Agrarkrise bricht in Europa auf
In Frankreich blockieren Bauern seit Tagen das ganze Land
In letzter Zeit haben Bauern in 15 EU-Ländern ihren Protest gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf ihren Rücken in großen Demonstrationen zum Ausdruck gebracht. Die Mehrheit der Bevölkerung hat dafür großes Verständnis. In den Niederlanden protestierten sie v.a. gegen die Änderung von Auflagen zum Stickstoffgehalt der Böden, ähnlich auch in Irland und Belgien.
In Rumänien und Polen protestierten sie v.a. gegen Billigimporte aus der Ukraine. Und auch in Deutschland gab es Proteste v.a. gegen die Abschaffung der Agrardieselsubvention. Der Unmut richtet sich auch zunehmend direkt gegen die imperialistische Staatengemeinschaft EU, die mit ihrem Green Deal dafür sorgt, dass die Existenz vieler kleiner und mittlerer Bauern bedroht wird. Das ist vor der anstehenden Europawahl ein Politikum.
Blockaden im ganzen Land
Seit drei Wochen blockieren französische Landwirte Autobahnen. Die Einfahrt nach Paris und die Blockade des Großhandelsmarkts von Rungis-Paris verhinderten 15.000 Polizisten und zwei Panzerfahrzeuge. Mehr als 90 Landwirte wurden verhaftet. Vor Verwaltungsgebäuden und Supermärkten kippten Bauern Gülle und Stroh aus. Auch die Zufahrt zum Atomkraftwerk Golfech wurde blockiert. Vor einem Finanzamt errichten sie eine Mauer aus Altreifen. Einige waren am Donnerstag auch in Brüssel, wo eine europäische Beratung stattfand. Die Proteste richten sich gegen Umweltauflagen, Einkommensverluste, hohe Energiekosten, gegen den Agrardieselpreis und Regelungen zur Wassernutzung und dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln - vor allem, wenn die Kosten auf sie abgewälzt werden.
Die Gewerkschaftsspitze der Bauerngewerkschaft (FNSEA) und die Vereinigung der Junglandwirte fordern, die Blockaden im Land auszusetzen, um die Bewegung in anderer Form fortzusetzen. Sie sind auf eine Einigung mit der Regierung aus, als Pfand können die Blockaden jederzeit wieder aufgenommen werden. Am 24. Februar ist Landwirtschaftsmesse; bis dahin bekommt die Regierung eine Frist. "Wir werden nicht blockieren, aber wir werden da sein, um den Präsidenten an seine Verantwortung zu erinnern, wenn sich die Dinge nicht entwickelt haben."
Als ob der Widerspruch zwischen kleinen Bauern und dem Umweltschutz bestünde
Die französische Zeitung Libération titelt: Ernte eingebracht – Umwelt liegt brach. Und stellt den Hauptwiderspruch dar zwischen Bauern und dem Umweltschutz. Keine Frage, das Umweltbewusstsein unter den Bauern muss wachsen und sich gegen die sozialchauvinistische Demagogie, sich für eines von beiden entscheiden zu müssen, behaupten. Die junge Welt interviewte Thierry Jacquot, Rinderzüchter und Sprecher der Bauerngewerkschaft in Grand-Est: Die großen Bauernverbände und die Koordination Landwirtschaft sehen die Probleme der Landwirtschaft in den zunehmenden Sozial- und Umweltauflagen, sowie den Freihandelsabkommen. Sie wollen, dass der Grean Deal abgelehnt wird und der Pestizideinsatz bleibt. Uns geht es vor allem darum, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Der Hauptwiderspruch ist doch zwischen der imperialistischen EU, welche die Großaggraier und Großhandelsketten bedient und die Existenz der kleinen und mittleren Bauern bedroht. Umwelt- und Bauernschutz – wir brauchen beides! Gemeinsam gegen die Abwälzung der Krisenlasten durch die EU und die nationalen Regierungen!
Gegen Freihandelsabkommen und ukrainische Getreideimporte
Die Wut der protestierenden Bauern richtet sich auch gegen die Unterzeichnung von Freihandelsabkommen z. B. mit südamerikanischen Staaten im Mercosur oder billigen ukrainischen Getreideimporten. Bisher fuhr die französische Regierung gut damit, mit ihren Agrarprodukten den Weltmarkt zu erobern. Sie spezialisierten sich auf die lukrativsten und am stärksten mechanisierten Produkte, während sie die anderen Produkte aus dem Ausland importierten. In den 1990er-Jahren verzeichnete die Landwirtschaft die höchsten Produktivitätszuwächse in der gesamten Wirtschaft. Seit dem Jahr 2000 gerieten sie damit in die Krise, die Produktivitätszuwächse sanken, die Löhne sanken und die Preise wurden erhöht. Nun drängen neuimperialistische Länder wie Brasilien, Argentinien und weitere mit ihren viel billigeren Produkten auf den Weltmarkt. Der internationale Konkurrenzkampf verschärft sich. Das wird auf die breiten Massen und die kleinen und mittleren Bauern massiv abgewälzt. Der Protest der Bauern dagegen ist berechtigt. Er mischt sich aber auch, ähnlich wie in Deutschland, mit rückwärts gewandten Forderungen.
Reaktionäre Parole: "Patrioten gegen Globalisten"
Faschistoide und faschistische Kreise wie der Rassemblement National (RN) versuchen sich wie in Deutschland die AfD, bei den Bauern anzubiedern. Unter dem Motto "Patrioten gegen Globalisten". Jordan Bardella (RN) führt die Partei im Europawahlkampf an. Er sieht in der wütenden Bauernbewegung den "Schrei des Volkes, das arbeitet und nicht ausgelöscht werden will, dessen großer Radierer Emmanuel Macron ist." Sie richten ihren Hauptstoß vor allem auch gegen alle Umweltauflagen. Der RN setzt die Existenzbedrohung der kleinen und mittleren Bauern einfach mit einer Deindustrialisierung gleich. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Die Landwirtschaft wurde weltweit konzentriert und industrialisiert wie nie zu vor. Im Kapitalismus wird Industrialisierung dann immer auf die kleinen und mittleren Bauern und die breiten Massen abgewälzt.
Staatspräsident Emmanuel Macron und der neue Premierminister Gabriel Attal versprechen umfassende Sofortmaßnahmen. Sie wollen den Begriff der Ernährungssouveränität ins Gesetz bringen und kein Verbot von Produkten ohne Lösung verhängen. Ein verpflichtender Anteil an landwirtschaftlichen Produkten "origine France" soll dabei helfen. Die Kürzung der Agrardieselsubventionen soll zurückgenommen werden. Dazu Beihilfepläne im Wert von 400 Millionen Euro. 150 Millionen Euro an Hilfen für Rinderzüchter; Einrichtung eines Notfallfonds für Weinbauern. Attal versprach, die Kontrollen der Lebensmittelindustrie zu verdoppeln, um das Egalim-Gesetz sicherzustellen. Mit dem Egalim-Gesetz soll das Einkommen für Bauern geschützt werden, gegen die größten industriellen Händler. Doch Marken wie Leclerc, Carrefour oder Système U werden wissen, wie sie das umgehen können. Ihre Einkaufszentralen legen sie außer Landes, nach Belgien, Spanien oder in die Niederlande. Das soll künfitg unterbunden werden.
Umweltmaßnahmen eingefroren
Die Regierung verspricht, die Einfuhr von Obst und Gemüse, das mit einem in Europa nicht zugelassenen Insektizid Thiacloprid behandelt wurde, zu verbieten. Gleichzeitig frieren sie den Plan "Ecophyto 2030" ein, damit sollte der Pestizideinsatz in Frankreich bis 2030 um 50% reduziert werden. Umweltschützer kritisieren das zu Recht. Zwischen 2009 und 2011 und zwischen 2018 und 2020 stieg der Verbrauch an Pflanzenschutzmitteln um 14%. Während Attal pestizidbelastete ausländische Produkte verbieten will, zum Schutz seiner Bevölkerung und der Bauern, soll nun in Frankreich der Indikator verändert werden. Aber wie soll man die Werte ernsthaft verfolgen, wenn man mittendrin sein Messgerät wechselt? Auch Pläne zum Einrichten von Pufferzonen, in denen keine Pestizide mehr gesprüht werden dürfen, sind eingefroren.