Dafür haben die Stahlarbeiter nicht gekämpft

Dafür haben die Stahlarbeiter nicht gekämpft

Verhandlungsergebnis in der Stahltarifrunde 2023 – ein fauler Kompromiss

In der Tarifrunde der nordwestdeutschen Stahlindustrie gibt es seit gestern ein Verhandlungsergebnis zwischen der IG Metall unter dem Verhandlungsführer Knut Giesler und dem Kapitalistenverband Stahl.

Von der Landesleitung Nordrhein-Westfalen der MLPD
Verhandlungsergebnis in der Stahltarifrunde 2023 – ein fauler Kompromiss
Warnstreik bei tkse in Duisburg (rf-foto)

Die IG Metall hatte für die ca. 68.000 Beschäftigten eine Tarifforderung aufgestellt, die geeignet war, die gewerkschaftliche Kampfkraft zu entfalten und erstmals nach Jahrzehnten wieder eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich auf die Tagesordnung gesetzt: 8,5% Tariferhöhung auf 12 Monate, 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, Verlängerung der Tarifverträge zur Altersteilzeit, Beschäftigungssicherung und Werkverträge. An der niedrigen Lohnforderung gab es im Vorfeld massive Kritik aus den Belegschaften.

 

Die Stahlkapitalisten wollten insbesondere von der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung nichts wissen. Sie legten in drei Verhandlungsrunden provokative „Angebote“ vor. Stattdessen warnte der Thyssenkrupp-Steel-Vorstand in Merkblättern vor selbständigen und politischen Streiks, droht mit Repressionen und selbst für gewerkschaftliche Warnstreiks mit einer härteren Gangart („Zugänge und Zufahrten zum Betrieb dürfen nicht versperrt werden“).

 

In drei Warnstreikwellen kämpften die Stahlarbeiter für ihre Forderung. Zunächst reguläre Warnstreiks mit guter Beteiligung bei miesestem Wetter, dann Warnstreiks verbunden mit zeitlich befristeten Torblockaden, und in dieser Woche nach dem Scheitern der 3. Verhandlungsrunde erstmals in der Geschichte der Stahlindustrie 24-stündige Warnstreiks verbunden mit Torblockaden. Der letzte gewerkschaftliche Streik in der Stahlindustrie war im Winter 1978/1979 für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Alleine in Duisburg beteiligten sich sämtliche sieben Stahlbetriebe mit 17.000 Beschäftigten an den 24-Stunden-Streiks in dieser Woche. Die Stimmung an den Toren war kämpferisch, ausgelassen und stolz. Die gewerkschaftlichen Vertrauensleute und Aktivisten organisierten Torblockaden, Verpflegung, Schichtübergaben, Streikzeit ist Arbeitszeit. Sie bekamen viel Solidarität u.a. von der MLPD, von Bergleuten, von der SDAJ und anderen.

Das Verhandlungsergebnis [1] sieht vor:

  • Laufzeit des Tarifvertrags: 22 Monate (bis 30.9.25)
  • Die Beschäftigten erhalten zum 1. Januar 2024 eine steuerfreie Einmalzahlung in Höhe von 1500 Euro netto, Auszubildende erhalten 1000 Euro. Von Februar bis November gibt es monatliche steuerfreie Zahlungen in Höhe von 150 Euro netto, für Azubis 80 Euro. In Summe also 3000 € für Vollzeitbeschäftigte.
  • Ab 1. Januar 2025 steigen die Auszubildendenvergütung und die Entgelte um 5,5 Prozent.
  • Die Tarifverträge Altersteilzeit, Werkverträge und Beschäftigungssicherung werden entsprechend der Laufzeit verlängert.
  • Eine Arbeitszeitverkürzung auf mindestens 32 Stunden in der Woche kann erfolgen, wenn durch die sogenannte Transformation „ein Druck auf die Beschäftigung“ ensteht, sprich Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Während neue Produktionsanlagen hochgefahren werden, ist aber auch eine Arbeitszeitverlängerung auf bis zu 38 Stunden in der Woche möglich. Für die Arbeitszeitverkürzung ist ein Teillohnausgleich vorgesehen.
  • Zusätzlich werden Möglichkeiten zur individuellen Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich geschaffen z.b. 33,6h/Woche im Contischicht Betrieb. Kollegen über 60 Jahre erhalten in einem solchen Fall 34,1 Stunden bezahlt.

 

Das Verhandlungsergebnis ist kompliziert und detailreich. Die Rote-Fahne-Redaktion sprach mit Peter Römmele, er ist selbst Stahlarbeiter bei ThyssenKrupp und der Landesvorsitzende der MLPD in NRW. Was ist von diesem Verhandlungsergebnis zu halten?

Peter Römmele:

Zuerst einmal ist klar, dass die Kollegen und Kolleginnen in den Betrieben, die gewerkschaftlichen Vertrauensleute und natürlich auch die Betriebsgruppen der MLPD diese Tarifauseinandersetzung zu ihrer Sache gemacht haben. Die Stahlkonzerne haben mit einem Taktikwechsel provokativ die Forderungen abgelehnt und auch die Streiks mit Klagen vor den Arbeitsgerichten bekämpft. Das politisierte den Streik und mobilisierte weitere Stahlarbeiter, jetzt erst recht!

 

Das Verhandlungsergebnis muss aber als fauler Kompromiss beurteilt werden. Die Gründe dafür sind:

 

  1. keine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte in 2024, die steuerfreien 3000 Euro sollten extra gezahlt werden und nicht in die Lohn und Gehaltstarifrunde eingebaut werden. Eine Tariferhöhung von 5,5 Prozent auf 22 Monate sind aufs Jahr berechnet gerade mal 3%, also ein weiterer Reallohnabbau bezogen auf die Reale Inflation und das nachdem bereits die letzte Tarifrunde weit unter der Inflation blieb.
  2. Statt der geforderten Arbeitszeitverkürzung als tarifvertragliche Regelung im Manteltarifvertrag offensiv durchzukämpfen, sollen die Stahlarbeiter jetzt mit (Teil-) Lohnverlust die Arbeitsplatzvernichtung „begleiten“ und für den Übergang sogar zwangsweise 38 Stunden arbeiten, während das derzeit in der Regel nur freiwillig per Überstunden möglich ist.
  3. Jetzt war genug gewarnt und geübt, dafür haben die Stahlarbeiter nicht gekämpft. Das Verhandlungsergebnis kann nicht akzeptiert werden! Es ist eine günstige Situation dass über acht Millionen Beschäftigte sich derzeit in Tarifkämpfen befinden, bei der GDL und im Stahl mit offensiven Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung mit volem Lohnausgleich. Da müssten die Kräfte gebündelt, gemeinsame Streik- und Aktionstage durchgeführt werden - im Geiste eines gemeinsamen ‚Generalstreiks’!

 

Die MLPD hält es mit Karl Marx, der den Arbeitern empfahl, nicht bei notwendigen Lohnkämpfen stehen zu bleiben, sondern unter der Losung ‚Nieder mit dem Lohnsystem’ für eine grundsätzliche Lösung zu kämpfen. Diese grundsätzliche Lösung, das ist eine sozialistische Gesellschaft, in der kapitalistische Ausbeutung der Ware Arbeitskraft und der Natur abgeschafft ist.“

 

Die Stahlarbeiter werden jetzt über das Verhandlungsergebnis diskutieren und gegenüber der Tarifkommission ihren Standpunkt vertren. Die MLPD empfiehlt den Stahlarbeitern, das Verhandlungsergebnis abzulehnen und eine sofortige Urabstimmung über einen unbefristeten Streik einzuleiten. Ansonsten bleibt nur die Alternative, den Kampf um einen Lohnnachschlag und eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich mit einem selbständigen Streik zu führen.

 

Siehe auch Erstmals 24-Stunden-Streiks in der Stahlindustrie gestartet