Ein Reptil der besonderen Art
Die Warteschlange
Entgegen dem durchaus besorgniserregenden weltweiten Artensterben erfreut sich ein Reptil der besonderen Art einer rasanten Vermehrung: Die Warteschlange.
Anfang April kursierte in den sozialen Medien das Bild eines besonders großen Exemplars. In Folge eines Wohnungsinserates wurde bei minus 4 Grad Celsius vor einer Wohnungstür in Berlin Charlottenburg eine 150 m lange Warteschlange gesichtet. Nach einer Stunde musste die Besichtigung abgebrochen werden. Drei Zimmer, ohne Balkon, 74 Quadratmeter, 1074 Euro warm. Dieser relativ hohe Mietpreis gilt in Berlin (und nicht nur dort) in der Zwischenzeit schon als Schnäppchen. Von den versprochenen jährlichen 100 000 neuen Sozialwohnungen der Ampelkoalition kann man getrost nicht nur zwei Nullen hinten, sondern auch die vorne stehende Eins komplett streichen. Soziale Marktwirtschaft? Mangelwirtschaft für die Massen ist der weitaus treffendere Begriff.
In einer sozialistischen Planwirtschaft wären solche Zustände undenkbar. Dort ist sozialer Wohnungsbau nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die gesellschaftliche Aneignung der gesellschaftlichen Produktion ermöglicht die staatliche Finanzierung von günstigem und ökologischem Wohnraum für alle, frei von den Zwängen einer Profitwirtschaft.
Dem Mangel folgend tummeln sich Warteschlangen, zumindest virtuell, immer häufiger auch in anderen Bereichen. Medikamente für Kinder? Achselzucken beim Apotheker. Man kann ja von der Pharmaindustrie auch nicht verlangen, unprofitable Medikamente zu produzieren. Solche Überlegungen gelten in den Chefetagen schon als völlig unzumutbare sozialistische Umtriebe.
Kitaplatz? Schulplatz? Einen Termin beim Facharzt? Bitte warten. Wie bekommt man einen Handwerker zum Lachen? Einfach nach einer Wärmepumpe für den nächsten Winter fragen.
Immer länger werden die Warteschlangen an den Tafelrunden. Ein besonders unmenschlicher Beleg für die Fata Morgana einer “sozialen Marktwirtschaft“ oder für das von Politikern täglich bemühte Heiligenbild einer “westlichen Wertegemeinschaft“.
Nicht zu vergessen die wohl bekannteste Warteschlange: An der Kasse im Supermarkt. Fünf Kassen, aber nur eine besetzt. Logisch, die Pflege von Warteschlangen ist für Lidl, Aldi und Co. wesentlich günstiger im Unterhalt als vier besetzte Kassen. Und höchstwahrscheinlich bekommen sie dafür noch ein grünes Zertifikat: Für vorbildlichen Artenschutz!