Bußgeldbescheid wegen Zukunftsdemo
Steht die Straßenverkehrsordnung über dem Recht auf freie Meinungsäußerung?
Amtsgericht Gelsenkirchen. Verhandelt wird der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid für Jürgen Bader.
Jürgen Bader hat während einer Zwischenkundgebung bei der Zukunftsdemonstration des Pfingstjugendtreffens im Jahr 2022 Flugblätter verteilt. An Fahrerinnen und Fahrer von stehenden Autos wohlbemerkt – auf der Strecke zwischen der Kurt-Schumacher-Straße und der Luitpoldstraße in Gelsenkirchen, keine hundert Meter. Davon ließ er sich auch nicht von einer Polizistin abhalten, die darin eine Gefahr für Leib und Leben sah – obwohl, wie schon gesagt, alle Autos standen. Dafür flatterte ihm ein Bußgeldbescheid über 51 Euro ins Haus.
Sein Rechtsanwalt Frank Jasenski hielt dem Richter entgegen, dass Jürgen Bader hier nur von seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatte und deshalb nur ein Freispruch in Frage komme.
„Darüber diskutiere ich nicht“, meinte der Richter und sah sich nur noch dazu bemüßigt zu prüfen, ob das Bußgeld vielleicht nicht sogar zu niedrig angesetzt worden sei. „Einspruch abgelehnt“, war das Urteil. „Es stünde ja wohl außer Frage, dass Herr Bader eine Weisung der Polizei erhalten habe, dass er den Gehweg nicht verlassen dürfe und die hätte er nicht befolgt. Da nutze auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nichts, dieses stünde nun mal nicht über der Straßenverkehrsordnung!.“ Basta.
Ich bin irritiert. Haben sich etwa am 9. November 1989 Hunderttausende von Menschen an die Straßenverkehrsordnung gehalten, als sie die Mauer zwischen Ost und Westdeutschland einrannten? Ich kann mich nicht entsinnen, dass da irgendein westdeutscher Politiker oder Polizist etwas dagegen gehabt hätte. Manchmal ist es für den gesellschaftlichen Fortschritt eben notwendig, die Straßenverkehrsordnung etwas anzupassen.
„Stellen sie sich vor", so der Richter weiter, „es würden jetzt plötzlich die Leute auf die Idee kommen, auf der Autobahn Flugblätter zu verteilen, um ihr Recht auf Meinungsfreiheit auszuüben, wo kämen wir denn da hin?" Da fielen mir sofort die Hunderttausend streikenden Bergleute 1997 ein, die nicht nur Flugblätter auf die Autobahn brachten, sondern diese gleich stilllegten. Das war sehr wirkungsvoll, denn der entschlossen geführte Streik, mit Autobahnblockade und Marsch nach Bonn, sorgte nicht nur dafür, dass die Zechen damals nicht geschlossen wurden, sondern außerdem auch noch die verhasste Kohlregierung abtreten musste. War doch wunderbar oder?
Darum muss sich die Straßenverkehrsordnung schon mal dem Kampf um politische Rechte unterordnen.