Auflösung zum 1. Januar 2024
Bergkarabach: Zwischenimperialistisches Ringen auf dem Rücken der Massen im Kaukasus
Die Behörden in Bergkarabach haben nach dem militärischen Überfall und Sieg der aserbeidschanischen Streitkräfte die Auflösung der Republik beschlossen. In einem Dekret ordnete die Führung der örtlichen Behörden an, zum 1. Januar 2024 "alle staatlichen Institutionen und Organisationen" in der Kaukasusregion aufzulösen.
Massenflucht nach Armenien
Die Auflösung war Teil der Kapitulationsbedingungen. Bergkarabach - von seinen Bewohnern "Arzach" genannt - gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Seit Jahren spielt sich zwischen Aserbaidschan und Armenien ein erbitterter Kampf ab. Hinter den Kämpfen stehen alte und neue Imperialisten und ringen um Macht und Einfluss in den rohstoffreichen und strategisch wichtigen Ländern der Region. Am 19. September startete Aserbaidschan eine großangelegte Militäroffensive und bezwang die armenischen Kräfte von Bergkarabach in kürzester Zeit. Die Leidtragenden sind die Massen. Ein schier endlos anmutender Flüchtlingskonvoi zieht sich durch den Latschin-Korridor. 65.000 der ca. 120.000 in Bergkarabach lebenden Armenier sind nach Armenien geflohen; es wird damit gerechnet, dass die Mehrheit der Armenier Bergkarabach verlassen wird. Eine Explosion in einem Lager für Treibstoff tötete vor einigen Tagen Dutzende fliehender Menschen.
Auf Russland als "Schutzmacht" verlassen
1991 hatten armenische Kräfte Bergkarabach als eigenständige Region etabliert. Der große russische Stützpunkt in Armenien und Russlands Solidaritätsbekundungen gegenüber Bergkarabach wiegten die Herrschenden wie die Bevölkerung dort in Sicherheit. Zwischenzeitlich war Aserbeidschan mit Hilfe der Türkei und Israels jedoch schwer aufgerüstet worden. Mit Putins Überfall auf die Ukraine änderte sich die Lage. Russland ließ zwar noch Truppen in Armenien, hörte aber auf, als Schutzmacht zu fungieren. Es musste seine Kräfte auf den Ukrainekrieg konzentrieren. Armenien und die Armenier in Bregkarabach wurden eiskalt fallen gelassen. Wenn heute afrikanische Länder wie Mali und Niger in Erwägung ziehen, sich lieber dem russischen Imperialismus anzuvertrauen als unter der Geisel Frankreichs zu leben, kann die "armenische Erfahrung" für sie eine Lehre sein. Die wirklichen Verbündeten der Völker sind die Arbeiter und die Massen aller Länder.
Am Montag trafen sich der faschistische türkische Staatspräsident Erdogan und der aserbeidschanische Präsident Ilcham Alijew in der aserbeidschanischen Exklave Natschitschwan und beglückwünschten sich gegenseitig zum Sieg in Bergkarabach. Die neuimperialistische Türkei hält in ihrem Großmachtstreben die Tradition des Osmanischen Reichs hoch. Türkischer Nationalismus und Chauvinismus hatten sich schon einmal, 1915, bis zum Völkermord an den Armeniern gesteigert. Bereits vorher war die Geschichte Armeniens eine Geschichte der Unterdrückung und des Kampfs dagegen.
Mit dem Ukrainekrieg ist die Bedeutung Aserbeidschans gewachsen
Aserbeidschan nutzt die Widersprüche zwischen alten Imperialisten und neuimperialistischen Staaten, um seine Vormachtstellung im Kaukasus auszubauen. Die neuimperialistische Türkei ist Hauptbündnispartner von Aserbeidschan und Strippenzieher. Das Land ist von wachsender Bedeutung wegen seiner reichen Vorkommen an Öl, Gas und wegen seiner geostrategischen Lage. Erdogan und Alijew schlossen ein Abkommen über Gaslieferungen aus Aserbeidschan an die Türkei. Mit Beginn des Ukrainekriegs ist die Bedeutung Aserbeidschans als Rohstofflieferant gestiegen. Zwischen der EU und Aserbeidschan gab es bereits im Juli 2022 eine Absichtserklärung, dass die aserbeidschanischen Erdgaslieferungen an die EU bis 2027 auf jährlich 20 Milliarden Kubikmeter gesteigert werden sollen. 2022 waren es 11,4. Angesichts dieser Lage stören sich die westlichen Imperialisten nicht daran, dass Aserbeidschan von einem autokratischen Diktator regiert wird. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußert Bedauern und fordert westliche Beobachter. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) freut sich über den "verlässlichen Partner" Aserbeidschan.
Der britische Energiekonzern BP will die Förderung im riesigen Gasfeld Shah-Deniz mit Gas-Vorräten von über 1 Trillion Kubikmeter ausbauen und ein weiteres Feld unter dem Kaspischen Meer anzapfen. Aserbeidschan ist auch nicht auf den Kopf gefallen. Es hat mit Gazprom einen Vertrag geschlossen über russische Lieferungen, um mehr eigenes Gas an den Westen liefern zu können. Der Staatskonzern Sokap hat in der Schweiz die Esso-Tankstellen übernommen. Geplant ist ein Korridor durch Armenien zur Umgehung des Iran. Mit dem Bau einer Pipeline wird schon begonnen. Die Türkei hätte dann einen Handelsweg zum Kaspischen Meer und zu den Turkstaaten in Zentralasien. Für China wäre der Korridor Bestandteil seiner "Neuen Seidenstraße" zur Verbindung mit Russland und den Turkstaaten und als Tor zu Europa unter Umgehung des Iran und von Armenien.
Die Taktik der westlichen Imperialisten, sich als Vermittler zwischen den Nationalitäten zu gebärden, ist jetzt nicht aufgegangen. Nun bleibt vorerst nur noch der Iran als Partner Armeniens. Aserbeidschan wurde massiv aufgerüstet und ist auf Platz 7 der Welt, was den Anteil der Rüstung am Bruttoinlandsprodukt betrifft. Die OSZE hat vor 31 Jahren eigentlich ein Embargo für Waffen und Munition verhängt. Israel, das kein OSZE-Mitglied ist, rüstet Aserbeidschan gegen den Iran auf. Die Türkei natürlich auch, der Westen liefert trotz Embargo. Von Daimler-Trucks werden israelische Mörser abgeschossen. MTU liefert Getriebe und Motoren für Patrouillenboote. Sie werden nach Israel geliefert, dort verbaut, und weiter geht es nach Aserbeidschan.
"Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder der Schwarzmeerregion – führen wir gemeinsam den antiimperialistischen Kampf"
Heute werden die Völker für imperialistische Ziele und Großmachtpläne aufeinander gehetzt. In der sozialistischen Sowjetunon wurde um die gleichberechtigte Stellung der Nationalitäten gekämpft. Stalin führte in der Schrift "Die nationalen Momente im Partei- und Staatsaufbau" aus, dass dazu in erster Linie der großrussische Chauvinismus bekämpft werden musste, aber auch der Nationalismus zwischen den Völkern im Kaukasus.
Vier revolutionäre Parteien, Mitglieder der revolutionären Weltorganisation ICOR, haben im März 2022 eine gemeinsame Erklärung unter der Überschrift "Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder der Schwarzmeerregion – führen wir gemeinsam den antiimperialistischen Kampf" veröffentlicht (KSRD, Ukraine; MLKP, Türkei/Nordkurdistan; MLP, Russland und TKP-ML, Türkei). Es heißt in dieser Erklärung: "Das Erdogan-Regime wandelt sich von einem Erfüllungsgehilfen westlicher Interessen zu einem unabhängigen Akteur ... Die Türkei beteiligte sich im Verborgenen am Krieg in Berg-Karabach, sie operiert in Afghanistan und Libyen. ... All dies bedeutet eine Zunahme der militärischen Gefahr für die Schwarzmeerregion, eine weitere Zunahme der Unterdrückung auf nationaler Ebene, Klassenausbeutung, eine erhebliche Verschlechterung der Lebensbedingungen der einfachen Menschen. So hat sich Anfang 2022 der militarisierte imperialistische Konflikt um die Kontrolle über die Ukraine drastisch verschärft. Er hat bereits zu einer erheblichen Kriegsgefahr geführt, die Millionen von Werktätigen mit Entbehrung und Tod bedroht. In einer solchen Situation ist es besonders wichtig, der Arbeiterklasse und allen Völkern in der Region die Möglichkeit und Notwendigkeit einer sozialistischen gesellschaftlichen Alternative und der Revolution zu vermitteln."