Kahlschlagpläne nicht vom Tisch

Kahlschlagpläne nicht vom Tisch

VW-Markenchef Thomas Schäfer: Jedes Werk wird auf den Prüfstand gestellt

Über das zwischen VW-Vorstand, IG-Metall-Führung und Gesamtbetriebsrat erzielte Verhandlungsergebnis gibt es trotz Wochenende und teilweise Produktionsstillstand eine entfaltete Auseinandersetzung unter den Kolleginnen und Kollegen. Ein ganzer Teil ist erleichtert, „weil man jetzt wenigstens weiß, woran man ist und die Hängepartie ein Ende hat“. Allerdings gemischt mit Skepsis, was die Vereinbarung in ihrer ganzen Dimension wirklich bringt.

Von gp
VW-Markenchef Thomas Schäfer: Jedes Werk wird auf den Prüfstand gestellt
(rf-foto)

Mit der Vereinbarung konnte der VW-Vorstand wesentliche Bestandteile seiner Ziele durchsetzen, ist allerdings vor der Ankündigung großer Werkschließungen, Übergang zu offenen Massenentlassungen und direkten Lohnkürzungen zurückgewichen. Entscheidend für das Zurückweichen vor einer offenen Kraftprobe mit den Belegschaften war die große Kampfbereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, die Solidarität der Standorte untereinander, die beginnende Verbrüderung mit anderen Belegschaften und die breite Solidarität in der Bevölkerung.

 

Ein Streik hätte VW Milliarden Euro Gewinneinbußen gebracht. Ausschlaggebend waren aber vor allem politische Gründe. Denn die entscheidenden Kräfte des in Deutschland ansässigen Finanzkapitals wollten unter allen Umständen mitten im Wahlkampf einen mehrwöchigen Streik eines Kerns des internationalen Industrieproletariats verhindern.

 

Gerade unter den Kolleginnen und Kollegen, die energisch den Einsatz der vollen gewerkschaftlichen Kampfkraft gefordert haben, ist allerdings die Enttäuschung groß. „Haben wir nicht mit zwei Warnstreiks mit jeweils 100 000 Beteiligten und zahlreichen selbständigen Initiativen gezeigt, dass wir unsere Forderungen mit einem Vollstreik durchsetzen wollen? Es gibt für uns keinen Grund, solch eine Vereinbarung noch vor Weihnachten abzuschließen, wo wir alle Trümpfe in der Hand haben.“ Auf große Kritik stößt auch die Tatsache, dass die Große Tarifkommission sofort dem Ergebnis zugestimmt hat, ohne vorher die Mitglieder zu befragen.

Keine Werksschließungen?

Stimmt so nicht. Denn die Produktion im Werk Dresden soll Ende 2025 eingestellt werden. Und in Osnabrück ist geplant, 2027 die Autoproduktion einzustellen. Wenn VW sagt, „derzeit werden Optionen für eine andere Verwendung des Standorts geprüft,“ ist das nur eine Beruhigungspille für die Belegschaft.

Sind deshalb die anderen Standorte gesichert?

Mitnichten. So soll die Produktionskapazität um 734 000 (!) Fahrzeuge pro Jahr gesenkt werden. Das ist mit 46 Prozent eine Reduzierung der Kapazität um fast die Hälfte! Das führt zu einer massiven Reduzierung der Kapazität und damit der Arbeitsplätze an den vier verbliebenen fahrzeugbauenden Standorten. Es wird unweigerlich zu massiven Verschlechterungen der Arbeits- und Lohnbedingungen kommen, die noch nicht bekannt sind oder erst vereinbart werden. So wurde z. B. auf der Belegschaftsversammlung in Hannover eine jährliche Senkung der Ausgaben um 100 Mio. Euro angekündigt. Gegenüber der Bildzeitung sagte VW-Markenchef Thomas Schäfer heute unverblümt, dass jedes Werk auf den Prüfstand gestellt werde. Neue Modelle und Investitionen bekämen nur Werke, die "ihre Ziele erreichen". Das bedeutet, dass die Standorte massiv gegeneinander ausgespielt und die Belegschaften erpresst werden sollen.

 

Zwickau hat eine Kapazität von 270 000 Fahrzeugen pro Jahr. 2023 wurden auf zwei Linien mit 10 000 Kolleginnen und Kollegen 247 000 Fahrzeuge produziert. Durch die Verlagerung eines Teils der Produktion nach Wolfsburg [1] halbiert sich die Produktion bis 2027 auf einer Produktionslinie. Damit sind 5000 Arbeitsplätze „überflüssig“. Man kann sich an fünf Fingern ausrechnen, wann der Vorstand mit dem Argument, „eine einschichtige Produktion ist nicht wettbewerbsfähig“ auch die restlichen Arbeitsplätze vernichtet. Als Ausgleich verspricht die Vereinbarung u.a. ein neues Batterie-Recyclingscenter, bzw. die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Das kann und wird niemals ein Ersatz für 10 000 Arbeitsplätze sein, außerdem sind Pläne das eine, was daraus wird, steht immer auf einem anderen Blatt.

 

Für Hannover sieht VW erstmal von der geplanten Verlagerung des ID Buzz nach Polen ab. Für Emden ist geplant, dass der ID7 bleibt und der ID4 einen Nachfolger erhält. Das ist ein Zugeständnis gegenüber der Planung, Allerdings sind hier keine Stückzahlen genannt! Dass ID4 und ID7 in Emden bleiben, bedeutet nicht, dass sie nur dort gefertigt werden! Die Veröffentlichung von Plänen zu einer möglichen Schließung von Emden in der Kollegenzeitung  „Vorwärtsgang“ könnte dazu beigetragen haben, den Standort Emden zunächst zu erhalten. Sie hat jedenfalls unter den Arbeitern für erhebliche Unruhe gesorgt. Warum wurden diese Informationen den Kollegen denn überhaupt vorenthalten?

Keine Massenentlassungen?

Die Vernichtung von 35.000 Arbeitsplätzen bedeutet ein Abbau von 30% der aktuellen Belegschaft von 120.000 Kolleginnen und Kollegen in Deutschland bei der Marke VW PKW und Nutzfahrzeuge. Das bedeutet auf jeden Fall Kahlschlag in ganzen Regionen. Außerdem ist davon auszugehen, dass mindestens 3000 bis 4000 Kolleginnen und Kollegen mit befristeten Verträgen entlassen werden. Sind das keine Massenentlassungen? Und was der angebliche Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen wert ist, damit haben die Beschäftigten bei VW ja genug Erfahrung.

Und die Jugend?

Die Vernichtung von 35 000 Arbeitsplätzen hat vor allem für die Arbeiterjugend verheerende Folgen. Denn diese Arbeitsplätze fehlen unwiderruflich. Konkret sollen die jährlichen Ausbildungsplätze im VW-Konzern von 1400 auf 650, d.h. um 54 Prozent gesenkt werden. Das wäre gerade mal eine Ausbildungsquote von künftig 0,7 Prozent.

Und wie sieht es mit den Löhnen und Gehältern aus?

VW konnte sich mit der Forderung nach einer zehnprozentigen Lohnkürzung nicht durchsetzen. Allerdings:

 

  • Bis 31.12. 2030 soll es für die Beschäftigen fünf Jahre lang keine Lohnerhöhung geben. Zwar steigt der Tariflohn um 5,3 Prozent, wird aber nicht ausgezahlt. Der vorenthaltene Lohn soll für „personalpolitische Instrumente“ genutzt werden. Sprich für Altersteilzeitregelungen, Transfergesellschaften usw. Mit anderen Worten, die Kolleginnen und Kollegen sollen auf Lohn verzichten und damit die eigene Arbeitsplatzvernichtung finanzieren!
  • Sehr gravierend wird der Wegfall von Schichtzuschlägen durch die verringerte Auslastung der Werke mit Wegfall von Nachtschicht. Das macht teils 20-30% vom Gehalt aus.
  • Auch das Urlaubsgeld in Höhe von 1 200 Euro soll in den nächsten zwei Jahren entfallen. Das gilt auch für die Bonuszahlung, die anschließend massiv reduziert wieder gezahlt werden soll.
  • Mehrere Zehntausend Kollegen, die vor 2004 eingestellt wurden, müssen eine Stunde im indirekten und zwei Stunden pro Woche im direkten Bereich bei gleichem Grundgehalt unentgeltlich länger arbeiten. Das macht bei Lohngruppe 8 immerhin monatlich 225 Euro aus, von denen von 2025 bis 2030 lediglich ein Drittel ausgeglichen wird.

 

Die meisten bürgerlichen Zeitungen loben den Abschluss vor allem, weil es damit gelungen sei, einen Streik zu verhindern. Vom Inhalt her wird aber von vielen das Ergebnis kritisiert. So schreibt die „Wirtschaftswoche“:  „Die Einigung ist da - doch das reicht nicht! Bei Volkswagen ist der härteste Tarifkonflikt seit Jahren zu Ende gegangen. Es wird nicht der letzte sein.“[2] Denn mit der Vereinbarung ist keine der im Kapitalismus zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit gelöst, -

Und die die Chefin der „Wirtschaftsweisen“, Monika Schnitzer kommentiert: „Der Umbruch muss kommen und er kommt viel zu spät. ... VW hätte schon früher betriebsbedingte Kündigungen zulassen müssen.“ [3] Das dokumentiert, dass das aktuelle Zurückweichen des VW-Vorstandes vor dem Austragen der offenen Kraftprobe nichts an dem Taktikwechsel der Monopole mit offenen Angriffen auf die Arbeiterklasse und die Masse der Bevölkerung ändert. Es dokumentiert aber auch ihre Schwäche und Defensive und die Kräfte der Arbeiterinnen und Arbeiter, wenn sie entschlossen kämpfen.

Was folgt

  • Der Kampf gegen die Vernichtung von 35 000 Arbeitsplätzen und der massiven Senkung der Ausbildungsplätze ist nicht vom Tisch und muss jetzt vor allem selbständig geführt werden.
  • Dazu gilt es, die gemachten Kampferfahrungen gründlich auszuwerten und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen
  • Aus Enttäuschung jetzt aus der Gewerkschaft auszutreten ist falsch. Wichtig ist aus der „Ent“Täuschung über den Kniefall der IG-Metall- und Gesamtbetriebsratsführung gegenüber dem VW-Vorstand und der Missachtung der innergewerkschaftlichen Demokratie positive Schlussfolgerungen zu ziehen: selbst aktiv werden, jetzt erst Recht dafür einzutreten, dass die Gewerkschaft zu einer Kampforganisation wird und seinen Teil dazu beitragen an der Schaffung der Voraussetzungen für selbständige Streiks zum Kampf gegen die Arbeitsplatzvernichtung und für einen Lohnnachschlag.
  • Ist nicht gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen, mit und in der MLPD den Kampf für die Abschaffung des kapitalistischen Lohnsystems zu führen. Denn wenn im echten Sozialismus die Ausbeutung von Mensch und Natur abgeschafft ist, gehören auch die Arbeitsplatzvernichtung, die Kriegsgefahr, der Faschismus und mutwillige Umweltzerstörung der Vergangenheit an!