Den Haag

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Israel auf der Anklagebank des Internationalen Gerichtshofs

Gestern und vorgestern wurde vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Anklage Südafrikas gegen Israel verhandelt: Israel begeht im Gazastreifen einen Völkermord. Das ist die Quintessenz der Anklage. Zunächst geht es um das Eilverfahren, mit dem Südafrika ein Ende der israelischen Militäraktion im Gaza erreichen will. Gleichzeitig fordert der UN-Nothilfekoordinator einen sofortigen Waffenstillstand.

Von gis
Israel auf der Anklagebank des Internationalen Gerichtshofs

Das Gericht in Den Haag ist formal die höchste Rechtsinstanz der Vereinten Nationen. Israel hat das Statut des Internationalen Gerichtshofs (IGH) nicht unterzeichnet. Wenn es um Völkermord geht, ist der IGH jedoch umfassend zuständig, dies sieht die Völkermord-Konvention vor, die auch Israel ratifiziert hat. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens und wie bindend ein Beschluss des IGH wäre: Die Anklage Südafrikas vor dem IGH lässt die barbarische Kriegsführung Israels gegen die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen vor der Weltöffentlichkeit am Pranger stehen.

 

Drohungen israelischer Politiker belegen die barbarischen Absichten

In Den Haag tritt für Südafrika mit großem Engagement der Rechtsanwalt Tembeka Ngcukaitobi auf. Nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober hatten israelische Politiker Drohungen einer Auslöschung des Gazastreifens ausgestoßen, die bis zur Forderung nach dem Abwurf einer Atombombe reichten. Die Rede war von einem Kampf „des Guten“ gegen „das Böse“, der „Zivilisation“ gegen die „Barbarei“. Alle Bewohner des Gazastreifens solle die gleiche Strafe ereilen: der Tod. Ngcukaitobi zitiert unter anderen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Als Israels Streitkräfte am 28. Oktober die Invasion des Gazastreifens vorbereiteten, berief Netanjahu sich auf die biblische Geschichte der totalen Vernichtung des Nomadenvolkes Amalek durch die Israeliten. An die Armee gerichtet sagte Netanjahu: „Ihr müsst daran denken, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere heilige Bibel. Verschont niemanden, sondern tötet Männer und Frauen, Säuglinge und Kleinkinder, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.“ Tembeka Ngcukaitobi zitiert den Heimatschutzminister Avi Dichter. Der erinnerte am 11. November in einem Fernsehinterview an die Nakba von 1948 und äußerte: „Wir realisieren jetzt die Nakba des Gazastreifens.“ Dichter habe auch dazu aufgerufen, für die Palästinenser im Gazastreifen Wege zu finden, die qualvoller seien als der Tod. Verteidigungsminister Gallant: Israel „verhängt eine vollständige Belagerung über Gaza. Kein Strom, kein Essen, kein Wasser, kein Treibstoff. Alles ist unterbunden. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend“.

Südafrikas Anklageschrift weist detailliert menschenverachtendes Vorgehen nach

Der 84 Seiten lange Antrag Südafrikas* an den Internationalen Gerichtshof auf Einleitung eines Verfahrens gegen Israel wegen des Völkermords im Gazastreifen ist ein furchtbares Dokument. Es belegt Handlungen und Erklärungen detailliert, die den Kriterien des Völkermords entsprechen. Wer das Dokument liest, glaubt Israels Behauptung, seine Militärs schützen die Zivilbevölkerung, kein Wort. Oder er ist blind wie die Ampel-Regierung. Robert Habeck z.B. schlägt sich bedingungslos auf Israels Seite und seine Rechtfertigungsstrategie von der angeblichen Selbstverteidigung.

 

Am Donnerstag, dem 28. Dezember 2023 reichte Südafrika die Anklageschrift ein und beantragte gleichzeitig sofortige Maßnahmen zur Beendigung des Krieges, um der Bevölkerung von Gaza weiteres Leid zu ersparen. Auch vor dem 7. Oktober hat Israel den Menschen im Gaza großes Elend angetan. In den drei Jahren vor dem jetzigen Gazakrieg tötete Israel etwa 7.500 Menschen im Gazastreifen, darunter etwa 1.700 Kinder. In den 18 Monaten der wöchentlichen Proteste gegen die Blockade am Grenzzaun Richtung Israel töteten israelische Scharfschützen Hunderte und verwundeten über 36.000 Menschen, darunter fast 9.000 Kinder.

 

Über die Greueltaten im Krieg heißt es unter vielen anderen Belegen: „Israel hat inzwischen mehr als 21.110 namentlich genannte Palästinenser getötet, darunter mehr als 7.729 Kinder – über 7.780 weitere werden vermisst und sind vermutlich unter den Trümmern begraben – und hat mehr als 55.243 weitere Palästinenser verletzt und ihnen schwere körperliche und seelische Schäden zugefügt. Darüber hinaus hat Israel weite Teile des Gazastreifens verwüstet, darunter ganze Stadtviertel, und mehr als 355.000 palästinensische Häuser [mehr als 60 % des Wohnungsbestands im Gazastreifen] beschädigt oder zerstört, ebenso wie weite Teile der landwirtschaftlichen Nutzflächen, Bäckereien, Schulen, Universitäten, Unternehmen, Gotteshäuser, Friedhöfe, kulturelle und archäologische Stätten, kommunale und gerichtliche Gebäude sowie wichtige Infrastrukturen, darunter Wasser- und Abwasseranlagen und Stromnetze, und gleichzeitig einen unerbittlichen Angriff auf das palästinensische Gesundheitssystem durchgeführt. Israel hat den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt, seine Bevölkerung getötet, geschädigt und zerstört und Lebensbedingungen geschaffen, die auf ihre physische Zerstörung als Gruppe abzielen.“

Das soll Selbstverteidigung sein?

Israel lehnt den vor dem Internationalen Gerichtshof geforderten Stopp des Militäreinsatzes im Gazastreifen strikt ab. Ein solcher Schritt würde sein Land wehrlos machen, sagte der Rechtsberater des israelischen Außenministeriums, Tal Becker, in der Anhörung in Den Haag. Die Behauptung, dass der Krieg sich ausschließlich gegen die Hamas richte, ist völlig unhaltbar. Wer würde einer Polizeibehörde Glauben schenken, die einen Attentäter in ener Großstadt dingfest machen will und zu diesem Zweck fordert, dass die ganze Stadt zerbombt und in Schutt und Asche gelegt wird?

 

Die kollektive Bestrafung des palästinensischen Volks für das faschistische Massaker der Hamas gegen israelische Zivilisten ist völkerrechtswidrig. Es rechtfertigt auf keinen Fall diesen Vernichtungsfeldzug gegen die palästinensische Bevölkerung. Vor einigen Wochen haben israelische Militärs "versehentlich" drei israelische Geiseln erschossen, die von der Hamas im Gazastreifen festgehalten wurden. Die drei Männer hielten beim Verlassen eines Gebäudes weiße Flaggen in den Händen. Warum man sie dennoch "versehentlich" erschoss: Die israelischen Soldaten hielten sie für palästinensische Zivilisten!

 

Der israelische Generalmajor der Reserve und Berater des Verteidigungsministers Eiland zum Thema "Schutz von Zivilisten": „Wer sind die ‚armen‘ Frauen von Gaza? Sie sind alle Mütter, Schwestern oder Ehefrauen von Hamas-Mördern. Die internationale Gemeinschaft warnt uns vor einer humanitären Katastrophe in Gaza und vor schweren Epidemien. Davor dürfen wir nicht zurückschrecken, so schwer das auch sein mag. Schließlich werden schwere Epidemien im Süden des Gazastreifens den Sieg näher bringen."

Israels Vorgehen entwickelt sich zum Völkermord

Der Journalist Robert Herbst schreibt in einem am 31. Dezember erschienenen Artikel, den Occupied News dokumentiert: "Es lässt sich wie folgt zusammenfassen: „(1) Tötung von Palästinensern in Gaza, einschließlich Kindern, in großer Zahl; (2) Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden bei Palästinensern in Gaza, einschließlich palästinensischer Kinder; und Auferlegung von Lebensbedingungen, die ihre Zerstörung als Gruppe bewirken sollen. Zu diesen Bedingungen gehören: (3) die Vertreibung aus den Häusern und die Massenumsiedlung sowie die großflächige Zerstörung von Häusern und Wohngebieten; (4) die Verweigerung des Zugangs zu angemessener Nahrungsversorgung und Wasser; (4) die Verweigerung des Zugangs zu angemessener medizinischer Versorgung; (5) die Verweigerung des Zugangs zu angemessener Unterkunft, Kleidung, Hygiene und sanitären Einrichtungen; und (6) die Zerstörung des Lebens der palästinensischen Bevölkerung in Gaza; und (7) die Verhängung von Maßnahmen, die darauf abzielen, palästinensische Geburten zu verhindern.“

 

Das entspricht der Festlegung in der UN-Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes.

 

Die Anklageschrift Südafrikas: https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf