Größte Streikwelle dieses Jahrhunderts
Arbeiterklasse in Großbritannien meldet sich zu Weihnachten mit einer breiten Streikwelle zu Wort!
Aktuell wird die reaktionäre Regierung von Premierminister Rishi Sunak in England von einer Streikwelle heimgesucht, die von den Gewerkschaften auch über Weihnachten und Neujahr an verschiedenen strategischen Punkten des öffentlichen Lebens fortgeführt wird. Mehr als eine Million Werktätige sind im Lauf des Dezember vermutlich im Streik.
Es ist die größte Streikwelle dieses Jahrhunderts. Die britische Regierung setzte darauf, dass der breiten Öffentlichkeit gegen die andauernden Streiks der Kragen platzt. Doch es kam anders: Eine Analyse der „Financial Times“ stellt fest, dass eine deutliche Mehrheit der Briten hinter den Streikenden steht.
Hunderttausend Pflegerinnen und Pfleger im Streik
Bis zu hunderttausend Krankpfleger legten letzten Donnerstag in England, Wales und Nordirland ihre Arbeit nieder. Der zwölfstündige Ausstand war der erste landesweite Streik in der über hundertjährigen Geschichte der Gewerkschaft Royal College of Nursing (RNC). Allein in England fehlen fast 47.000 Krankenschwestern und -pfleger. Matt Tracey aus den englischen Midlands beschreibt die Lage so: "Auf den Stationen gibt es eine Mindestanzahl von Pflegekräften, die es braucht. Aber die gibt es nicht. Stattdessen wird die Arbeit auf die wenigen verteilt, die da sind. Die sind ausgebrannt und müde." Für das Pflegepersonal ist das reale Lohnniveau seit 2010 im Durchschnitt um acht Prozent gesunken, laut Gewerkschaft in manchen Fällen sogar um 20 Prozent. Jetzt muss ein Ausgleich her, der deutlich über der offiziellen Inflationsrate von 11,1 Prozent liegt: Die Pflegekräfte fordern eine Lohnerhöhung von 19 Prozent.
Britische Gesundheitssystem in der Krise
Derzeit warten mehr als sieben Millionen Briten auf eine Behandlung oder Operation, viele von ihnen monatelang. Selbst in Notfällen gibt es häufig keine schnelle Hilfe mehr und Menschen müssen deshalb sterben. Menschen warten stundenlang auf den Rettungsdienst, der niemanden schicken kann, weil sie überlastet sind. Und das alles nicht wegen des Streiks – sondern wegen des massiven Mangels an Personal! Rachel Harrison von der Gewerkschaft GMB: die Rettungssanitäter „haben zwölf Jahre der Lohnkürzungen hinter sich, sie haben in der vordersten Reihe gegen die Pandemie gekämpft und jetzt stehen sie vor der schlimmsten Krise der Lebenshaltungskosten seit einer Generation“ (zitiert nach WAZ vom 14.12.22). Morgen, am 21. Dezember, wollen auch zirka 25.000 Sanitäter erstmals seit 30 Jahren streiken und ihren Notruf absetzen.
Tiefe ökonomische und politische Krise
Bereits am 14. Dezember haben die rund 40.000 Bahnarbeiter die Arbeit niedergelegt, darunter Schaffner, Ingenieure, Reinigungspersonal und Stellwerker. Weitere Streikperioden sind vorgesehen. Sie fordern Lohnerhöhungen, die Garantie, dass keine Stellen abgebaut oder die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden. Am 16. Dezember legte das Bodenpersonal am Flughafen Heathrow für 72 Stunden die Arbeit nieder. Auch Grenzbeamte und Sicherheitspersonal am Eurotunnel wollen in den Ausstand treten. Diese Streiks haben ihren Hintergrund in einer tiefen ökonomischen und politischen Krise Großbritanniens, die sich seit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2018 mit der internationalen Coronakrise durchdringt und die sich gegenseitig verschärfen. Hinzu kommen die Veränderungen durch den Brexit unter dem Motto „Großbritannien first“. So hat die britische Regierung die Einwanderungsgesetze seit dem Brexit verschärft. Heute fehlen z.B. dringend die Handwerker aus Polen oder die LKW-Fahrer, so dass es letztes Jahr bereits zu einer Lebensmittelkrise kam.
Die Rishi-Sunak-Regierung versucht die Krisenfolgen auf die breiten Massen abzuwälzen
Inzwischen müssen elf Prozent der Engländer vom Universal Credit (Sozialhilfe) leben, auch wenn sie arbeiten, reicht das Geld nicht zum Leben. Die Foodbanks (Tafeln) sind seit 2016 um 1000 auf 2200 gestiegen. Seit Monaten kursiert in England der Spruch „heat oder eat?“ (Heizen oder Essen?). Die Regierung versucht mit geringen Hilfen die unsozialen Härten abzumildern, indem sie z.B. 400 Pfund Nachlass auf ihre Gas- und Stromrechnung gewährt, unabhängig vom Einkommen. Auch startete sie eine Regierungskampagne, die 21 Millionen Euro kostet. Damit will sie der Bevölkerung beibringen, wie man Strom und Heizung spart und das noch in einem Video im eigenen luxuriösen Haus des Energieministers Grant Shapps. Frei nach dem Motto: Ihr habt hohe Energiepreise? Selbst schuld! Krasser kann man die Bevölkerung der ehemaligen Bergbaugebiete, die in schlecht isolierten Häusern leben müssen, nicht vorführen.
Provokationen der Regierung
Der neue Premier zeigt sich gleich von seiner offen arbeiterfeindlichen und reaktionären Seite. Zuerst warf die Regierung den Eisenbahnern vor, sie würden „die Öffentlichkeit in Geiselhaft“ nehmen. Doch die streikenden Eisenbahner sind keine Bankräuber, die bekannt für Geiselnahmen sind. Tag für Tag transportieren sie Millionen Briten sicher und selbstlos durchs Land. Es ist ihr Recht, für ihre völlig berechtigten Anliegen die Arbeit niederzulegen und in den Streik zu treten. Der Kabinettsminister Nadhim Zahawi setzte einen obendrauf und warf den Pflegern vor, ihre Lohnforderungen würden direkt in Putins Hände spielen. So hätten es die Regierungen gerne: Die Arbeiter sollen brav nickend die Überausbeutung und Unterdrückung hinnehmen, damit diese ungestört ihre Weltkriegsvorbereitung vollziehen kann. Sobald die Arbeiter diese Burgfriedenspolitik durchbrechen, werden sie als Putin-Unterstützer beschimpft.
Doch als sei diese psychologische Kriegsführung nicht genug, will die Regierung nun mindestens 1200 Soldaten als Streikbrecher ausbilden und einsetzen. Sie sollen Flughäfen, den Grenzschutz und gar Rettungswagen übernehmen. Das ist eine neue Qualität in der Rechtsentwicklung der britischen Regierung in offener Konfrontation zur kampferprobten britischen Arbeiterklasse. Was passiert denn, wenn die Streikenden die Streikbrecher aus der Armee von ihrem Werk abhalten wollen? Kämpft dann die Armee gegen die Arbeiter im eigenen Land? Dieser Schritt bedeutet eine massive Militarisierung und Entrechtung der Arbeiterklasse.
Unsere Solidarität gehört der kämpfenden Arbeiterklasse in Großbritannien
Wir rufen die Gewerkschaftsbewegung und die Arbeiter in den Betrieben in Deutschland auf, sich mit den Streikenden in Großbritannien zu solidarisieren. Ihre Situation, ihr Leben und ihre Kämpfe sind mit unserem Leben und Erfahrungen in Deutschland eng verbunden. Bleibende Erfolge der Streiks werden davon abhängen, wie es der Arbeiterklasse Großbritanniens gelingt, in den gesellschaftlichen politischen Kampf einzugreifen und die Regierung als Bestandteil des internationalen Finanzkapitals ins Visier zu nehmen, die ihnen die geringen Löhne und die hohe Inflation als Folge des Ukrainekriegs verkaufen will.