Machtkampf auf dem Rücken der Massen

Machtkampf auf dem Rücken der Massen

Worum geht es bei den schweren Gefechten im Sudan?

Heute, am fünften Tag der Gefechte, haben in den Morgenstunden die Luftangriffe auf Ziele in der Hauptstadt Khartum weiter zugenommen. Ein Waffenstillstand ist nicht in Sicht. Seit Samstag sind mindestens 270 Menschen ums Leben gekommen und 2600 sind verletzt worden.

Von gis
Worum geht es bei den schweren Gefechten im Sudan?
Frauen sind immer wieder an vorderster Front im Kampf des sudanesischen Volkes für Freiheit und Demokratie (People's World)

Die wachsende Zahl der Verletzten bringt die Krankenhäuser in große Not. Es fehlt an lebenswichtigem medizinischem Material wie Blutkonserven. In der Nähe der Kampfgebiete mussten viele Krankenhäuser schließen, weil die Beschäftigten nicht durchkamen.

Eskalation nach Truppenverschiebungen Anfang April

Vordergründig geht es im zweitgrößten Land in Subsahara-Afrika um den Machtkampf zwischen zwei wildgewordenen Generälen: Dem de-Facto-Präsidenten Abdelfatah Burhan, Oberbefehlshaber der Armee, gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo, den Anführer der mächtigen Rapid Support Forces (RSF). Nach Ausbruch der Kämpfe am Samstag schoben sich die beiden gegenseitig die Schuld zu. Der Konflikt zwischen der Armee und den RSF spitzte sich seit Anfang April zu, als beide Seiten Truppenverschiebungen durchführten. Sowohl die Armee als auch die RSF verfügen über Zehntausende von Soldaten und Basen im ganzen Land. Beide Seiten ringen um die Kontrolle von Regierungsgebäuden, Flughäfen und TV-Sendern. Die Lage ist sehr unübersichtlich. Keine der beiden Seiten ist derzeit zu Kompromissen bereit.

Hintergrund: Kampf des sudanesischen Volks für Freiheit und Demokratie

Seit der Abspaltung des Südsudan im Jahr 2011 und dem damit einhergehenden Verlust von Öleinnahmen wird die Republik Sudan von wirtschaftlichen und politischen Krisen erschüttert. Auch zur Zeit plagt eine horrende Inflation die Massen. Das sudanesische Volk kämpft seit Jahrzehnten für Freiheit, Demokratie und soziale Rechte. 30 Jahre lang hatte Umar al-Baschir eine brutale Militär-Herrschaft errichtet. Er verkaufte die Ressourcen des Landes, ließ das Volk verarmen, Krankheiten und Epidemien breiteten sich aus. Der verhasste Herrscher wurde 2019 nach monatelangen Massenkämpfen und Protesten durch einen Militärputsch gestürzt. Eine Übergangsregierung mit Premier Hamdok sollte demokratische Wahlen vorbereiten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) gewährte einen Schuldenerlass, gebunden an Ausgabenkürzungen auf Kosten der Bevölkerung. Die Lebenshaltungskosten explodierten, erneut flammten Massenkämpfe auf. Am 25. Oktober 2021 führte die reaktionäre Militärjunta einen Militärputsch gegen die Übergangsregierung durch, an der sie selbst beteiligt war.

 

Zigtausende protestierten seither im ganzen Land, führen Streikaktionen durch – gegen das Militär, gegen Preissteigerungen und zunehmende Desorganisation des täglichen Lebens – für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit. Die Sudanesische Kommunistische Partei spielte eine wichtige Rolle. Sie rief u.a. dazu auf, das Diktat von IWF und Weltbank abzulehnen, forderte die Auflösung aller Milizen, Abzug der russischen Söldnertruppen (Wagner) und Aufhebung der Militärbasisabkommen mit Russland und den USA am Roten Meer, für eine Wirtschaftspolitik, die die Not des Volkes behebt und eine vollständige Zivilregierung.

 

Die revolutionäre Weltorganisation ICOR beschloss eine Resolution "Nieder mit dem Militärputsch im Sudan", in der es heißt: "Die ICOR sieht das Ziel des Putsches darin, zum Zustand der Diktatur, Tyrannei und Ungerechtigkeit zurückzukehren, gegen den sich das sudanesische Volk zuvor erhoben hat. Die ICOR erklärt, dass sie den Aufstand des sudanesischen Volkes mit seinen Frauen und Männern und mit all seinen Akteuren, insbesondere den Arbeitern und armen Bauern, entschieden unterstützt." Immer wieder gibt es seither Massenkämpfe im Land. Sie verbinden den Kampf um Brot und gegen die Inflation - 2022 betrug sie 300 Prozent - mit dem gegen die Militärjunta: "Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit", "Es gibt kein Zurück", "Alle Macht den Zivilisten."

Alte und neue Imperialisten haben ihre Finger mit im Spiel

Seit Mai 2022 führte ein Bündnis namens "Kräfte für Freiheit und Wandel" Verhandlungen mit der herrschenden Militärjunta. Die Gespräche liefen unter der Schirmherrschaft der UN-Mission in Sudan, der Afrikanischen Union und der regionalen Organisation Igad. Igad-Mitglieder sind Dschibuti, Äthiopien, Eritrea, Kenia, Somalia, Sudan, Südsudan und Uganda. Mit im Spiel ist das sogenannte Sudan-Quartett (USA, Großbritannien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate) sowie Sonderbeauftragte der EU, Norwegens, Frankreichs und Deutschlands. Geopolitisch bedeutsam ist der Zugang zum Roten Meer. Ein Abkommen über den Prozess zu einer Zivilregierung kam im Dezember 2022 zustande. Es wird aber im Sudan von vielen Kräften abgelehnt. Ein Grund ist die geplante Straffreiheit für die Putschisten. Kritisiert wird, dass die Beteiligung der Volksmassen lediglich geheuchelt sei. Lokale Widerstandskomitees haben die Verhandlungen abgelehnt: "Nein zum Dialog", "Nein zu Verhandlungen", "Nein zur Partnerschaft". Ob der Frage, wie die RSF in die "reguläre" Armee eingegliedert werden sollen, kam es zum jetzt eskalierenden Streit.

Verflechtungen der RSF mit der EU, der Schweiz und anderen Imperialisten

Die sich bekriegenden Generäle sind beide erzreaktionär. Mohammed Hamdan Daglo führt die mächtigen RSF an. Diese haben ihre Wurzeln im Darfur-Konflikt, in dem ab 2003 zwischen 200 000 und 400 000 Menschen ihr Leben verloren. Die berüchtigtste bewaffnete Gruppe im Konflikt waren die Janjaweed-Milizen, die Dörfer niederbrannten, Vergewaltigungen begingen und wahllos Zivilisten ermordeten. Aus den Janjaweed wurden 2013 die RSF mit schätzungsweise 100 000 Kämpfern. Daglo ist in einem umfangreichen Netzwerk in diversen Wirtschaftssektoren tätig. Eine wichtige Einkommensquelle besteht im Söldnertum: Insbesondere in den Jemen entsandte Daglo Zehntausende Soldaten, wo sie im Dienste Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) im Einsatz stehen. Am wichtigsten ist das Goldgeschäft. Gold ist das hauptsächliche Exportgut des Landes. Die Rechercheplattform Global Witness enthüllte, dass die RSF Schlüsselpositionen im Goldgeschäft besetzen, vor vier Jahren haben sie eine der größten Goldminen des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Bis 2020 lag das Goldexportmonopol bei der sudanesischen Zentralbank, zu der Daglo enge Verbindungen pflegte. Über die Firma Kaloti in Dubai gelangte das Gold aus RSF-Minen auch in die Schweiz und damit auf den weltweit wichtigsten Goldhandelsplatz.

 

Daglos dreckigstes Geschäft ist die Mitwirkung an der "europäischen Migrationsabwehr". Der Sudan ist Mitglied des sogenannten Khartum-Prozesses, der «Plattform für Kooperation zwischen den Ländern entlang der Migrationsroute zwischen dem Horn von Afrika und Europa». 2014 wurde er ins Leben gerufen, unter Beteiligung der EU-Staaten und von neun afrikanischen Ländern. Aus einem eigens eröffneten «Notfall-Treuhandfonds» flossen seither Hunderte Millionen Euro in den Sudan. Von dem Geld werden Grenzregimes finanziert, die Menschen unter Einsatz von Gewalt an der Flucht nach Europa hindern. Cornelia Ernst, EU-Abgeordnete der Linkspartei: "Fern von lästigen NGOs lässt die EU dort die Drecksarbeit verrichten." An der Grenze zu Libyen im Norden des Sudan betreiben die paramilitärischen RSF die Abwehr von Flüchtlingen. Sie bekommen wohl keine direkten EU-Zahlungen, profitieren aber kräftig, z.B. von Ausrüstung und Ausbildung. EU-Politikerinnen und -Politiker können sich ihre blumigen Worte sparen, dass sie die militärischen Auseinandersetzungen im Sudan ablehnen und die dortige Demokratiebewegung unterstützen.

 

 

 

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