Leserbrief

Leserbrief

Zum Entwurf eines sozialpolitischen Programms und dem kritischen Brief von Monika Gärtner-Engel

Kurz vor den diesjährigen regionalen Herbstdemonstrationen der bundesweiten Montagsdemo-Bewegung hat deren Koordinierungsgruppe einen „Vorschlag für ein sozialpolitisches Forderungs- und Kampfprogramm“ veröffentlicht. Darüber und über einen kritischen Leserbrief von Monika Gärtner-Engel zum Vorschlag entfaltet sich eine lebhafte Diskussion. "Rote Fahne News" dokumentiert hier eine Zuschrift einer Leserin aus Stuttgart.

Auf diese Artikel bezieht sich der Leserbrief: "Warum zu den Herbstdemos der bundesweiten Montagsdemobewegung" und "Zum Vorschlag eines sozialpolitischen Kampfprogramms der bundesweiten Montagsdemobewegung".

 

Hier der Leserbrief: Aus meiner langjährigen Arbeit mit Erwerbslosen und in Erwerbslosengruppen/Initiativen möchte ich meine Erfahrungen einbringen.

 

Zu 1.: Erwerbslose sind Teil der Arbeiterklasse. Erwerbslose haben meist viele Jahre Erwerbstätigkeit hinter sich... auch während der Arbeitslosigkeit sind sie immer wieder kurzfristig in Arbeit, meist in prekären Jobs, die sie nach 6 Monaten Probezeit wieder verlieren. Ganz bewusst haben alle bürgerlichen Parteien die Spaltung durch Hartz IV/Bürgergeld seit 2003 systematisch vertieft. Die SGB II-Gesetzgebung und die ausführenden Jobcenter haben dazu geführt, dass die grosse Masse der von Erwerbslosigkeit Betroffenen in ihrem ständigen „Überlebenskampf im Alltag und mit den Behörden“ sich ausgegrenzt fühlt und auch sich selbst nicht mehr als Teil ihrer Klasse sieht. Und auch in der Öffentlichkeit als solche nicht wahrgenommen wird.Zudem haben Erwerbslose nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sich für ihre Belange und Forderungen einzusetzen. Sie können nicht streiken, sie haben keinen gewerkschaftlichen Zusammenschluss und ohne die Verbindung in die Betriebe hinein keine wirkliche Kampfkraft.

 

Deshalb muss alles daran gesetzt werden, dass die folgende Forderung unter den Erwerbslosen, in den Betrieben und in der Öffentlichkeit verankert wird! Statt Bürgergeld muss das Arbeitslosengeld I für die Dauer der Arbeitslosigkeit gezahlt werden. (Das Wort „wieder“  muss gestrichen werden, da es vor Hartz IV Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III und Sozialhilfe gab mit Bedürftigkeitsprüfung, also nicht unbegrenztes Arbeitslosengeld I.)

 

Die Forderung der Abschaffung der Bedarfsgemeinschaft im gleichen Absatz lenkt ab, bzw. schwächt die grundsätzliche Forderung nach Abschaffung des Bürgergeldes. Die Bedarfsgemeinschaft ist ein Bestandteil des SGB II … man kann im Zusammenhang mit der Forderung nach der Grundsicherung für Kinder dieses unsägliche Konstrukt darstellen und ablehnen.

 

Zu 2.: Die Forderung der Höhe des Bürgergelds ist tatsächlich ein „Problem“, was ist realistisch? Seit Einführung der Regelbedarfe sind diese schon immer zu niedrig berechnet, ausgehend von einer statistischen Grundlage, die seit Jahren von SozialwissenschaftlerInnen oder Sozialverbänden kritisiert wird. So hat der Paritätische Wohlfahrtsverband für 2023 statt dem von der Regierung festgesetzten Regelbedarf für Alleinstehende von 502 Euro einen „notwendigen Betrag von 725 Euro“ errechnet. Das ist auch die Summe, an der sich die meisten Erwerbslosengruppen orientieren. Des weiteren könnte man sich auch an der Pfändungsfreigrenze orientieren – was in etwa der Höhe der Forderung von 1150 Euro aus dem vorliegenden Programm entspricht. Seit 1.7.2023 ist die Pfändungsfreigrenze sogar auf 1402 gestiegen. Hier zeigt sich deutlich, wie willkürlich die Regelbedarfe von der Regierung festgesetzt werden, denn die Pfändungsfreigrenze bedeutet nichts anderes, als dass diese Summe als notwendig erachtet wird für den Lebensunterhalt.

 

Bei der Festlegung der Höhe kann man sich tatsächlich festbeißen an den verschiedenen Berechnungsmodellen. Man muss stattdessen im Zusammenhang mit der Forderung nach der unbefristeten Fortsetzung des Arbeitslosengelds I das Regelbedarfssystem entlarven.

 

Zu Monika: falsch finde ich die Ausführungen bezüglich der Sanktionen. Es geht doch nicht darum, dass man „wochenlang unentschuldigt fehlt“. Der von Dir benutzte Vergleich mit Fehlzeiten im Betrieb ist nicht richtig. Die Sanktionsparagraphen sind bewusst in die Sozialgesetzgebung eingebaut zur Einschüchterung der Betroffenen und zur Erzwingung der Annahme jeglicher Beschäftigung, Maßnahme oder Verordnung durch die Jobcenter. Daran wurde auch beim Bürgergeld nichts geändert - außer, dass nur noch bis maximal 30 Prozent des Regelbedarfs gekürzt werden darf. (Auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts).

 

Völlig übersehen wird von Dir: Der Alltag vieler Erwerbsloser ist so belastet, dass es tatsächlich passieren kann, dass sie einen Termin versäumen. Vielfach blickt man auch bei den vielen juristisch schwer zu durchschauenden Bescheiden der Jobcenter nicht durch oder ist einfach überfordert! Aber immer steht die Drohung im Raum, dass von dem wenigen zur Verfügung stehenden Geld noch Mittel gekürzt werden. Deshalb ist mir auch unklar, was an der Forderung „sanktionsfrei“ kleinbürgerlich sein soll. Es ist eine Reform-Forderung, um den Druck abzumildern von allen denen, die auf soziale Leistungen angewiesen sind.

 

Es ist u.a. den jahrelangen Bemühungen der Erwerbslosengruppen mit Unterschriftenaktionen zu verdanken, dass das Bundesverfassungsgericht eine Abmilderung der Sanktionen von der Regierung verlangt hat. Die Forderung nach der kompletten Abschaffung steht nach wie vor im Raum! Eine Losung unter Erwerbslosen ist übrigens: „Ein Mindesteinkommen kann nicht gekürzt werden!“

 

Zum Programm insgesamt: Grundsätzlich stellt sich mir die Frage, ob diese Art von Programm überhaupt tauglich ist. Hier werden aus allen Bereichen Forderungen aufgestellt, die sicher ihre Berechtigung haben, aber so einfach nacheinander aufgereiht dastehen. Außerdem verbinde ich mit einem Kampfprogramm Schritte der Umsetzung. Dazu ist aber eine Bewegung wie die Montagsdemo gar nicht in der Lage, da sie außer Kundgebungen und Demonstrationen keine Praxis macht.