Türkei - Kurdistan
Zum Aufruf von Abdullah Öcalan
Aufgrund breiter internationaler Proteste war es in den letzten Wochen möglich, dass Vertreter der demokratischen und prokurdischen DEM-Partei (Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie) den seit über 26 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten früheren Generalsekretär der PKK (Arbeiterpartei Kurdistan), Abdullah Öcalan, besuchen konnten. Die MLPD forderte vom ersten Tag seiner Inhaftierung an seine sofortige und bedingungslose Freilassung.
Gestern stellten deren Vertreter, die ihn besucht hatten – die Imrali-Delegation - in einer aufsehenerregenden Pressekonferenz in Istanbul einen Aufruf von Abdullah Öcalan mit dem Titel "Für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“ vor. Er entwickelt darin seine Vorstellungen für eine „Demokratisierung“, fordert die Mitglieder und Anhänger der PKK in der Türkei auf: „Beruft euren Kongress ein und fasst einen Beschluss zur Integration in den Staat und die Gesellschaft, alle Gruppen müssen ihre Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen.“
Dies soll jedoch nicht bedingungslos erfolgen. Der DEM-Politiker und Abgeordnete Sırrı Süreyya Önder erklärte im Anschluss, dass Abdullah Öcalan der Erklärung ausdrücklich noch zugefügt hat: „Zweifellos erfordert die Niederlegung der Waffen und die Auflösung der PKK in der Praxis die Anerkennung einer demokratischen Politik und einen notwendigen rechtlichen Rahmen.“
Die MLPD hält es für richtig, dass die kurdische Bewegung Friedensverhandlungen nicht ausschließt. Sie ist seit je her solidarisch mit der antifaschistischen, revolutionären und Arbeiterbewegung in der Türkei und den Freiheitskampf des kurdischen Volkes.
Sie hatte schon in der Vergangenheit die Frage nach der Zweckmäßigkeit eines Guerillakampfes in einem neuimperialistischen Land ohne revolutionäre Situation aufgeworfen und im Buch von Stefan Engel "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Opportunismus“ darauf hingewiesen:
"Der bewaffnete Guerillakampf in Türkei-Kurdistan geriet mehr und mehr in eine Sackgasse – auch aufgrund einer weitgehenden Isolierung von den Arbeiter- und Massenkämpfen in der Türkei. ... Die türkische Regierung nutzte … sektiererische Fehler jedoch weidlich aus, um den berechtigten Befreiungskampf des kurdischen Volks zu kriminalisieren und zu isolieren. Die MLPD verteidigt diesen Kampf gegen jede Hetze, besteht jedoch darauf, dass er von den Massen getragen werden und der jeweiligen Etappe des Klassenkampfs angemessen sein muss." (Seite 150/151)
Bedeutsam ist gerade der gemeinsame Kampf des kurdischen Volkes mit dem türkischen, iranischen, irakischen oder syrischen Volk. Hier könnte ein demokratischer Waffenstillstand tatsächlich die Voraussetzungen verbessern. So könnte auch besser die Perspektive des Kampfs um nationale und soziale Befreiung des kurdischen Volkes in den weltweiten Kampf um die internationale sozialistische Revolution eingebracht werden.
Es gibt eine Reihe von Fragen und Punkte zu dem Aufruf, die man jetzt noch nicht beantworten kann. Die MLPD begrüßt jedenfalls Äußerungen aus der kurdischen Bewegung, dass eine Kapitulation nicht infrage kommt.
Murat Karayılan, Mitglied des Exekutivrats der PKK und Oberkommandierender der Volksverteidigungskräfte (HPG), hatte Anfang Februar erklärt: „Ich möchte auch sagen, dass für die Niederlegung der Waffen eine Entscheidung erforderlich ist. Der PKK-Kongress muss zusammentreten und einen solchen Beschluss fassen. … Wie könnten wir, solange es keinen Waffenstillstand gibt, das Ablegen von Waffen auf die Tagesordnung setzen!“
Der Aufruf von Öcalan bezieht sich ausdrücklich auf die Situation in der Türkei. Diese kann nicht mit der Situation in Rojava/Syrien und der dortigen Autonomieregion verglichen werden. Mazlum Abdi, Oberkommandierender der SDF (Syrisch demokratische Kräfte, deren Kern die kurdischen YPG/YPJ – Volks- und Frauenverteidigungseinheiten sind) berichtete von einem Brief Öcalans an sie. Darin teilte dieser mit, dass sich seine Erklärung nicht auf Rojava bezieht und von daher auch die Aufforderung, die Waffen niederzulegen, sie nicht betrifft. Ihre Kräfte stehen im erbitterten Kampf gegen islamistisch verbrämte faschistische Banden, die durch das Erdoganregime unterstützt werden.
Vonseiten des Erdogan-Regimes und der faschistischen MHP wird dagegen eine Kapitulation der PKK und eine imperialistische Befriedung des Landes beabsichtigt. Sie verstärkt aggressiv den Staatsterror mit Massenverhaftung, Angriffen auf Rojava und im Nordirak. Gleichzeitig ist das Erdogan-Regime in der Defensive und kann es nicht einfach so weiter arbeiten wie bisher. Arbeiterkämpfe haben zugenommen. Angesichts des Kampfs um die Neuordnung des Mittleren Ostens braucht das Erdogan-Regime auch Ruhe an der Heimatfront für seine aggressive Politik. Zudem spekuliert Erdogan auf kurdische Stimmen für eine erneute Wiederwahl entgegen der jetzigen Verfassung.
Die MLPD würde ernsthafte Friedensverhandlungen in Verbindung mit einem verstärkten Kampf des türkischen und kurdischen Volkes um Demokratie und Freiheit mit wichtigen Fortschritten begrüßen. Für einen demokratischen Friedensschluss wäre eine Abschaffung der faschistischen Diktatur, eine umfassende Erweiterung demokratischer Rechte und Freiheiten genauso notwendig wie die Anerkennung und der Schutz der Rechte des kurdischen Volkes. So würden sich die Bedingungen für den Kampf der Arbeiterklasse und der Volksmassen in der Türkei und in Nordkurdistan verbessern. Das setzt voraus, keinerlei Illusion in das faschistische Erdogan Regime zu haben.
Heuchlerisch ist das Verhalten der Bundesregierung. Noch-Außenministerin Baerbock, die sich allerhöchstens sehr handzahm gegenüber dem Staatsterror des faschistischen Erdogan-Regimes mit den vielen Opfern in den kurdischen Gebieten zeigte. Sie betont nun nach dem Aufruf Öcalans demagogisch, dass jetzt der "Zyklus des Terrors" gebrochen werden könne. Es waren und sind auch die deutschen Bundesregierungen, die die PKK als Terroristen bezeichnet und in Deutschland in den §129b-Verfahren verschiedene kurdische Aktivistinnen und Aktivsten vor Gericht gezerrt hatten. Dabei übt der deutsche Staat auch Staatsterror gegen die kurdischen Befreiungskämpfe aus, die immer wieder und in den letzten Wochen verstärkt kriminalisiert werden.