Hundertfaches Flüchtlingssterben vor der griechischen Küste
Unsere Trauer und Solidarität ist mit den Toten und ihren Familien – unsere Wut und unser Kampf richtet sich gegen die Politik der EU
Am 14. Juni kenterte - nur 90 km vor der griechischen Küste bei Pylos/ Peloponnes - ein verrosteter Kutter, auf dem ca. 700 Menschen die Flucht übers Mittelmeer gewagt haben sollen. Bisher bestätigt sind 79 Tote, realistischerweise muss man von mehreren Hundert ausgehen. So sollen zum Beispiel Frauen und Kinder im Schiffsbauch eingeschlossen sein - auf den bisherigen Bildern sieht man unter den Geretteten bisher kaum Frauen.
104 Menschen wurden gerettet. Sie sind schwer traumatisiert, viele leiden an Unterkühlung. Sie wurden nach Kalamata, die Hauptstadt der Region, gebracht.¹ Auch die bisher geborgenen Leichen werden dorthin transportiert, weswegen sich Menschen auf den Weg machen, um im dortigen Hafen nach ihren Angehörigen zu suchen.
Der Tod vieler Menschen reiht sich in Dutzende Schiffsunglücke ein, die jedes Jahr im Mittelmeer geschehen. Nach Angaben des UNHCR hat die Zahl der toten und vermissten Migranten im Mittelmeer zur Jahreshälfte 2023 bereits 1037 erreicht, während diese Zahl im vergangenen Jahr bei etwa 2400 Menschen lag.²
Unter den Überlebenden sind auch acht Schleuser, die nun verhört werden. Zu Recht! Bis zu 5000 Euro sollen die Menschen für die lebensgefährliche Passage bezahlt haben. Es hat allerdings einen tieferen Sinn, auf sie den Fokus zu richten. Denn komplett aus dem Blick genommen wird damit die menschenverachtende Politik der EU.
Erst vor wenigen Tagen wurde der neue EU-Pakt zu Einwanderung und Asyl beschlossen (mehr dazu hier). Er besiegelt faktisch das Ende der Genfer Flüchtlingskonvention und signalisiert eine weitere Verschärfung der Repression.
Es ist ein Witz, dass sich Regierungssprecher Siakantaris herausreden will, die „Menschen auf dem Boot“ hätten die Hilfe abgelehnt.³ Der Kutter war bestens bewacht: Zunächst hatte ihn ein Frontex-Flugzeug, dann hatten ihn Boote der Küstenwache im Blick.⁴ Es war bekannt, dass hier Hunderte Menschen in Gefahr sind. Ein Eingreifen war jederzeit möglich. Im Gegenteil fungiert die griechische Regierung als willige und aggressive Erfüllerin der Vorgaben. Seit Jahren ist bekannt und durch Zeugenaussagen bestätigt, dass die griechische Küstenwache nicht zur Rettung der Menschen unterwegs ist, sondern dass sie die Schiffe zurück aufs Meer treibt.
Genau in der Gegend von Pylos wurde letzten Sommer bekannt, dass im Küstendorf Vasilitsi ein Boot mit Flüchtlingen gelandet war. Georgios (Name geändert) berichtet: “Mehrere aus unserem Dorf hatten die Männer entdeckt und sie sofort mit Wasser und Essen versorgt. Dann gingen wir zum Ortsvorstand, der die Polizei benachrichtigte. Beamte waren sehr schnell vor Ort. Sie schickten uns weg, wir sollten uns keine Sorgen machen. … Es war mitten in der Nacht, also gingen wir. Am nächsten Morgen war niemand mehr am Strand! Kein Boot zu sehen, keine Menschen. Auf Nachfrage erhielten wir die Antwort, dass wir unseren Mund halten sollen. Sonst würden wir als Schlepper eingestuft und eingesperrt.“ Tatsächlich deckt die griechische Gesetzgebung das ab. Ministerpräsident Mitsotakis lässt auch Journalisten verfolgen, die über Pushbacks der griechischen Küstenwache berichten.
Gleichzeitig ist es Heuchelei, wenn der Frontex-Verantwortliche vor Ort nun die acht Schlepper verhört, aber auf Nachfrage, ob auch Frontex mitverantwortlich sei, einsilibig erklärt: „Nein.“⁵ Sie sind sogar hauptverantwortlich, setzen sie doch die Politik der EU mit Waffengewalt um!
Worüber die deutschen Medien nicht berichten, ist, dass direkt nach Ankunft der Staatspräsidentin Sakellaropoulou am selben Tag in Kalamata eine Protestkundgebung stattgefunden hat - gegen die Politik der Regierung und die EU. Der Hauptredner war der Generalsekretär der KKE Griechenlands, Dimitris Koutsoumbas. Er nahm richtig die griechische Mitsotakis-Regierung und die EU ins Visier: „Es ist diese Politik, durch Mauern, Abschiebungen und inakzeptable Listen so genannter 'sicherer' Länder, die die Aktivitäten der Schlepperringe anheizt und die Entwurzelten auf die Routen des Horrors treibt. … Das griechische Volk, die jungen Menschen, … werden sicherlich dieses anhaltende Verbrechen in der Ägäis und im Mittelmeer nie als 'Normalität' akzeptieren. Unser Kampf muss erstärkt werden, um den ungerechten imperialistischen Kriegen, den Invasionen und Besetzungen von Staaten, der Orgie der politischen Verfolgung, der Armut und des Hungers Einhalt zu gebieten.“⁶
In der peloponnesischen Hafenstadt Patras fand eine Demonstration statt. Auf selbstgemalten Schildern stehen Parolen wie: „Das Meer gibt seelenlose Körper zurück, dieses System bringt nur Tragödien hervor“ oder: „Tote Flüchtlinge sind das Ergebnis der EU-Politik“ und: „EU-Staat-Unternehmen töten Menschen“. Am 15. Juni gab es Demonstrationen in allen größeren griechischen Städten.
Es ist eine Reaktion auf die Proteste aus der Bevölkerung, dass die griechische Regierung eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen hat. Völlig zu Recht kommentiert aber Sinta auf Zeit Online: „Und keine Staatstrauer in der EU – oder ne popelige Gedenkminute? Herrje, Friedensnobelpreis annehmen, aber das wars dann auch. Mir ist gerade richtig schlecht.“⁷
Unsere Trauer und Solidarität ist mit den Toten und ihren Familien – unsere Wut und unser Kampf richten sich gegen die Politik der EU. Ihre Flüchtlingspolitik ist Teil des imperialistischen Weltsystems, das wir international bekämpfen müssen – und können!
Stärken wir weltweit die internationale antiimperialistische Einheitsfront gegen Faschismus und reaktionäre Kriege!