Zieht größere Kreise
EU-Parlament in großen offenen Korruptionsskandal verstrickt
Am Freitagabend wurde die griechische Europapolitikerin Eva Kaili von der belgischen Polizei wegen Korruptionsverdachts festgenommen. Kaili ist bzw. war eine der vierzehn Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, das damit mächtig in die Bredouille kommt.
Nach einem Bericht der Zeitung „L’Echo“ wurden sie und ihr Vater auf frischer Tat ertappt. Der Vater sei mit einem „Koffer voller Geldscheine“ erwischt worden. Weitere mit Bargeld gefüllte Taschen wurden bei einer Hausdurchsuchung gefunden. Die griechische sozialdemokratische Partei Pasok, deren Mitglied Kaili war, schloss sie auf der Stelle aus; sämtliche Kompetenzen und Aufgaben als Vizepräsidentin des EU-Parlaments wurden ihr ebenfalls entzogen.
Sie ist jedoch keineswegs die einzige Beschuldigte. Nach Hausdurchsuchungen an sechzehn unterschiedlichen Orten in Brüssel, darunter Büros im EU-Parlament, wurden zunächst fünf weitere Personen von der Polizei verhört und vorläufig in Gewahrsam genommen. Gegen vier von ihnen wurde Haftbefehl erlassen, wie die belgische Bundesanwaltschaft am Sonntag mitteilte.
Offenbar hat Eva Kaili sich für viel Geld kaufen lassen, um Qatar als Ausrichter der Fußball-WM als „Vorreiter bei Arbeitnehmerrechten“ zu lobpreisen. Am 21. November sprach sie im Europäischen Parlament zu einer Entschließung zur Lage der Menschenrechte und zur Rolle des Weltfußballverbands bei der Vergabe der WM. Sie wirkte auf die Streichung einer Passage hin, in der der Tod von mehr als 6000 Bauarbeitern auf den Baustellen für die WM angeprangert wurde. Die Resolution einschließlich der Passage wurde trotz Kailis bezahlter Fürsprache verabschiedet.
Nach einem Bericht der Zeitung „Le Soir“ bleibt neben Kaili der frühere EU-Abgeordnete Pier-Antonio Panzeri, italienischer Sozialdemokrat, in Haft. Er ist Präsident der Nichtregierungsorganisation „Kampf gegen Straflosigkeit“. In seinem Privathaus wurde ein Koffer mit 600.000 Euro Bargeld beschlagnahmt. Er hatte seine Karriere als Gewerkschaftsfunktionär und langjähriger Sekretär der Mailänder Arbeitskammer begonnen. 2004 wurde er für eine Nachfolgeorganisation der revisionistischen Partei ins Europaparlament gewählt. 2019 gründete er die NGO "Fight impunity". Er blieb nach seinem Ausscheiden aus dem EU-Parlament in Brüssel als sogenannter Lobbyist. Eine unter fortschrittlichem Nimbus agierende NGO als Tarnung für Korruption und Geldwäsche - es gibt nichts, was es nicht gibt. Panzieri war offenbar die treibende Kraft bei den kriminellen Machenschaften. In den italienischen Medien wird er als "Meister der Kontakte" beschrieben, als "Türöffner" u.a. zu europäischen Gewerkschaftskreisen. Deren Lob hat das qatarische Image ebenfalls aufpoliert.
Luca Visentini, ebenfalls verhaftet, war bzw. ist u.a. Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes und des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Öffentlich sprach er mehrmals davon, die Fußball-WM in Qatar sei eine "Erfolgsgeschichte aus Arbeitnehmersicht". Auffällig ist: Die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbundes Sharan Burrow hatte die Zustände in Qatar früher als "moderne Sklaverei" bezeichnet. 2017 sagte Qatar zu, einen Mindestlohn einzuführen und Arbeiter nicht länger daran zu hindern, das Land zu verlassen. Das würdigte Burrow dann als "den Beginn echter Reformen." Sie habe die Zusagen persönlich mit dem Emir und dem Arbeitsminister ausgehandelt. Eine Untersuchung bei der UN-Arbeitsorganisation (ILO) wurde daraufhin eingestellt. Es geht noch weiter: Der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) - vom Großaktionär Qatar in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank entsandt - beklagte auf Twitter die "deutsche Arroganz" gegenüber dem Land.
Offene Geldwäsche und Korruption und das in diesem Ausmaß sind sicher nicht in "voller Übereinstimmung mit internationalem Recht und internationalen Regeln", wie es in einer Stellungnahme aus Qatar heißt. Aber das Entsetzen der bürgerlichen Politiker in ganz Europa ist Heuchelei und ein schlechter Witz. Das "Ansehen der Demokratie" werde beschädigt, so ein Abgeordneter der Grünen. Demokratie? Demokratie, wörtlich übersetzt gleich "Volksherrschaft", hat mit dem imperialistischen Bündnis EU so viel zu tun wie ein Regenwurm mit dem aufrechten Gang.
Stefan Engel schreibt in „Götterdämmerung über der ‚neuen Weltordnung‘“: „Die EU-Organe sind ebenso wie die der einzelnen Staaten mit den Organen der internationalen Monopolverbände Europas verschmolzen und setzen die Interessen dieser Übermonopole auch gegen nationalstaatliche Interessen durch.“ Legale und illegale Korruption über tausend Kanäle gehören ebenso dazu wie Einflussnahme reaktionärer Nicht-EU-Staaten.
Die aktuelle Krise des EU-Parlaments ist Bestandteil der Weltkrise, in der internationale Organisationen wie die UNO, die NATO oder auch die EU in mehr oder weniger offene Krisen geraten. Sie vertieft auch die offene Krise der Sozialdemokratie.