Jahrestag Kriegsbeginn

Jahrestag Kriegsbeginn

Polarisierte Kundgebungen - selbstorganisierter Protest und Widerstand von unten

Das Wetter am Freitag war je nach Landstrich von „usselig“ bis „Schietwetter“, aber es hat die Kampfmoral der Friedenskämpfer nicht beeinträchtigt. Die Rote Fahne bedankt sich für Korrespondenzen, Fotos, Redebeiträge aus Duisburg, Mannheim, Erfurt, Stuttgart, Rostock, Bremen, Dresden, Rüsselsheim, Hamburg, Herne, Schweinfurt, Krefeld, Düsseldorf, Lübeck, Bochum, Eisenach, Halle (von dort bekamen wir auch ein Gedicht), Karlsruhe, Heilbronn, Dortmund, Gelsenkirchen, Rheinfelden und Berlin.

Von fh
Polarisierte Kundgebungen - selbstorganisierter Protest und Widerstand von unten
Interesse an der Mitmachaktion der Widerstandsgruppe Heilbronn-Ludwigsburg (rf-foto)

Am Jahrestag des Kriegsbeginns haben an mindestens 30 bis 40 Orten Kräfte der neuen Friedensbewegung, oft in breiten Aktionseinheiten, Protestaktionen und Zeichen des aktiven Widerstands organisiert.

 

In Düsseldorf fand die Aktion direkt vor der Zentrale des Rüstungskonzerns Rheinmetall statt, in Erfurt wurde unter Beifall einer Anwohnerin das Parteibüro der Grünen blockiert, und auch in Bremen war eine Kundgebung vor dem Büro der Grünen, in Rostock hängte die Widerstandsgruppe ein Transparent gegen die Weltkriegsgefahr an eine Autobahnbrücke, ähnlich an der Südtangente in Karlsruhe.

 

Ein Alleinstellungsmerkmal der neuen Friedensbewegung sind Aktionen in und vor Betrieben. In Duisburg fand vor dem Bertha-Krankenhaus der Sana-Kliniken eine Aktive Mittagspause statt. Mindestens 40 Kolleginnen und Kollegen waren gekommen. Eingeladen hatten die ver.di-Vertrauensleute am Standort. Die Aktion vereinigte den Protest gegen den Krieg mit der laufenden Lohntarifrunde. In Schweinfurt legten die SKF-Kolleginnen und -Kollegen am Freitagvormittag die Arbeit für ca. eine halbe Stunde nieder und versammelten sich in allen drei Werksteilen vor den Toren. Die Gedanken waren dabei besonders bei den SKF-Kolleginnen und Kollegen in Lutsk. Aufgerufen hatten auch die Werkleitung und der Betriebsrat, aber das Gedenken prägten die Kolleginnen und Kollegen selbst. In Rüsselsheim fand eine Protestkundgebung am Opel-Tor bei Schichtwechsel mit einem bekannten Rapper statt. In Berlin-Spandau hat die neue Friedensbewegung einen Aktionsstand vor Siemens organisiert. Die MLPD trat bei diesen Aktionen für den aktiven Widerstand gegen die Weltkriegsgefahr und für die sozialistische Alternative ein.

 

Im Gegenwind auch der Medien organisierte ein breites Bündnis eine eigene Kundgebung in der Innenstadt von Lübeck. Auch aus Bremen wird von einem selbst organisierten Bündnis berichtet: „Wir waren mit etwas mehr als 30 Teilnehmern längst nicht so viele wie bei der regierungskonformen Veranstaltung von "Herz für Ukraine e.V." und DGB, was aber angesichts der breiten Medienverweigerung gar nicht so schlecht war. Es beteiligten sich Vertreter der MLPD, des Jugendverbands Rebell, des Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD, der Songgruppe „Anticapitalistas“ und der Umweltgewerkschaft sowie Einzelpersonen. Sämtliche andere linke Organisationen zogen es vor, entweder mit den NATO-Jublern zu demonstrieren oder verkrochen sich gleich ganz.“

 

In Dresden hat ein Redner an Bertha von Suttner erinnert: „Immer wieder muss ich, wenn von den Waffenlieferungen und Forderungen die Rede ist, an sie und ihr Buch „Die Waffen nieder!“ denken. Wisst ihr, was sie schon 1889 geschrieben hat? »Keinem vernünftigen Menschen wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte, Ölflecken mit Öl wegputzen zu wollen – nur Blut, das soll immer wieder mit Blut ausgewaschen werden!« Und der Korrespondent schreibt: „Überrascht war ich von so viel Zuspruch , Interesse und Lob, dass es richtig ist und gut zu wissen, dass in Dresden eine Friedensbewegung aufgebaut werden soll.“

 

Aus dem Umfeld der DKP wurde überwiegend zur Kundgebung nach Berlin aufgerufen, aber gleichzeitig jede Kritik an Russland abgelehnt. Das Duisburger Friedensforum, in dem Kräfte der DKP maßgeblich sind, begründete seine Absage der Teilnahme an der dortigen Kundgebung der neuen Friedensbewegung unter anderem damit, „dass nun Russland zum letzten Mittel der Verteidigung gegriffen hat, um seine Unabhängigkeit und seine Sicherheitskompetenz gegenüber der NATO zu beweisen und auch nicht um bodengestützte Waffensysteme direkt vor ihren Westgrenzen durch die NATO stationiert zu bekommen (...).“ Das ist nichts anderes als eine Rechtfertigung der russischen Aggression gegen die Ukraine und leugnet den imperialistischen Charakter Russlands. Dieser Standpunkt kann in einer echte Friedensbewegung keinen Platz haben.

 

In vielen Städten fanden auch Kundgebungen bürgerlicher Kräfte für die Unterstützung der ukrainischen Regierung, von NATO und Bundesregierung statt, teilweise mit mehreren Tausend Teilnehmenden. Die Polarisierung war in einigen Städten unmittelbar zu spüren. Auch bei diesen Kundgebungen waren die Mehrzahl der Beteiligten keine aggressiven Kriegstreiber, aber sie lassen sich von diesen beeinflussen. Hier sind weiter streitbare Auseinandersetzungen nötig, dass Waffenlieferungen an ein kapitalistisches und reaktionäres Regime nur das Leiden der Menschen verlängern. Wirtschaftsminister Robert Habeck verstieg sich zu der Aussage: Jeder, der heute gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ist, unterschreibt eine Einladung an Putin, weitere Länder zu überfallen. Nein, genau umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wer laut nach der Lieferung schwerer Waffen für die Ukraine schreit wie die Kriegstreiber von den Grünen und der FDP, ist für die weitere Eskalation des Kriegs.

 

Bei der Demonstration am Samstag in Berlin, zu der Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer aufgerufen hatten, waren nach Angaben der Veranstalter 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Polizei sprach von 13.000. Die Rednerinnen und Redner positionierten sich berechtigt gegen die Verschärfung des Kriegs durch NATO und Bundesregierung. Sie forderten meist auch klar keine neuen Waffenlieferungen. Meist setzten sie aber auf die „Vernunft“ der Herrschenden. Alice Schwarzer erklärte Waffenlieferungen an die Ukraine „zur Verteidigung“ für gerechtfertigt, stellte nur die Frage nach der „Verhältnismäßigkeit“. Damit akzeptiert sie aber letztlich die Logik, sich in diesem imperialistischen Krieg auf die Seite der Ukraine und damit auch der NATO zu stellen.

 

Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen, um gegen den Ukrainekrieg, gegen Weltkriegsgefahr und die besonders aggressive Rolle der westlichen Imperialisten zu protestieren. Die Teilnahme von Faschisten wie Jürgen Elsässer oder des sächsischen AfD-Vorsitzenden Jörg Urban stieß auf Protest. Sprechchöre „Nazis raus“ waren zu hören. Sahra Wagenknecht erklärte angesichts einer kritischen Debatte vor der Demonstration, „dass Neonazis und Reichsbürger, die in der Tradition eines Regimes stehen, das den mörderischsten Krieg seit Menschheitsgedenken vom Zaun gebrochen hat, auf einer Friedenskundgebung nichts zu suchen haben!“

 

Allerdings nahmen eine Reihe bekannter Ultrareaktionäre und Faschisten besonders aus der AfD oder aus der Querdenkerbewegung teil, gegen die von der Versammlungsleitung nicht energisch eingeschritten wurde. Damit sendet die Aktion ein problematisches Signal aus. Denn Friedenskampf muss eindeutig antifaschistisch sein! Die MLPD hat das "Manifest für Frieden" kritisch unterzeichnet, sich aber an der Kundgebung nicht beteiligt. Interbündnis, MLPD-Berlin und andere organisierten eine eigenständige Kundgebung, gegen alle Imperialisten und auf klar antifaschistischer Grundlage unter eindeutiger Absage an die faschistische Querfrontstrategie. (Siehe Artikel Genau richtig, eine eigene Kundgebung zu machen!)

 

Sahra Wagenknecht wollte die Demonstration in Berlin zum „Startschuss für eine neue starke Friedensbewegung“ zu erklären. Aber auf der Grundlage eines Verständnisses für Waffenlieferungen an die Ukraine und einer halbherzigen Abgrenzung nach rechts kann keine starke Friedensbewegung entstehen. Die Neue Friedensbewegung gegen Faschismus und Krieg formiert sich bereits seit einem Jahr und hat mit den Aktionen zum Jahrestag des Kriegsbeginns ihre Alleinstellungsmerkmale ausgebaut: Mit klarem Profil gegen alle Imperialisten auf die Arbeiter und die breiten Massen setzen, aktiven Widerstand leisten, und dabei offen und ohne opportunistische Anbiederung auf Bündnispartner zugehen.