Berlin
Zerstrittene Ampel trifft morgen zusammen
Bei ihrer Kabinettsklausur in Schloss Meseberg Anfang März gelang es der Ampel schon nur noch mühsam, über ihre andauernde latente Regierungskrise einen Einigkeitsschleier zu breiten. Olaf Scholz (Bundeskanzler, SPD) hielt als Ergebnis fest: "Das, was hier stattgefunden hat, ist ein sehr fühlbares Unterhaken."
Ein mageres Resultat angesichts der großen Verheißungen, was die "Fortschrittskoalition" dort auf den Weg bringen wollte. Nicht weniger als die Abschaffung der Arbeitslosigkeit in Deutschland, "ökologischer Umbau" der Wirtschaft, unbürokratische und ausreichende Kindergrundsicherung. Noch nicht einmal die Kindergrundsicherung wurde in trockene Tücher gebracht: Der Finanzminister sprach von einer klaffenden Finanzierungslücke.
Vor dem Treffen im Koalitionsausschuss am Sonntag ist vom Unterhaken gar nicht mehr die Rede, die gegenseitigen Anwürfe der Koalitionspartner werden im Fernsehen ausgetragen, man beschimpft sich offen. Die latente Regierungskrise verschärft sich. Wer weiß, ob sie nicht in Kürze offen ausbricht. Wenn sich die Ampel am Sonntag in Berlin trifft, schwebt über ihren Köpfen ja auch das Damoklesschwert eines Megastreiks im kompletten deutschen Verkehrswesen am nächsten Tag.
Es könne nicht sein, so Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstag im Tagesthemen-Interview, „dass in einer Fortschrittskoalition nur ein Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt". Fortschrittsverhinderer ist in Habecks Augen neben anderen Olaf Scholz. Sein Generalsekretär Kevin Kühnert hat angekündigt, die SPD werde keine „lebensfremden und unsozialen Regelungen“ zulassen. Damit meint er die Pläne des Wirtschaftsministeriums, dass ältere Öl- und Gasheizungen "zur Beschleunigung des Klimaschutzes" schneller ersetzt werden müssen. Durch Wärmepumpen, die dreimal so viel kosten. Für Besitzer von bescheidenen Immobilien ist das eine Riesenausgabe. Die SPD fürchtet, noch die letzten Reste ihrer Massenbasis unter Arbeiterfamilien und Rentnern zu verlieren. Also auch keine lauteren Motive. Aber dass Habeck sich an der Heizungsfrage als der große Umweltschützer aufspielt, ist ein sehr schlechter Witz. Habeck treibt an vorderster Front den umweltpolitischen Rollback voran, u.a. mit der Beschaffung der dreckigsten Sorte fossiler Energie, LNG aus den USA und Saudiarabien.
Finanzminister Christian Lindner hat die Präsentation des Haushaltsentwurfs vertagt, aber außer der Reihe Robert Habeck schon mal 1,6 Milliarden Euro zusätzliche Mittel bewilligt: Für den Aufbau von LNG-Infrastruktur. Die Kritik am FDP-Verkehrsminister, der den Autobahnbau voll vorantreiben und beschleunigen will und sich gegen das Verbrenner-Aus stemmt, ist voll berechtigt.
Der Hintergrund für die latente Regierungskrise und ihre Verschärfung ist das gewachsene politisierte gewerkschaftliche Bewusstsein unter den Massen und das gewachsene Umweltbewusstsein. In den aktuellen Tarifkämpfen, insbesondere bei dem geplanten großen Streiktag am 27. März, wird deutlich, dass die Arbeiter und Angestellten immer weniger bereit sind, für den Krisen- und Kriegskurs von Monopolen und Regierung zu bezahlen.