Ein Jahr Ampel-Regierung
Vom „Fortschrittsbündnis“ zur Kriegsregierung
Gestern vor einem Jahr, am 8. Dezember 2021, legte Olaf Scholz seinen Amtseid als Bundeskanzler ab. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP startete in ihre Amtszeit mit einer als Talkshow inszenierten Pressekonferenz und mit vollmundigen Versprechungen.
„Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, lautete die Überschrift des Koalitionsvertrags. Die erste große Herausforderung der neuen Regierung war die damals dramatische Welle von Corona-Infektionen. Und das erste gescheiterte Projekt von Kanzler Scholz war denn auch die Einführung einer Impfpflicht.
Ein Jahr und viele geplatzte Versprechungen später gibt der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil der Regierung die Note „Drei plus“. Die Wähler haben da trotz aller medialer Beschönigungen, trotz intensivster psychologischer Kriegsführung eine etwas andere Wahrnehmung. Die Ampel-Koalition hätte keine Mehrheit, wenn sie sich jetzt einer Neuwahl stellen müsste: Gestartet mit 52 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl 2021, landet sie nach einem Jahr bei nur noch 45 Prozent. Dabei sind es nicht so sehr die konkreten Maßnahmen, die der Regierung angekreidet werden, sondern ihre verlogene und reaktionäre Grundhaltung.
Statt Fortschritt und Freiheit – Abbau demokratischer Rechte
Die „Freiheit“ wurde mit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine aufgeblasen wie ein Luftballon: Bombastische Reden von „Verteidigung von Freiheit und Demokratie gegen die Autokratie“ wurden gehalten. Kein Opfer schien groß genug für die „Freiheit“: Ein Sondervermögen für die Aufrüstung, Lieferung schwerer Waffen in das Kriegsgebiet, der Wirtschaftskrieg mit verheerenden Folgen für die Energiepreise, Fracking-Gas und Weiterbetrieb von Atomkraftwerken.
Wie weit es mit der Verteidigung der "Freiheit" her ist, zeigt sich nicht nur in der Ukraine, wo die Regierung von Wolodymyr Selenskyj zahlreiche von der Arbeiterbewegung erkämpfte Rechte und Freiheiten abschafft oder beschneidet. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte auch kein Problem damit, für einen verheerenden Gas-Deal seinen "Diener" vor dem faschistoiden Emir von Katar zu machen. Weitere Aufwartungen folgten bei den reaktionären Regimes von Aserbaidschan, Saudi-Arabien oder Kasachstan und zuletzt die elende Heuchelei von Annalena Baerbock in Indien, wo sie den faschistischen Präsidenten Modi als „Wertepartner“ hofierte.
Der Geist der „Freiheit“ weht in der Flüchtlingspolitik den Menschen ins Gesicht, wo nach wie vor Tausende die "Freiheit" haben, im Mittelmeer zu ertrinken oder an der polnischen Grenze zu erfrieren. Diesen Flüchtlingen hilft eine schnellere Einbürgerung nichts, denn sie kommen gar nicht erst nach Deutschland. Und wessen „Freiheit“ dient die Einführung der Vorbeugehaft für kämpferische Umweltschützer und Revolutionäre, die Strafandrohung für abweichende Meinungen zu Kriegsverbrechen und Völkermord oder die Einführung eines Territorialkommandos der Bundeswehr gegen den „inneren Feind“?
Statt „Abrüstung“ und Umweltschutz Kriegsvorbereitung und umweltpolitischer Kahlschlag
„Wir setzen uns für eine Wiederbelebung der internationalen Abrüstung und Rüstungskontrolle ein,“ schreiben die Koalitionäre auf Seite 143. Davon blieb nichts übrig. Die Bundesregierung hat mit der Ausbildung von ukrainischen Soldaten, mit Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Ukraine Deutschland faktisch zur Kriegspartei gemacht. Zusammen mit Frankreich forciert sie den Aufbau des europäischen Militarismus, will sich mit der Anschaffung von 35 Tarnkappenbombern des Typs F35 an der Vorbereitung eines atomaren Erstschlags beteiligen und sämtliche Beschränkungen für Rüstungsexporte fallenlassen.
Die Slogans von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit haben ebenfalls nachhaltig gelitten. Binnen kürzester Zeit werden vermeintlich „grüne Grundsätze“ über Bord geworfen und Terminals zur Anlandung des umweltschädlichen Frackinggases (LNG) durchgepeitscht sowie der Kohle- und Atomausstieg „verschoben“.
„Konzertierte Aktion“ contra Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse
Beim sogenannten Arbeitgebertag am 13. September sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, dass es Ziel der „Konzertierten Aktion“ zwischen Monopolverbänden, Gewerkschaftsführung und Regierung sei, „dass das Unterhaken in den Betrieben und den Unternehmen bei den Sozialpartnern“ gelinge. „Unterhaken“ in Zeiten des Ukrainekriegs sieht für die Ampelkoalition so aus, dass die Arbeiter und Angestellten auf den Kampf um höhere Löhne verzichten sollen zugunsten der Profite der Monopole und deren „globaler ökonomischer Stärke“.
Krankes Gesundheitswesen für gesunde Profite
„Ökonomische Aspekte sollen bei der Behandlung künftig keine Rolle mehr spielen“, behauptet Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und kündigt gleich eine „Revolution“ im Gesundheitswesen an. Doch Lauterbach, der selbst bei der Einführung der sogenannten Fallpauschalen 2003 federführend dabei war, will nach der wachsenden öffentlichen Kritik daran vor allem etwas zurückrudern. Selbstverständlich denkt er nicht daran, an der Privatisierung des Gesundheitswesens zu rütteln. "Ökonomische Aspekte" werden also auch in Zukunft die ausschlaggebende Rolle spielen. Schon für seine Zugeständnisse wird der Gesundheitsminister nun von ultrareaktionären Politiker des "Sozialismus" bezichtigt.
Ein Jahr Ampel-Koalition hat vor allem eines gebracht: Eine neue Qualität der Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten auf die Massen und vor allem mit dem Slogan „Ukrainekrieg“ gerechtfertigt. Diese Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten ist eingebettet in ein verfeinertes Regierungssystem der kleinbürgerlichen Denkweise, das mit kleinen Zugeständnissen und Begriffen so tut, als ob es um die Interessen der Massen ginge. Dem dienen die Erhöhung des Mindestlohns, die Übernahme eines Energieabschlags im Dezember, die 300 Euro Inflationsausgleich und andere Maßnahmen.
Auch aus diesem Grund sind Politiker wie Habeck und Baerbock bei einem Teil der Massen noch relativ beliebt, sind die Grünen sogar in den Umfragen gegenüber der Bundestagswahl noch gestiegen. Dazu trägt bei, dass sie nicht müde werden, ihren umweltpolitischen Kahlschlag als "nachhaltige Politik", Beitrag zum "Klimaschutz" und so weiter auszugeben. Die Regierungspolitiker inszenieren sich als Macher, die mit „Doppel-Wumms“ das Schlimmste verhindern.
Diskussion über gesellschaftliche Perspektive forcieren
Dagegen wächst vor allem unter den Arbeiterinnen und Arbeitern die Bereitschaft zu Protest und Widerstand, wie die kämpferischen Tarifrunden der letzten Monate gezeigt haben. Gleichzeitig bewegen sich selbständige Kämpfe noch auf niedrigem Niveau und kommt es bisher noch nicht zu Massenprotesten gegen die Regierung. Um die noch wirkende Verunsicherung zu überwinden, kommt der wachsenden Klarheit über die gesellschaftliche Alternative zentrale Bedeutung zu. Umso wichtiger ist es, die Diskussion über den echten Sozialismus noch viel mehr als bisher schon zu einem Massenthema zu machen.
Eine gute Möglichkeit dafür ist die Strategiedebatte der neuen Friedensbewegung am 14. Januar 2023 in Berlin in Verbindung mit der Teilnahme an der Demonstration für Lenin, Liebknecht und Luxemburg, der größten Demonstration in Europa für den Sozialismus.