Weihnachtsansprache in Kriegs- und Krisenzeiten

Weihnachtsansprache in Kriegs- und Krisenzeiten

Bundespräsident beschwört große vaterländische Einheit

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier widmet sich den drei großen Themen des Jahres 2022: Krieg, Krise, Umweltkatastrophe. Und eins muss man ihm lassen: seine schauspielerischen Fähigkeiten hat er in diesem Jahr nocheinmal gesteigert.

Von Tassilo Timm
Bundespräsident beschwört große vaterländische Einheit
Die richtige Antwort in Kriegs- und Krisenzeiten!

Seine ihm zugetragene Rolle spielt er gut, als Bundespräsident, die Massen für ein Stillhalten und Mittragen des Kriegs- und Krisenkurses des imperialistischen Deutschland zu gewinnen. Steinmeier heuchelt Verständnis für „die Furcht vor einer Ausweitung der Kämpfe, all das verstört und verängstigt viele Menschen in unserem Land.“ (alle Zitate aus der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten)

 

Steinmeier steht an der Spitze eines der imperialistischen Länder, die aktiv einen Dritten Weltkrieg vorbereiten, dafür den Wehretat ins Unermessliche steigern, die Rüstungsproduktion anheizen, sich atomwaffenfähige F-35-Kampfflugzeuge anschaffen usw. Einen Vorschlag für ein Ende des Kriegs hat Steinmeier nicht. Das kompromisslose Festhalten daran bemäntelt er so: " ... ist es ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir den Angegriffenen, den Bedrohten und Bedrückten beistehen. Auch damit setzen wir im Dunkel des Unrechts ein Licht der Hoffnung.“

 

Selbstverständlich gilt den vom Krieg betroffenen Menschen sowohl in der Ukraine als auch in Russland unsere volle Solidarität. Diese Art von Solidarität ist es jedoch nicht, die Steinmeier meint. Seine bürgerliche „Solidarität“ gilt den Herrschenden in der Ukraine, die sich der NATO und der EU anschließen wollen. Seine bürgerliche „Solidarität“ meint Lieferung schwerer Waffen, meint brutale Rückeroberung der von Russland annektierten Gebiete.

 

Steinmeier beklagt, „Aber dieser Friede ist noch nicht greifbar“. Ein Friede, den sich tatsächlich die Menschheit wünscht, rückt mit immer neuen millionenschweren Waffenpaketen für die Ukraine in immer weitere Ferne! Beide Seiten setzen weiterhin auf maximale Eskalation, sind nicht bereit, von ihren Maximal-Zielen auch nur einen Millimeter abzurücken und z.B. auf Gebiete zu verzichten. Die Situation birgt jederzeit das Potential einer Ausweitung zu einem Weltkrieg. Steinmeier ist an einem sofortigen Frieden kaum interessiert. Das wird deutlich, wenn er sagt: „Es muss ein gerechter Friede sein, der weder den Landraub belohnt noch die Menschen in der Ukraine der Willkür und Gewalt ihrer Besatzer überlässt.“

 

Ein gerechter Friede? Im Imperialismus wird es niemals einen gerechten Frieden geben, da es auf beiden Seiten kapitalistische Räuber sind, die sich die rohstoffreichen und hochindustrialisierten Gebiete unter den Nagel reißen bzw. sie behalten wollen. Und „Willkür und Gewalt“ gibt es nachgewiesenermaßen auf beiden der kriegführenden Seiten. Ob die Arbeiter von russischen oder ukrainischen Oligarchen ausgebeutet und unterdrückt werden, ändert an ihrer grundsätzlichen Lage nichts. Lenin sagte vor Ende des Ersten Weltkrieges: „Gibt es einen Weg zu einem gerechten Frieden ohne Austausch von Annexionen (Eroberungen), ohne Teilung der Beute unter die kapitalistischen Räuber? Es gibt einen solchen Weg – er führt über die proletarische Revolution gegen die Kapitalisten aller Länder“ (Prawda Nr. 75, Juni 1917, LW Band 20, S. 144). Der Gedanke an diese Option für einen gerechten Frieden – eine sozialistische Revolution – lässt Steinmeier  erzittern. Bei den Kämpfen in der Welt, ob im Iran oder Peru, wird allerdings deutlich, dass dieser Gedanke durchaus zur Realität werden kann, wenn er die Massen ergreift.

 

Zuletzt nimmt sich der Bundespräsident eines der drängendsten Probleme der Menschheit vor: „Auch der Kampf gegen den Klimawandel hat nichts an Dringlichkeit verloren.“ So ist es. Aktuell erschien die Meldung, dass Teile des Mittelmeer im kommenden Sommer erstmals mehr CO2 ausstoßen könnte, als es bindet (Tagesschau.de 25.12.). Damit bildet sich ein weiterer konkreter Kipppunkt der globalen Umweltkatastrophe heraus. Und dabei lässt Steinmeier geflissentlich beiseite, dass die Klimafrage nur eines von mindestens 12 Merkmalen dieses Umschlags ist.

 

Steinmeier kommt nicht umhin, den tiefen Wunsch der Massen auszusprechen: „Wir alle haben doch ein gemeinsames Ziel: dass die Jüngeren nicht die 'letzte Generation' sind, sondern die erste Generation einer klimafreundlichen Welt.“ Und welchen Weg zeigt er auf, um das Wirklichkeit werden zu lassen? „Wir brauchen doch beides: den Ehrgeiz der Jungen und die Erfahrung der Alten.“ Tatendrang der Jugend und Erfahrung der Alten? Da erinnern sich einige ältere Ostdeutsche noch an den sozialistischen Aufbau in der DDR, wo tatsächlich diese beiden Dinge zusammenkamen. Damit diese beiden Faktoren verwirklicht werden können, braucht es tatsächlich andere gesellschaftliche Verhältnisse. Bereits jetzt jetzt zeigen hunderttausende Junge ein sehr großes Maß an „Ehrgeiz“, wenn sie bei Fridays for Future auf die Straße gehen, bei ihren Einkäufen versuchen, Verpackungsmüll zu vermeiden, sich in den Widerstandsgruppen des REBELL engagieren, oder auch im persönlichen Leben sich umweltbewusster zu verhalten. Bereits jetzt bringen hunderttausende Erwachsene ihre „Erfahrungen“ ein, wenn sie als Arbeiter oder Ingenieure die Umweltsünden „ihrer“ Konzerne kritisieren und sich Gedanken über alternative Produktionsmethoden machen.

 

Nicht zuletzt drückt die Rede Steinmeiers die tiefe Krise der bürgerlichen Ideologie aus, wenn sie Anleihen nehmen muss bei den Werten der Arbeiterbewegung, mit denen die Herrschenden bekanntlich wenig am Hut haben, so wenn er mehrfach betont, dass die Menschen in diesem Jahr so „solidarisch“ waren und er denen dankt, „die auch heute und über die Feiertage arbeiten“. Mal sehen, ob er sich an diese Dankbarkeit noch erinnert, wenn die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst beginnen.