Erdoğan-Besuch in Deutschland
„Wertebasierte“ Kumpanei mit Faschisten – die etwas andere Kritik an Olaf Scholz
„Unsere Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik werden wir wertebasiert und europäischer aufstellen. (…) Die Menschenrechte als wichtigster Schutzschild der Würde des Einzelnen bilden dabei unseren Kompass.“ So klang es vor ziemlich genau zwei Jahren im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung.
Menschenrechte als Kompass? Der Besuch des faschistischen Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, in Deutschland wirft ein grelles Licht auf die stramme Rechtsentwicklung der deutschen Regierung und ihrer Verbündeten. Dabei ist die Kritik an dem Besuch Erdoğans aus den bürgerlichen Parteien und Medien selbst oft von Heuchelei geprägt.
Vom Arbeiterstandpunkt muss einiges gerade gerückt werden:
1. Olaf Scholz und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier werden oft zu Recht dafür kritisiert, dass sie einem Faschisten wie Erdoğan den roten Teppich ausrollen. Erdogan lobt die faschistische Hamas als angebliche Befreiungsarmee. Dagegen wird Greta Thunberg übel als angebliche Antisemitin verleumdet, weil sie sich für Menschenrechte der Palästinenser einsetzt und Kritik an Israel übt. Demonstrationen, sogar Flugblätter, werden in Deutschland verboten, wenn sie berechtigt den Völkermord Israels im Gazastreifen kritisieren. Der Antisemit Erdoğan dagegen wird zum Abendessen im Kanzleramt eingeladen. Kompass Menschenrechte?
2. Genauso übel ist aber, was in den bürgerlichen Medien nicht kritisiert wird. Die bedingungslose Treue der deutschen Regierung gegenüber der faschistoiden Netanjahu-Regierung ist ebenfalls ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte. Olaf Scholz lehnt eine Waffenruhe im Gazastreifen ab, während der israelische Feldzug schon mindestens 12.000 Menschen das Leben kostete und zwei Millionen in ihrer Existenz bedroht sind.
Der Faschisten Erdoğan spielt sich öffentlichkeitswirksam als Freund der Palästinenser und Beschützer der Menschenrechte auf, der er nicht ist. Er macht glänzende Geschäfte mit Israel, liefert sogar Waffen für etwa eine Milliarde Dollar, besonders aus der Drohnenproduktion von Erdogans Schwiegersohn Bayraktar.¹
3. Bei der Unterdrückung von fortschrittlichen und revolutionären Kräften sind Erdoğan und Scholz auf der gleichen Wellenlänge. In Deutschland sitzen türkische Revolutionäre im Gefängnis und ihnen wird der Prozess gemacht - ausschließlich wegen ihrer kommunistischen Gesinnung. Das ist der Fall im aktuellen DHKP-C-Prozess in Düsseldorf oder vorher im Kommunistenprozess gegen angebliche Mitglieder der TKP/ML in München. Die Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) fordert zu Recht die sofortige Einstellung des DHKP-C-Verfahrens.
4. Die Einladung Erdoğans wird oft in bürgerlichen Medien damit gerechtfertigt, dass man die Türkei brauche. Aber wofür? Für Menschenrechte oder für den systematisch organisierten Verstoß gegen Menschenrechte? Die Türkei kassiert Milliarden von der EU dafür, dass sie Flüchtlinge gewaltsam davon abhält, nach Europa zu kommen. Sie bekommt als NATO-Mitglied auch Rückendeckung für ihre völkerrechtswidrigen Angriffe auf die kurdischen Gebiete in Syrien oder im Irak, für die Unterdrückung der Kurden in der Türkei. Auch die Tatsache, dass 62 deutsche Staatsbürger in türkischen Gefängnissen sitzen², viele wegen „Terrorvorwürfen“, weil sie die Rechte der Kurden verteidigen, entlockt der deutschen Regierung kein Wort des öffentlichen Protestes. Man ist sich einig im Kampf gegen Revolutionäre. Kompass Menschenrechte?
5. Der eigentliche Kompass der „wertebasierten“ Außenpolitik ist heute, Boden im Rückfall im zwischenimperialistischen Konkurrenzkampf gut zu machen. Das verschärft die akute Gefahr eines dritten Weltkriegs. Dabei hat die NATO die neu aufgekommenen Imperialisten Russland und besonders China zu strategischen Rivalen erklärt. Wenn das Erdoğan-Regime als Vermittler im Ukrainekrieg beschworen wird, stärkt die NATO damit zugleich eine aggressiv aufstrebende Regionalmacht, die dem rivalisierenden BRICS-Bündnis beitreten will.³ Die neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Bundesregierung werben in dankenswerter Offenheit für Zusammenarbeit mit Staaten, die gleiche (imperialistische) Interessen haben, „auch wenn sie nicht alle unsere Werte teilen“.
Aber es geht nicht etwa um eine Charakterschwäche führender bürgerlicher Politiker, die man durch Wahlen austauschen könnte. Aus der Kritik an der amtlichen Heuchelei müssen grundsätzliche Schlussfolgerungen gezogen werden. Wir haben es mit einer umfassenden Rechtsentwicklung zu tun, die sowohl Umweltzerstörung und Weltkriegsvorbereitung als auch die Unterdrückung der Kritik daran betreibt. Mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise versuchen die Herrschenden den Massen all das als "normal", "unausweichlich" und "nötig" zu verkaufen. Einher geht das mit einem zunehmend aggressiven Antikommunismus. Das ist eine Reaktion darauf, dass die Heuchelei der Bundesregierung mit ihren „wertebasierten“ Lautsprechern wie Annalena Baerbock und Robert Habeck immer mehr Menschen abstößt. Denn ihnen fällt die Beschwörung der Menschenrechte ganz offensichtlich immer dann ein, wenn sie sich daraus einen Nutzen für ihre imperialistischen Zwecke versprechen.
Dagegen ist der echte Sozialismus der einzige Ausweg aus dieser Entwicklung, die der Imperialismus verantwortet und die letztlich den Fortbestand der Menschheit bedroht. Die Lehre kann nur sein, dass Menschenrechte nicht vom Imperialismus eingefordert werden können, dieser tritt sie gesetzmäßig mit Füßen, sondern nur im revolutionären Kampf für den echten Sozialismus erreicht werden können. Wie es schon im Lied der revolutionären Arbeiterbewegung heißt: „Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!“