Tunesien

Tunesien

Nachlese zu den Wahlen

Die Parlamentswahlen in Tunesien am 18. Dezember 2022 hatten mit 11 Prozent eine historisch abgrundtiefe Wahlbeteiligung.

Korrespondenz aus Erfurt

Der Präsident Kais Saeed hatte vor einigen Monaten das Parlament aufgelöst und den Islamisten die Macht genommen. Aus diesem Grund begrüßten die Massen in Tunesien diesen Schritt. Die tunesische ICOR-Partei Patriotische Demokratische Sozialistische Partei (PPDS) rief dazu auf, beim folgenden Verfassungsreferendum mit „Ja“ zu stimmen. Obwohl die neue Verfassung umstritten ist und viele Machtbefugnisse beim Präsidenten zentralisiert, ist sie in der Hauptseite als Gegenpol zur islamistisch-ultrareaktionären En-Nahda-Partei zu verstehen.

 

Bei den Parlamentswahlen durften Parteien keine Wahllisten aufstellen. Lediglich Einzelpersonen durften sich zur Wahl aufstellen, explizit mit dem Verbot der Finanzierung durch eine Partei. Ein tunesischer Genosse berichtete, dass viele der bürgerlich-parlamentarischen Kräfte in Gerichtsverfahren aufgrund von Korruption und Terrorismus verwickelt sind und teilweise vor der Auflösung stehen. Mit diesem Vorgehen präsentiert sich der Präsident als Korruptionsbekämpfer und Demokratie-Verfechter.

 

Die Vertrauenskrise in den bürgerlichen Parlamentarismus im tunesischen Volk ist sehr groß. Jahrelang haben sie die Erfahrung gemacht, dass sich ihre alltägliche Lebenssituation massiv verschlechtert, während sich bürgerliche Parlamentarier auf Kosten der Bevölkerung bereichern. Wenig Tunesier hatten Hoffnungen, dass sich durch die Parlamentswahlen irgendetwas ändern würde. Diejenigen, die wählen gegangen sind, sahen sich mit einer langen Liste unbekannter Einzelpersonen konfrontiert. Eine weitere Wirkung der Vertrauenskrise ist, dass viele Leute auf die Persönlichkeit des Präsidenten und das Präsidentschaftssystem setzen.