Gastbeitrag von Yusuf Köse

Gastbeitrag von Yusuf Köse

Die türkische Gesellschaft befindet sich im Wandel

Der revolutionäre Autor Yusuf Köse hat für "Rote Fahne News" einen Gastbeitrag zu den Parlaments- und Präsidentenwahlen am 14. Mai in der Türkei verfasst:

Die türkische Gesellschaft befindet sich im Wandel
Yusuf Köse (rf-foto)

Fast alle Länder der Welt fokussieren ihre Aufmerksamkeit am Sonntag, 14. Mai, auf die dann stattfindende Wahl des Staatspräsidenten in der Türkei. Diese Wahlen werden mit Aufmerksamkeit aus den USA, der EU, aus Russland, China und aus dem Mittleren Osten verfolgt werden. Einflussreiche Medien aller imperialistischen Länder räumen diesen Wahlen viel Raum ein und sie analysieren und bewerten sie. Das zeigt die Gewichtung und Bedeutung der neuimperialistischen Türkei im imperialistischen Weltsystem.

 

Insbesondere im Mittleren Osten und in Nordafrika werden die Wahlen genauer verfolgt werden. Der Grund dafür ist der, dass der türkische imperialistische Staat schon seit langer Zeit seinen Anteil an der Entwicklung in diesen Gebieten hat. Es geht auf das Konto des türkischen Staates, dass sich der sogenannte Islamische Staat (IS) in Syrien und im Irak festsetzen und zu einer starken Kraft entwickeln konnte. Ebenso geht es auf das Konto des türkischen Staates, dass der Krieg in Syrien so lange dauern konnte. Falls Erdoğan verlieren sollte, bedeutet das für den IS, die Muslimbrüder und ähnliche Organisationen, sowie andere religiös-faschistische Organisationen in Afrika einen ernsten Rückschlag.


Der türkische Staat ist in den letzten dreizehn bis 15 Jahren zu einem religiös-faschistisch-reaktionären Zentrum für den Mittleren Osten, die Turk-Republiken, Nordafrika - auch für einige zentralafrikanische Länder - für den Balkan und teilweise auch für europäische Länder geworden. Wenn Erdoğan erneut gewinnt, werden die neuimperialistischen Länder, wie Russland, China und Katar, sowie die religiös-faschistischen Organisationen im Mittleren Osten vermutlich weiteren Auftrieb erhalten.

 

Wenn der Kandidat der Opposition, Kemal Kılıçdaroğlu, gewinnt, ist das Auftrieb für das imperialistische Lager der USA und der EU. Aber selbst wenn Kılıçdaroğlu gewinnen sollte, bedeutet das nicht, dass die Türkei ihre imperialistische Expansion und ihre Marktanteile beenden beziehungsweise abtreten wird. Im Gegenteil, die türkischen Monopole werden ihre Expansion auf ausländische Märkte noch mehr verstärken. Die türkische Regierung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut zu einer „friedlichen Außenpolitik“ mit ihren Nachbarländern zurückkehren.


Zwei Tage vor den Wahlen scheint der Vertreter der herrschenden Clique, Kemal Kılıçdaroğlu, in Führung zu liegen, und er versucht, die Wahl im ersten Wahlgang zu gewinnen – und damit zu beenden. Während ein erheblicher Teil der Arbeiterklasse und der Werktätigen ihm seine Stimme geben wird, damit das 21-jährige faschistische Erdoğan-Regime gestürzt wird, wird er vom anderen Teil gewählt, weil er sein wahres Gesicht als Monopolvertreter nicht zeigt und so die Massen manipuliert. Im allgemeinen werden die Massen Kılıçdaroğlu wählen, um die Unterdrückung und die Einschränkungen von demokratischen Rechten und Freiheiten teilweise abzuschaffen.


Die Erdoğan-Führung hat direkte Unterstützer durch große Monopole; vor allem große Bau-, Waffen- und Stahlmonopole gehören dazu. Das sind zu großen Teilen jene türkischen Monopole, die sich in ganz Afrika breitgemacht haben. Sie finanzieren Erdoğan direkt. Armee, Polizei, Bürokratie, Justiz und dazu noch eine ganze Reihe paramilitärischer Kräfte sowie alle anderen Regierungsinstitutionen stehen unter der unmittelbar Kontrolle der Erdoğan-Führung.


Trotz des Einsatzes aller dem Staat zur Verfügung stehender Mittel für eigene Interessen und trotz intensiver Lügen, Polarisierung, Spekulationen und Propaganda seitens Erdoğan und seiner Komplizen, wollen etwa 70 Prozent der Bevölkerung Veränderungen. Darum wird eine hohe Wahlbeteiligung erwartet.
Die türkische Arbeiterklasse der verschiedenen Nationalitäten befindet sich in einer großen Polarisierung. Die herrschende Clique provoziert dies weiterhin durch den Einsatz der Religion und durch Feindschaft gegen die Kurden. In dieser Hinsicht hat sie auch Erfolg. Während des Wahlkampfs hat sie - ausgehend von Erdoğan – ihre Feindschaft, insbesondere gegen die PKK, gegen die Kurden auf die Spitze getrieben.


Trotz dieser Polarisierung und Unterdrückung durch Nationalismus und Religion hat sich die Arbeiterklasse in den letzten Jahren geweigert, das Streikverbot der Regierung zu akzeptieren. Sie hat gestreikt! Der Widerstand der Arbeiter hat zugenommen und ein beträchtlicher Teil der Arbeiter hat gelernt, dass es notwendig ist, Widerstand zu leisten und sich gewerkschaftlich zu organisieren, um seine Rechte durchzusetzen. Es ist abzusehen, dass der Widerstand der Arbeiter nach den Wahlen noch weiter zunehmen wird.

Die Befreiung liegt im Sozialismus

Bei diesen Wahlen sind revolutionäre, demokratische und viele kommunistische Organisationen in einem gemeinsamen Punkt vereint: dem Sturz des faschistischen Erdoğan-Regimes. Revolutionäre Kräfte und Kommunisten nutzen die Wahlsituation aus, um intensive Propaganda unter den Massen zu betreiben. Viele kommunistische Organisationen wenden sich mit der richtigen Propaganda und mit den richtigen Argumenten, dass „es keine Rettung durch Wahlen geben wird, sondern dass die Rettung im Sozialismus liegt“, an die Massen. Einige kleinbürgerliche „linke“ Organisationen „boykottieren“ die Wahlen.


Einige revolutionäre und kommunistische Organisationen nehmen zwar an den Parlamentswahlen teil, boykottieren aber die „Präsidentschaftswahlen“. Einige „linke“ Organisationen hingegen sehen nicht, wie das faschistische Erdoğan-Regime die religiös-faschistische Reaktion – vor allem im Land und im Nahen Osten – entwickelt, diese als paramilitärische Kräfte des türkischen Staates einsetzt und sich so direkt in die inneren Angelegenheiten dieser Länder einmischt. Aus diesem Grund weigern sie sich, eine Taktik wie die Ausnutzung der Widersprüche zwischen den herrschenden Klassen zugunsten des Proletariats zu verfolgen, in deren Rahmen es notwendig wäre, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das faschistische Erdoğan-Regime zu stürzen.


Es ist eine Tatsache, dass das faschistische Umfeld in der Türkei im Falle eines erneuten Siegs Erdoğans noch härter werden wird. Denn das Erdoğan-Regime hat den Massen nichts mehr zu bieten, außer einer Politik der Unterdrückung und der Einschüchterung. Diese Realität sollte bei der Taktik berücksichtigt werden.


Trotz allem ist es eine Tatsache, dass die fortschrittlichen, revolutionären und kommunistischen Kräfte aus diesen Wahlen organisierter und stärker hervorgehen werden. Es ist die Pflicht eines Marxisten-Leninisten, die Arbeiterklasse im Einklang mit der Perspektive des Sozialismus zu organisieren und dies zur Grundlage der Propaganda zu machen.