Kritik in der IG Metall
Vollversammlung der Vertrauensleute von Mercedes Untertürkheim lehnt faulen Tarifkompromiss ab
Gestern fand die Vollversammlung der IG-Metall-Vertrauensleute bei Mercedes-Benz im Stammwerk Stuttgart-Untertürkheim zur Bewertung des Verhandlungsergbenisses im Pilotbezirk vom 17./18. November statt. Die Vertrauensleute lehnten mit großer Mehrheit das Ergebnis der Verhandlungen ab.
Jetzt bedarf es einer breiten Diskussion!
Das hat sich in einer Situation, wo die Inflation die Löhne auffrisst und die letzte tabellenwirksame Lohnerhöhung 2018 erfolgte, nicht nur im Werk schnell herumgesprochen. Die anwesenden IG-Metall-Vertrauensleute und -Betriebsräte beauftragten mehrheitlich ihre Mitglieder in der Großen Tarifkommission damit, am 29. November das Verhandlungsergebnis abzulehnen. Damit machten sie klar: Die Tarifrunde ist noch keineswegs gelaufen; jetzt muss die Gewerkschaftsbasis über die Details, samt „differenzierender“ Ausstiegsklauseln für Unternehmen, informiert werden; braucht es eine breite Diskussion zur Bewertung des Verhandlungsergebnisses vom Arbeiterstandpunkt aus, müssen die IG-Metall-Mitglieder deutlich machen, welche Kritiken und Forderungen sie haben. Hat doch die IG-Metall-Bezirksleitung extra zur Diskussion des geplanten Tarifabschlusses aufgerufen!
Warum wurde die überdeutlich gewordene Kampfkraft der Metaller nicht voll eingesetzt?
Das Bemerkenswerte an der Ablehnung des Verhandlungsergebnisses durch die Vertrauensleute war dabei, dass zu ihrer Vollversammlung eigens der IG-Metall-Bezirksleiter, Verhandlungsführer und als Nachfolger des IG-Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann gehandelte Roman Zitzelsberger eingeladen war. In dessen „Metalldetektor“ Podcast #6 [1] hat er nicht nur die „erstaunlich vielen positiven“ Rückmeldungen erwähnt, sondern auch, dass ihm der Betriebsratsvorsitzende von Mercedes Untertürkheim und Mitglied der Großen Tarifkommission, Michael Häberle, mitgeteilt habe: Bei uns brennt die Hütte, „die Leute sind überhaupt nicht mit dem Verhandlungsergebnis einverstanden“. Zitzelsberger macht verbal auf "Transparenz" und dass er auf "Diskussion großen Wert lege". Damit reagiert er formal auf Kritik am früheren Kommandostil der IG-Metall-Führung. Seine Intention ist, die wichtigsten Kritiken der Vertrauensleute zu entkräften: Das Schönrechnen des Ergebnisses als 8,5 Prozent; am 1. Juni 2023, also nach acht Monaten, die erste tabellenwirksame Lohnerhöhung, die zweijährige Laufzeit. Und das Wichtigste: Warum wurde die - mit 900.000 an den Warnstreiks beteiligten Metallerinnen und Metaller - überdeutlich gewordene Bereitschaft für Urabstimmung und einen Vollstreik nicht eingesetzt?
Das ist doch kein Arbeiterstandpunkt!
Im Podcast rechtfertigt Zitzelsberger das mit seiner Verantwortung für die Teile der Metall- und Elektroindustrie, die wirtschaftlich schwächer und wo die Metaller nicht so kampfstark seien. Er missbraucht dazu die „Solidarität“, die laut Zitzelsberger darin bestehe, auch „Dinge mitzutragen, die man selbst für zu schwach hält“. Gerade umgekehrt wird ein Schuh draus! Es ist ein gewerkschaftliches Grundprinzip, dass die kampfstarken Betriebe die Kohlen für die schwächer aufgestellten Betriebe aus dem Feuer holen. Auch Kleinbetriebe, Handwerksbetriebe und andere, die selbst von den Monopolen und Übermonopolen diktatorisch in die Zange genommen werden, profitieren von starken Gewerkschaften, der Kampfkraft ihrer Mitglieder und ihrem Kampf gegen die Monopole. Die MLPD setzt sich seit jeher auch für Interessen von kleinen Selbständigen ein, so z. B. in der Corona-Pandemie. "Solidarität" im Sinne der konzertierten Aktion von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Organisierung eines sozialchauvinistischen Burgfriedens gibt es für uns hingegen auf keinen Fall, schon gar nicht in Zeiten, wo der deutsche Imperialismus auf Kriegskurs ist.
Julia Scheller: Baden-Württemberg wird ein ganz anderer Pilotbezirk!
Rote Fahne News hatte die ganze Zeit über die Tarifrunde und insbesondere über die Streikbewegung der IG Metall und die machtvolle Beteiligung der Arbeiter und Arbeiterinnen berichtet. Das Verhandlungsergebnis wurde umgehend beurteilt, das Zentralkomitee der MLPD veröffentlichte ein Flugblatt dazu, das breit verteilt und diskutiert wird: "Gesamtmetall knickt vor der Kampfbereitschaft der Metallerinnen und Metaller ein - Verhandlungsergebnis ist fauler Kompromiss - Mit Flugblatt!" Nicht umsonst gehören dieser Artikel und ein weiterer zur Metall-Tarifrunde zu den meistgelesenen Rote-Fahne-News-Beiträgen im November! Julia Scheller, Landesvorsitzende der MLPD in Baden-Württemberg und Mitglied des Zentralkomitee der MLPD, sagt zur Debatte und Positionierung zum faulen Kompromiss im Verhandlungsergebnis in der Metalltarifrunde: „Sorgen wir dafür, dass Baden-Württemberg zum Pilotbezirk für den gewerkschaftlichen und selbständigen Kampf gegen die Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten sowie des aktiven Widerstands der Arbeiter gegen die imperialistischen Kriege wird!“
"Als wenn einem jemand in die Speichen greift"
Aus Nordrhein-Westfalen berichten Korrespondenten: "Freitag früh war ein Verhandlungsergebnis da. Auf unserer Schicht wurde heiß diskutiert. Einzelne Kollegen sind zufrieden, vor allem solche, die vorher fast keine Erwartungen hatten. Aber die übergroße Mehrheit der Kollegen war unzufrieden bis sauer. Erstes Ärgernis ist die lange Laufzeit von 24 Monaten. 2024 soll es mickrige 3,3 Prozent Lohnerhöhung geben. Dabei weiß niemand, wie sich bis dahin die Inflation entwickelt. Dann gleicht die vereinbarte Lohnerhöhung in keiner Weise die jetzige Inflation aus. 5,2 Prozent ab Juni 2023, während die Inflation bei offiziell über 10 Prozent liegt. Der NRW-Berzirksleiter der IG Metall betonte bei einem Warnstreik, dass man eine „Kriegsinflation“ nicht mit der Tarifrunde ausgleichen könnte. Er wollte die Erwartungen reduzieren. Bezahlen dürfen wir sie, für einen wirklichen Ausgleich sollen wir aber nicht kämpfen? Ein Kollege sagte: „Als wenn einem jemand bei voller Fahrt in die Speichen greift.“ Noch Freitag haben wir eine Liste aufgesetzt, fast alle haben unterschrieben und damit die Tarifkommission NRW aufgefordert, das Verhandlungsergebnis nicht zu übernehmen."
Kritikbewegung stärkt Gewerkschaften
Unter den Kolleginnen und Kollegen in der IG Metall, die gezeigt haben, dass sie voll solidarische Gewerkschafter sind und die IG Metall zur Kampforganisation machen wollen, hat sich gerade deshalb auch eine Menge Kritik angesammelt: Dass immer wieder nicht die volle gewerkschaftliche Kampfkraft entfaltet wird, um die aufgestellten Forderungen durchzusetzen; dass sich auf ökonomische Fragen beschränkt wird und der Krisen- und Kriegskurs der Regierung oder die drohende Umweltkatastrophe viel zu wenig am Pranger stehen; dass Olaf Scholz mit der konzertierten Aktion die IG-Metall-Führung über den Tisch zieht; dass in der IG Metall nach wie vor Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegen kämpferische Kollegen existieren, die der MLPD zugerechnet werden. Kritikbewegungen in der Gewerkschaft sind Initiativen der positiven Gewerkschaftsarbeit, die die Gewerkschaft stärken! Das war z.B. so bei der Petition "Aufstand des gewerkschaftlichen Gewissens": Mit 10.000 Unterschriften griff sie den Verrat der IG-Metall-Führung an den Opelanern an und stärkte den Gedanken der Gewerkschaft als Kampforganisation. Heute geht es auch darum, gemeinsam mit den Arbeitern in anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Griechenland, Italien ... den länderübergreifenden Kampf gegen die Abwälzung der Krisen- und Kriegslasten auf die Massen zu führen.