"In Europa wird gestreikt"

"In Europa wird gestreikt"

Journalisten wundern sich

Erstaunt schreiben drei Journalisten am vergangenen Wochenende in der "Süddeutschen Zeitung": "In Europa wird gestreikt. Die hohe Inflation treibt die Menschen auf die Straße. Entsteht da eine neue Arbeiterbewegung? Eine Erkundung in Deutschland, Frankreich und Großbritannien."

Von gis
Journalisten wundern sich
Kundgebung von streikenden Postlern in Stuttgart (rf-foto)

Es ist gut, dass sich eine große überregionale Zeitung Gedanken macht über Arbeiterstreiks und -kämpfe und diese in drei europäischen Ländern erkundet. Dass die Arbeiterbewegung gerade neu entsteht, stimmt allerdings nicht. Sie entstand mit dem Kapitalismus und ist dessen Totengräber. "Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz", schreiben Karl Marx und Friedrich Engels im "Manifest der Kommunistischen Partei." Die Theorie des Postmodernismus behauptet, dass die Arbeiterklasse in der postmodernen "Wissensgesellschaft" bedeutungslos geworden sei. Tatsächlich wächst das Industrieproletariat weltweit.

 

Immer wieder gibt es auch eine wachsende Zahl von Streiks und Arbeiterkämpfen. Zum Beispiel fielen in Deutschland 2018 eine Millioen Arbeitstage aus, mehr als vier Mal so viele wie im Jahr davor. 3,78 Millionen Menschen waren 2018 an Arbeiter- und Volkskämpfen beteiligt. Der längste Arbeitskampf Deutschlands wird beim US-Onlinehändler Amazon ausgetragen: Dort streiken Beschäftigte mit ihrer Gewerkschaft ver.di tageweise seit sechs Jahren für einen Tarifvertrag.

 

Die Autoren des Artikels in der Süddeutschen Zeitung, den sie mit "Der Aufstand" überschrieben haben, haben aber Recht damit, dass es 2022 und 2023 einen erheblichen europaweiten Aufschwung der Arbeiterkämpfe und -streiks gab und gibt. Auch die Mitgliedergewinnung von Gewerkschaften ist positiv. So hat die CFDT allein im Januar 2023 10000 neue Mitglieder gewonnen, die IG Metall im Jahr 2022 117000. 2022 gab es in Deutschland 1443 gewerkschaftliche Streikaktionen mit 1,2 Millionen Beteiligten, die höchste Anzahl seit 2018. Außerdem sechs selbständige Streiks mit 3 850 Beteiligten.

 

Seit Wochen gehen in Frankreich Arbeiter und Arbeiterinnen, Rentner, Lehrer, Studierende, Jugendliche gemeinsam auf die Straße gegen die reaktionären Rentenpläne von Emmanuel Macron. Bürgerliche Politiker hierzulande stimmen ein Gezeter an, dass "wir" in Deutschland ja schon lange länger arbeiten. Aber warum sollen die Arbeiter und Angestellten um die niedrigsten Löhne und die schlechtesten Arbeitsbedingungen konkurrieren? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Kampf in Frankreich gegen die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist beispielhaft und sollte in ganz Europa Nachahmung finden. In Deutschland muss der Kampf um die Senkung des Renteneintrittsalters und die Rücknahme der "Reform" "Rente mit 67" geführt werden. In Frankreich ist Macron mit seinen Rentenplänen schon zwei Mal gescheitert. Die Leute schreiben auf ihre Plakate, sie wollen nicht arbeiten bis zum Umfallen und dann ins Grab sinken. "Doch es ist nicht die Rente allein. Sondern es kommt einiges mehr zusammen, das sich auch in den Protesten in anderen europäischen Ländern wiederfindet. Viele der Demonstrierenden fühlen sich abgehängt und von einer unnahbaren Elite regiert. Die aktuelle Energiekrise und die Inflation verstärken den Frust noch", so der genannte Artikel.

 

Die spekulationsgetriebene Inflation mit Inflationsraten von bis zu 20 Prozent für Arbeiterfamilien spielt bei allen Arbeiterstreiks in Europa eine große Rolle. Großbritannien erlebte in den letzten Wochen die größte Streikwelle seit Jahrzehnten. Im staatlichen Gesundheitswesen NHS gab es die größten Streiks seiner ganzen Geschichte. Die reaktionäre britische Regierung wird nervös und will das Streikrecht weiter einschränken. Überall geht es den Streikenden nicht nur um Lohn und Brot, sondern um ihre Würde. Bei Rekordprofiten von Kapitalisten, Klinikbetreibern und im Öffentlichen Dienst sich mit einem Tropfen auf den heißen Stein abspeisen lassen? Das soll Wertschätzung sein? Auch in Portugal, Italien, Belgien und Griechenland streikten in den letzten Wochen und Monaten Hunderttausende. In der Metalltarifrunde in Deutschland traten 900 000 Kolleginnen und Kollegen in kämpferische Warnstreiks, trotz krisendämpfender Maßnahmen der Regierung. Aktuell machen in der laufenden Tarifrunde des Öffentlichen Diensts Müllerarbeiter, Erzieherinnen und Erzieher und die Flughafenarbeiter von sich reden. Letztere haben sogar die Logistik der Münchner Sicherheitskonferenz behindert. Da ist Musik drin.

 

Die meisten dieser Streiks und Kämpfe haben noch die Schwäche, dass sie im gewerkschaftlichen Rahmen verharren und dass sie noch nicht ausdrücklich auch gegen den Kriegskurs des BRD-Imperialismus und die Weltkriegsvorbereitung gerichtet sind. Der MLPD ist es wichtig, in diesen Kämpfen eine bewusstseinsbildende Arbeit zu machen und dazu beizutragen, dass sie als Schule des aktiven Widerstands geführt werden. Die Parteivorsitzende Gabi Fechtner führt im Interview mit der Roten Fahne aus: "Gerade kämpferischen Elemente darin (in den gewerkschaftlichen Warnstreiks in der Metalltarifrunde) waren oftmals von MLPD-Mitgliedern beeinflusst. Die MLPD entwickelte treffende Argumente für den vollen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft, gegen Verzichtspropaganda und gegen jegliche Klassenversöhnung. Die Losung von Karl Marx 'Nieder mit dem Lohnsystem!' wird zwar noch nicht einheitlich geteilt, aber stößt zunehmend auf selbstverständliche und interessierte Debatten." Selbständige Streiks sind besonders wichtig: "Neben der ökonomischen Seite besteht die grundsätzliche Bedeutung selbständiger Streiks auch in ihrem politischen Charakter. Das ist gerade in einer Zeit wichtig, in der die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft und die Vorbereitung eines Weltkriegs einen aktiven Widerstand besonders der Arbeiterklasse notwendig macht." Auch in Frankreich arbeiten marxistisch-leninistische Parteien, Mitglieder der revolutionären Weltorganisation ICOR, auf diese Weise. Die ICOR Europa setzt sich für den aktiven Widerstand gegen die Weltkriegsgefahr und für die Koordinierung und Revolutionierung der Arbeiter- und Volkskämpfe ein.