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Streiktag in Frankreich - 3 Millionen auf der Straße - ICOR-Delegation berichtet

Gestern haben wir auf "Rote Fahne News" noch geschrieben, dass bis zu 800.000 Menschen auf Frankreichs Straßen protestieren und streiken. Das war am frühen Vormittag vielleicht noch so. Im Lauf des Tages waren es allein in Paris 800.000 und in ganz Frankreich waren es bis zu 3 Millionen!

Korrespondenzen/gis
Streiktag in Frankreich - 3 Millionen auf der Straße - ICOR-Delegation berichtet

Die Müllabfuhr streikt weiter und der Müll wird teils für die Bildung von Barrikaden auf den Straßen verwandt. Die Hälfte aller Fernzüge fielen aus, und das Terminal 1 am Flughafen Charles de Gaulles wurde besetzt. Drei von vier TOTAL- Raffinerien streiken. 40 – 50% der Grundschullehrer sind im Streik. Die bürgerlichen Medien in Frankreich hetzen gegen die Proteste, was Ausdruck ihrer Defensive ist. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist wie ein Ventil, das eine schon länger gärende Tendenz zur gesamtgesellschaftlichen Krise in Frankreich offen aufbrechen lässt.

 

Die Proteste wenden sich gegen die zunehmende Verarmung der Arbeiter, Migranten, Frauen und vor allem Jugendlichen in Frankreich. Sie politisieren sich aber auch weiter aufgrund der wachsende Repression durch die französische Regierung und Macrons Überheblichkeit. So geht es im Aufruf der CGT auch um das Streikrecht und gegen die Dienstverpflichtung von Arbeitern.

 

Diese wachsende Politisierung wurde am gestrigen 23. März von der ICOR Delegation und den Genossen der UPML weiter gefördert – in Kurzreden an einem Hotspot sprachen sie über den Zusammenhang mit der aktiven Vorbereitung eines Dritten Weltkriegs durch fest alle Imperialisten. Diese Abwälzung der Krisen - und Kriegslasten auf die Bevölkerung Europas betrifft die gesamte europäische Arbeiterklasse und muss verbunden werden mit dem Kampf um den Weltfrieden und die globale Umweltkatastrophe.

 

In der wachsenden antikapitalistischen Strömung in Frankreich gibt es eine sprunghaft wachsende Aufgeschlossenheit für den echten Sozialismus und die Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution. Die Positionen sind unterschiedlich. Der Verrat am Sozialismus in der Sowjetunion 1956 wurde vielfach so verarbeitet, dass zwar die kommunistischen Ideale richtig sind, aber die Organisierung oder der Aufbau einer revolutionären Partei nicht mehr nötig sei oder sogar falsch. Stattdessen wird der Gewerkschaft eine revolutionäre Rolle zugesprochen. Das ist nicht richtig. Gewerkschaften müssen Kampforganisationen sein, aber sie können keine Klassenkampforganisationen sein und wirken nicht gesellschaftsverändernd. Die Stärkung des Parteiaufbaus in Frankreich ist das Hauptkettenglied, damit die gesamtgesellschaftliche Krise dort ausreifen kann zu einer revolutionären Situation.

Ein Stimmungsbericht aus Paris

In drei Stunden raste der TGV am Donnerstagmorgen von Stuttgart nach Paris. Als MLPD-Delegation waren wir zu dritt mit an Bord und neugierig, wie der Protesttag der französischen Gewerkschaften in Paris laufen wird. Zum Glück waren wir frühzeitig aufgebrochen, mit dem Nahverkehr war nur schwierig an den Auftaktort, den Platz der Bastille, durchzukommen. Am symbolträchtigen Ort der französischen Revolution von 1792 sammelten sich bereits früh bunt mit Transparenten und Parolen geschmückte Gewerkschaftswagen aller französischen Gewerkschaften. Direkt am Platz treffen wir Freunde der ICOR-Organisation UPML beim Aufbau ihres Infostands.

 

Mit ihrer Unterstützung gelang es uns im Vorfeld der Demonstration, mit verschiedenen gewerkschaftlichen Aktivisten zu sprechen. Wir stellten die Idee länderübergreifender Aktionstage vor. Das traf auf großen Enthusiasmus. Überhaupt hat unser Delegations-Besuch, über den immer wieder vom offenen Mikrofon aus informiert wurde, ständig neue Begeisterung ausgelöst. Unsere französischen Freunde haben uns interviewt und diese Statements übersetzt. Aktuell wird die deutsche Arbeiterbewegung als angeblich einsichtig in Frankreich dargestellt, da wir die Rente mit 67 längst akzeptiert hätten. Wir berichteten, dass dies eine Lüge ist. Tatsächlich vergeht wohl keine größere gewerkschaftliche Versammlung, ohne dass diese Erhöhung verurteilt und eine Senkung gefordert wird. Wir berichteten auch, wie viele Menschen vor Erreichung der gesetzlichen Möglichkeiten krank aus dem Berufsleben ausscheiden.

 

Das Bedürfnis nach internationalem Erfahrungsaustausch und gegenseitiger Information war in den vielen Gesprächen und Ansprachen unüberhörbar. Dachten wir zunächst noch, dass die Teilnehmerzahl überschaubar bleibt, sprengten die tatsächlichen Dimensionen dann unser Vorstellungsvermögen. Punkt 14 Uhr zum offiziellen Start waren Auftaktplatz und Demonstrationsroute brechend voll. Ca. 1,5 Stunden ging es für alle höchstens zentimeterweise vorwärts. Nach und nach liefen breite Demonstrationszüge auch über Parallelstraßen langsam ab. Manche Gewerkschaftswagen mit den riesigen Ballonen auf dem Dach standen noch zwei Stunden später am Auftaktplatz.

 

Auffallend waren die vielen selbstgemachten Kartons mit Sprüchen. Dabei ging es nur teilweise rein um die Rentenfrage. Die inzwischen schroffe Ablehnung der gesamten Regierung, nicht nur von Macron, sondern auch seiner Ministerpräsidentin Borne (eine Hauptparole war "BorneOut") war eindeutig. Dabei waren die Menschen aber nicht verzweifelt. Im Gegenteil: Wir bekamen den Eindruck, dass sie fröhlich begeistert ihren Protest auf die Straße tragen. Überall strahlende Gesichter, witzige Sprüche, die insbesondere revolutionäre Schritte forderten. "Wenn er Kaiser spielen will, dann gebt ihm doch die Guillotine!", war z.B. einer der vielen Vorschläge.

 

Es war allerdings auch sehr viel martialisch uniformierte Polizei zu sehen, was vielleicht manche Familie mit Kindern abgeschreckt haben wird. Denn bis auf Kinder waren eigentlich alle Altersgruppen vielzählig vertreten. Auch viele derjenigen, die längst in Rente sind. Ab 15 Jahren aufwärts waren wohl auch fast alle Pariser Jugendlichen dabei, so hatten wir den Eindruck. Einerseits schade, dass von den offenen Umweltthemen wenig zu sehen und hören war, genauso gab es keinerlei Stellungnahmen zum Ukrainekrieg. Allerdings auch nicht eine einzige blaugelbe Solidaritätsbekundung, wie sie in Deutschland oft zu sehen sind. Der gemeinsame Protest konzentriert sich offensichtlich darauf, dass die Menschen die in Frankreich durch eine Revolution erkämpfte Demokratie sich anders vorstellen, als sie aktuell präsentiert wird.