sich kritisch mit der Rolle der psychologischen Kriegsführung der NATO auseinandersetzt? Macht sich strafbar, wer eine sachliche, wissenschaftliche Diskussion über den sozialistischen Aufbau in der früheren Sowjetunion, in China oder der DDR führt? Erinnert sei hier an die seit jeher bestehende antisozialistische bzw. antikommunistische Stoßrichtung des bereits in seinen Anfängen vor 150 Jahren als „Klassenkampfparagrafen" bezeichneten Volksverhetzungsparagrafen. Geht es angesichts der derzeit unverkennbaren Destabilisierung der herrschenden Verhältnisse erneut darum, die Diskussion über eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu kriminalisieren?

 

Ermöglicht wird dies vor allem dadurch, dass die Bundesregierung bewusst darauf verzichtet hat, die in der EU-Richtlinie ausdrücklich ermöglichte Beschränkung auf solche Verbrechen des Völkermords etc. zu beschränken, die von internationalen oder nationalen Gerichten rechtsverbindlich festgestellt worden sind. Demgegenüber hat jetzt jeder Amtsrichter, jeder Staatsanwalt und letztlich sogar jeder Polizist auf einer öffentlichen Versammlung die Möglichkeit, bestimmte politische Meinungen als Verstoß gegen § 130 Abs. 5 StGB zu qualifizieren und Maßnahmen z. B. von der Beschlagnahme von Flugblättern oder Transparenten bis letztlich zur strafrechtlichen Verurteilung zu ergreifen.

 

Wir fordern daher eine Rücknahme der jetzt beschlossenen Verschärfung des §§ 130 StGB. Als einen Schritt dazu fordern wir den Bundesrat auf, in seiner nächsten Sitzung am 25. November 2022 das Gesetz vom 20. Oktober 2022 nicht passieren zu lassen und an den Vermittlungsausschuss zu überweisen. Eine konsequente Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus muss breit öffentlich diskutiert und es muss eine adäquate Regelung auf antifaschistische Grundlage erarbeitet werden.

Unterzeichnerinnen und Unterzeichner

  • Sami Baydar: Mitglied und Sprecher des Volksrats der Suryoye in Europa
  • Dr. Nikolaus Brauns, Journalist und Historiker (Berlin)
  • Mathes Breuer, Rechtsanwalt,
  • Gabi Fechtner, Vorsitzende der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD)
  • Süleyman Gürcan, Ko-Vorsitzender der Konföderation der ArbeiteriInnen aus der Türkei in Europa (ATİK),
  • Andrej Hunko, Mitglied des Bundestages (Partei Die Linke),
  • Frank Jasenski, Rechtsanwalt,
  • Roland Meister, Rechtsanwalt,
  • Monika Morres, AZADI - Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V.,
  • Iñigo Schmitt-Reinholtz, Rechtsanwalt
  • Peter Weispfenning, Rechtsanwalt

 

KONTAKT für weitere Unterzeichnungen und Informationen:
Anwaltsbüro Meister & Partner, Tel: 0209-3597670, Fax: 0209-3597679
E-Mail: raemeisterpp@t-online.de

 

Offener Brief im pdf-Format