Berlin
Gericht verbietet Kita-Streik
In einer Urabstimmung hatten sich 91,7 Prozent der Ver.di Mitglieder und 82 Prozent der GEW-Mitglieder für einen unbefristeten Erzwingungsstreik in den 280 landeseigenen Kita-Betrieben in Berlin ausgesprochen.
Worum geht es Ver.di und GEW und ihren Mitgliedern? Sie verlangen bessere Arbeitsbedingungen, etwa kleinere Betreuungsgruppen, und einen Ausgleich von Belastungen. Dies wollen sie in einem eigenen Tarifvertrag festgeschrieben haben. Betroffen sind davon 7000 Beschäftigte und 29 000 Kinder. Das sind etwa ein Fünftel aller betreuten Kinder. Die restlichen werden von freien Trägern betreut.
Nachdem mehrere Warnstreiks zu keiner Einigung mit dem Senat geführt hatten, haben Ver.di und GEW nach der Urabstimmung zu einem unbefristeten Streik ab 30.9. aufgerufen. Dagegen hat der Senat einen „Eilantrag“ beim Arbeitsgericht Berlin eingereicht. Das Gericht hat dem Senat Recht gegeben und Ver.di und GEW dazu verpflichtet, den Streikaufruf zurückzunehmen. Ver.di will dem nachkommen, hat aber Berufung beim Landesarbeitsgericht angekündigt.
Aufschlussreich ist die Begründung des Amtsgerichts gegen den Streikaufruf: Angeblich verstoße der Streik gegen die Friedenspflicht, da ein laufender Tarifvertrag nicht gekündigt sei. Dabei geht es Ver.di und GEW nicht um einen laufenden Tarifvertrag, sondern einen neuen Tarifvertrag, der vor allem die Arbeitsbedingungen einklagbar festschreiben soll.
Das aber lehnt der Senat mit der Begründung ab, dass solch ein Tarifabschluss dazu führen könne, dass Berlin aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgeschlossen werde. Der Argumentation folgte das Gericht: Das im Grundgesetz garantierte Koalitionsrecht überwiege das im „Grundgesetz garantierte Streikrecht“. Von einem Richter im Arbeitsgericht sollte man erwarten, dass er sich im Grundgesetz auskennt. Dort wird man vergebens einen Artikel über ein „garantiertes Streikrecht“ suchen. Das in Deutschland geltende Streikrecht ist ausschließlich Richterrecht und leitet sich eben von dem vom Gericht zitierten „garantierten Koalitionsrecht“ ab. Wieso das „Koalitionsrecht“ des Senats über das „Koalitionsrecht“ der Streikenden gestellt wird, bleibt ein Rätsel des Arbeitsgerichtes.
Aber noch ein weiterer Gesichtspunkt aus dem Urteil des Arbeitsgerichtes ist bedeutsam. So betont das Gericht, dass „oberster Prüfmaßstab die Frage sei, ob der unbefristete Erzwingungsstreik für bessere Arbeitsbedingungen verhältnismäßig sei.“ [1] Damit beruft sich das Gericht auf das reaktionäre Gutachten des ehemaligen Nazi-Juristen Hans Carl Nipperdey zum Streikrecht. Nipperdey hat dies 1952 für die Adenauer-Regierung zur Umsetzung des Grundgesetzartikels zum Koalitionsrechtes angefertigt. Dieses Gutachten verbietet politische und Solidaritätsstreiks, erlaubt nur Gewerkschaften Streiks ausschließlich für Fragen des Tarifrechts nach Ausschöpfung aller Verhandlungsmöglichkeiten und wenn die Forderungen „verhältnismäßig“ sind. Wer entscheidet das?
All dies unterstreicht, dass der Kampf um ein allseitiges und vollständiges gesetzliches Streikrecht dringend auf die Tagesordnung gehört.