Leipzig
Ost-West-Spaltung ist nur das Symptom
Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) [1] veröffentlichte am 7. März einen Leserbrief von Jörg Weidemann. Es geht um die Frage der ungleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in Ost- und Westdeutschland. Der Brief reagiert auf die Vorstellung des neuen Buches von Prof. Dirk Oschmann, „Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ [2].
Herzlichen Dank für die Vorstellung des Buches von Dirk Oschmann über eine "zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit". Die von ihm angeprangerten Unterschiede zwischen Ost und West sind gravierend und müssen bekämpft werden.
Aber sie dienen oft dazu, wesentliche gesellschaftliche Scheidelinien zu verdecken:
- Ich kritisiere - wie Herr Oschmann - unterschiedliche Tariflöhne in West- und Ostdeutschland. Aber ich weiß, dass die Lohnunterschiede zwischen Stamm- und Leih/Zeitarbeits-Beschäftigen erheblich größer sind als die zwischen West und Ost: Über Sonderzahlungen, Zulagen, Zuschüsse und Tarifverträge werden die Unterschiede hier in der Realität auf bis zu 30 Prozent getrieben.*
- Ich weiß auch, dass das "Lohngefälle" zwischen Hessen und Schleswig-Holstein größer ist als zwischen Sachsen und dem westdeutschen Durchschnitt. So verdient ein Lohnabhängiger 2021 in Hessen über 10.000 Euro mehr im Jahr als in Schleswig Holstein. Der Unterschied zwischen Sachsen und dem westdeutschen Durchschnitt lag dagegen "nur" bei knapp 7.000 Euro im Jahr. **
- Professor Oschmann weist zu Recht auf die empörende Unterrepräsentanz ostdeutscher Menschen in Führungsetagen hin. Aber noch erheblich mehr unterrepräsentiert sind Arbeiterinnen und Arbeiter in den politischen und ökonomischen Spitzen. So dürfte es für die GKN-Belegschaft in Zwickau und die Borbet-Belegschaft in Solingen relativ unerheblich sein, ob es ost- oder westdeutsche (oder ausländische) Kapitalisten waren, die die Stilllegung ihrer Werke beschlossen haben. Egal ist auch, ob bürgerliche Politikerinnen und Politiker in Ost- oder Westdeutschland das Licht der Welt erblickt haben: Sie akzeptieren die Stilllegungen krokodillstränenvergießend unter Verweis auf das kapitalistische Eigentumsrecht.
Fazit: Die von Dirk Oschmann zu Recht kritisierte west-ostdeutsche Ungleichheit ist ein Symptom, die Krankheit heißt Kapitalismus. Statt Ost-West-Spaltung ist die Einheit von Arbeiterinnen und Arbeitern in Ost und West vonnöten.
* Die Chance zum Streik in der Leiharbeit (betriebundgewerkschaft.de)
** Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer in Deutschland nach Bundesländern 2021 | Statista