Nachruf von Dr. Rainer Werning
Abschied vom „Geliebten Krieger“
Rainer Werning hat einen persönlichen Nachruf auf José Maria Sison (83) verfasst, den verstorbenen Gründungsvorsitzenden der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP). "Rote Fahne News" dokumentiert ihn.
„Amado Guerrero“ (Geliebter Krieger) war spätestens zu Beginn der 1970er Jahre für fortschrittliche und linke Sozialaktivisten in den Philippinen zum Inbegriff eines revolutionären Aufbruchs in diesem südostasiatischen Inselstaat geworden. Es war, wie sich erst Jahre später herausstellen sollte, der Nom de guerre von José Maria Sison – von seinen Freunden kurz „Ka (Genosse) Joma“ genannt –, der am 16. Dezember mit 83 Jahren im niederländischen Exil an Herzversagen verstarb.
Am 27. Dezember wurden die sterblichen Überreste eines Mannes in Utrecht eingeäschert, dessen Name über ein halbes Jahrhundert lang eine elektrisierende Wirkung ausübte und für Linke und Revolutionäre weltweit zu einem Markenzeichen wurde. Gedenk- und Trauerveranstaltungen für den Verstorbenen werden auch in den kommenden Tagen vielerorts inner- wie außerhalb der Philippinen stattfinden. Eines ist bereits heute gewiss: José Maria Sison alias Amado Guerrero wird lange über seinen Tod hinaus einen hohen Bekanntheitsgrad wahren und all jene inspirieren, die sich ungebrochen für Demokratie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und einen echten Sozialismus engagieren.
Für einen Menschen wie Sison aka Guerrero, der aus gutsituiertem Hause mit chinesischen Wurzeln stammte, bedeutete der erste notwendige Schritt in Richtung Politisierung zuvörderst eins – Klassenverrat. Eine bewusste Entscheidung, die Menschen gleicher Herkunft und Couleur vor und nach ihm fällten. Wer mit der Geschichte der Philippinen auch nur halbwegs vertraut ist, wird mühelos nachvollziehen können, dass grassierende Armut, Unterdrückung und Ausbeutung in einem Klima staatlicher Gewalt mitsamt einem elastischen, einzig im Sinne der Herrschenden verfahrenden Justizsystems jeden sensiblen und umsichtigen Geist dazu verleitet, klar Position zu beziehen: Ein wie immer geartetes Arrangement mit den gegebenen Verhältnissen oder fortwährender Kampf, um eben diese im Marxschen Sinne „zum Tanzen“ zu bringen.
Sison entschied sich für die letzte Option. Von Haus aus begabt und mit reichlich Esprit und Intelligenz ausgestattet, gelang es ihm schon früh, im Kreise seiner Mitschüler und Kommilitonen herauszuragen und Führungspositionen einzunehmen. Hervorgehoben sei hier seine Rolle als Gründer der Kabataang Makabayan (Nationalistischen oder Patriotischen Jugend) im Herbst 1964. Als Mitglied der Partido Komunista ng Pilipinas (PKP) eckte er zunehmend mit deren Spitzenkadern an, denen er Verrat vorwarf und sie schließlich des Revisionismus zieh. Nur folgerichtig konstituierte sich die Partei am 26. Dezember 1968 neu – diesmal auf maoistischer Grundlage und mit Sison als ihrem Gründungsvorsitzenden. Diese Communist Party of the Philippines (CPP) führt mit ihrer drei Monate später entstandenen Guerillaorganisation, der Neuen Volksarmee (NPA), mittlerweile einen der weltweit längsten Befreiungskämpfe. Alle anderen kommunistischen Parteien in der Region Südostasien sind von der politischen Bildfläche verschwunden.
Anfang der 1970er Jahre erschien aus der Feder von Amado Guerrero das Buch Philippine Society and Revolution (Philippinische Gesellschaft und Revolution – kurz: PSR), die philippinische Variante der „Mao-Bibel“ während der Kulturrevolution in der VR China. Dieses Werk, das in mehrere Sprachen (darunter auch von diesem Autor 1973 ins Deutsche) übersetzt wurde, politisierte und radikalisierte eine ganze Generation, die aus seinen Analysen Munition gegen das herrschende Regime bezog. Dieses schlug hart zurück: Der damalige Diktator Ferdinand E. Marcos, Vater des amtierenden Präsidenten, verhängte im September 1972 landesweit das Kriegsrecht über den Inselstaat. Einer der Hauptgründe dafür: Es galt, so Marcos, der „kommunistischen Subversion“ einen Riegel vorzuschieben. Doch ausgerechnet während des Kriegsrechts, das de jure bis Anfang 1981 andauerte, avancierte die NPA laut US-Geheimdienstberichten zur weltweit „schnellst wachsenden Guerillabewegung“.
Sison aka Amado Guerrero war von den Herrschenden seines Landes derweil längst zum Staatsfeind Nummer Eins erklärt und später selbst im Ausland (USA und EU) als ideeller Gesamtterrorist gebrandmarkt worden. Eine Stigmatisierung, die wegen seiner Unbeugsamkeit bis zu seinem Ableben währte – trotz knapp neunjähriger Gefängnishaft (1977 bis Frühjahr 1986) und trotz all der Jahre, die er seit 1987 im niederländischen Exil verbrachte, wo er lediglich einen Duldungsstatus als Asylsuchender in Utrecht genoss. Von dort operierte er an der Seite von Julieta de Lima, seiner Frau sowie Kampf- und Lebensgefährtin, als Chefberater der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP). Die NDFP ist ein seit 1973 bestehendes politisches Untergrundbündnis, dem nebst der CPP/NPA über ein Dutzend weitere Organisationen angehören, und das offiziell bis 2017 mit den Regierungen in Manila Friedensverhandlungen geführt hatte.
Bei diesen Verhandlungen wie auch bei Treffen der International League of Peoples' Struggle (ILPS), als deren Vorsitzender Sison ebenfalls fungierte, erwies sich „Ka Joma“ als ebenso umsichtiger wie beredter Diskutant und Stratege. Er konnte knallhart sein, was bestimmte politisch-ideologische Positionen betraf. Gleichzeitig war und blieb er bis zum letzten Atemzug einer dem Humor jederzeit zugeneigter Zeitgenosse. Gern belustigte er sich selbst über seinen im zarten Jugendalter gehegten Wunschtraum, einmal Bischof zu werden. „Gott sei Dank“ fiel die endgültige Entscheidung zugunsten der CPP und nicht der CBCP aus. Letztere, die Katholische Bischofskonferenz der Philippinen, hätte ihn nur allzu gern in ihren Reihen gesehen. Während sich säkulare Repräsentanten des reaktionären Marcos-Regimes in Gestalt von Sprechern der Streitkräfte und Nationalpolizei von Sisons Tod eine „endgültige Friedenschance“ erhoffen, verkündete das Zentralkomitee der CPP in seiner Erklärung am 26. Dezember anlässlich des 54. Jahrestages der Parteigründung, das Vermächtnis von „Ka Joma“ allseits zu wahren und „taktische Offensiven gegen den Feind zu verstärken“.
Der Autor Rainer Werning verfasste zusammen mit José Maria Sison die Bücher „Die Philippinische Revolution. Eine Innenansicht“ (1993) sowie „Ein Leben im Widerstand“ (2019) – beide erschienen im Verlag Neuer Weg, Essen.