Spagat der Regierungsbildung
Koalitionsvertrag: Reaktionäre Grundlinien - Versprechen von Zugeständnissen und viel Propaganda
Gestern Nachmittag präsentierten Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU) sowie Saskia Esken und Lars Klingbeil (SPD) auf einer Pressekonferenz in Berlin sechs Wochen nach der Bundestagswahl ihren Koalitionsvertrag. Er füllt mit 4481 Zeilen stolze 140 Seiten.
Hier steht er im pdf-Format zum Downlaod zur Verfügung.
Der Koalitionsvertrag versucht den Spagat zu erfüllen, weiter auf das System der kleinbürgerlichen Denkweise als Regierungsmethode zu setzen und die Monopolforderungen nach einer Rechtswende zu erfüllen. Die Unionsparteien und die SPD hatten im Wahlkampf beide ihre verbliebene Massenbasis mobilisert, darauf muss die Regierungsbildung Rücksicht nehmen.
Alle sozialen Versprechungungen stehen unter "Finanzierungsvorbehalt", wodurch sie unverbindlich sind und leicht wieder zurückgenommen werden können.
Angriffe auf Arbeiterrechte und soziale Errungenschaften - und einzelne soziale Zugeständnisse
Das Bürgergeld soll "umgebaut" werden zu einer Grundsicherung für Arbeitssuchende mit verstärkten Sanktionen und Druck. Die durch und durch volksfeindliche Maßnahme eines "vollständigen Leistungsentzugs" gehört dazu. Eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit greift das erkämpfte Arbeiterrecht auf den Acht-Stunden-Tag an. Es soll nur eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geben. Ausdehnung der Wochen- und der Lebensarbeitszeit verschärfen die Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter, so durch die sogenannte "Aktivrente" nach dem Erreichen des Renteneintittsalters. Ein - von Ultrareaktionären schon heftig kritisiertes - Zugeständnis ist es, dass von einer weiteren Erhöhung des Renteneintrittsaltters vorerst nicht die Rede ist, dass man nach 45 Arbeitsjahren abschlagsfrei in Rente gehen kann und dass der Mindestlohn im nächsten Jahr auf 15 Euro steigen soll. Die Mütterrente soll – finanziert aus Steuermitteln – unabhängig vom Geburtsjahr der Kinder gezahlt werden. Der soziale Wohnungsbau soll ausgebaut werden (ohne konkrete Ausführung). Die Mietpreisbremse wird für vier Jahre verlängert. Das Deutschland-Ticket bleibt erhalten, allerdings bei steigenden Preisen. Diese Zugeständnisse entsprechen nicht den radikalen Tönen aus den Monopolparteien und sind dem Versuch geschuldet, die Arbeiterklasse und die breiten Massen momentan nicht zu provozieren.
Die Präambel spielt geschickt auf der Klaviatur von Deeskalation und Versprechungen. »Soziale Marktwirtschaft – Chancen und »Wohlstand für alle« - das sind andere Töne als Merz sie im Wahlkampf verwendete. Mit der Stärkung des »sozialen Zusammenhalts« wird die Klassenzusammenarbeitspolitik bemüht. Auch eine verbesserte Integrationspolitik, das Festhalten an Klimazielen und ein allgemeines Bekenntnis zum Recht auf Asyl wird zugesichert. Manches davon steht deutlich im Widerspruch zu den tatsächlichen Vorhaben.
Keinerlei Finanzierungsvorbehalt: Hochrüstung und Militarisierung
Für ihre gigantischen Hochrüstungspläne im Interesse der "Kriegstüchtigkeit" des deutschen Imperialismus hat sich die neue Regierung ja noch vom alten Bundestag einen Freifahrschein geben lassen, weswegen es da im Gegensatz zu sozialen Zugeständnissen keinerlei Fiananzierungsvorbehalt gibt. Umschrieben wird die Vorbereitung eines Dritten Weltkriegs mit »Verteidigung- und Abschreckungsfähigkeit«. Dazu soll die Funktion Deutschlands als zentrale Drehscheibe der NATO ausgebaut werden. Eine deutliche Steigerung der Rüstungsausgaben (ohne konkrete Zahlen) und der Investitionen in militärische Infrastruktur und erhöhte Einsatzbereitschaft der Streitkräfte sind geplant. Die Militarisierung der ganzen Gesellschaft wird vorangetrieben: stärkere Verankerung der Bundeswehr im öffentlichen Leben, Stärkung der Rolle der Jugendoffiziere, Wiedereinführung eines Wehrdienstes, der »zunächst auf Freiwilligkeit basiert«. Im Kanzleramt soll ein „Nationaler Sicherheitsrat“ angesiedelt werden. Ohne Wenn und Aber wird die Ukraine weiter unterstützt und ihr eine Nato-Beitrittsperspektive gewährt werden. Den Herrschenden in der Ukraine soll also gegeben werden - geflüchtete Menschen aus der Ukraine hingegen sollen kein Bürgergeld und auch keine Grundsicherung bekommen.
Ultrareaktionäre Flüchtlingspolitik
Geflüchtete Menschen sollen an den Staatsgrenzen zurückgewiesen werden können, auch wenn sie ein Asylgesuch stellen. Da können die Koalitionäre noch so sehr ein Lippenbekenntnis zum Asylrecht von sich geben: „Deutschland ist ein weltoffenes Land und wird es auch bleiben. Das Grundrecht auf Asyl bleibt unangetastet.“In Wahrheit sind die Pläne zum Zurückweisen von Flüchtlingen an den Staatsgrenzen die Abschaffung des Rechts auf Asyl. Dazu musste mit aller Kraft herbeigeredet werden, dass die Bevölkerung eine "Asylwende" wolle. Die Liste "sicherer Herkunftsländer" soll per Dekret ausgeweitet werden um Algerien, Tunesien, Indien und Marokko. Der Familiennachzug soll ausgesetzt, freiwillige Aufnahmeprogramme gestrichen, eine "Rückführungsoffensive" durchgeführt werden. Zwar soll der "Brain Drain" mit ausländischen Fachkräften weiter intensiviert werden. Aber die Möglichkeit zur Schnelleinbürgerung nach drei Jahren bei besonders guter Integration soll wieder entfallen. Ein durch und durch flüchtlingsfeindliches Programm!
Weitere Faschisierung des Staatsapparats
Seit 2017 gab es die Vorratsdatenspeicherung de facto nicht mehr, jetzt wird sie wieder eingeführt. Bundeskriminalamt und Inlandsgeheimdienst sollen gestärkt werden. Der "Volksverhetzungsparagraph", der selten gegen faschistische Volksverhetzung angewandt wird, soll noch deutlicher antikommunistisch ausgerichtet werden. Es hat ja schon angefangen, dass Leute aus Deutschland ausgewiesen werden, wenn sie sich für den palästinensischen Freiheitskampf einsetzen. Die Befugnisse der Bundespolizei werden ausgeweitet und anderes mehr.
Abbau von Umweltschutzmaßnahmen unter dem Stichwort "Technologieoffenheit"
Unter der Überschrift »Klima und Energie« wird das Festhalten an den - völlig unzureichenden - deutschen und europäischen Klimazielen betont, auch am Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis spätestens 2038. Tatsächlich werden aber in den verschiedensten Punkten bisherige Umweltschutzmaßnahmen abgebaut: Vereinfachung des Umweltgenehmigungsrechts in der Landwirtschaft, "Technologieoffenheit" bei Kraftwerken, Heizung, Kraftfahrzeugen usw., Ablehnung eines Verbots von chemischen Stoffgruppen, Vereinfachung der Zulassung von Anlagen mit Immissionen, kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten.
Solidaritätszuschlag bleibt bestehen, Körperschaftssteuer wird gesenkt
Die Konzerne erhalten drei Jahre eine Sonderabschreibungserlaubnis von 30 Prozent im Jahr. Von 2028 an soll die Körperschaftsteuer für Monopole in fünf Schritten von heute 15 auf zehn Prozent gesenkt werden. Der Solidaritätszuschlag, den nur noch Unternehmen und Spitzenverdiener zahlen, bleibt bestehen. Dafür werden die Steuern für Großverdiener und Vermögende nicht erhöht. Der Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie wird wieder von 19 auf sieben Prozent gesenkt und die von der Ampelkoalition gestrichene Diesel-Beihilfe für Landwirte wird reaktiviert. Unter dem Stichwort "Bürokratieabbau" ist in den Talkshows meist die Rede davon, dass die faxgeräte in Deutschland abgeschafft werden müssen - da hat sicher niemand etwas dagegen. Tatsächlich geht es um den Abbau von Klagemöglichkeiten gegen lukrative Großprojekte und unter anderem um die Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes. Es verpflichtet bisher Betriebe dazu, auch bei Zulieferern im In- und Ausland die Einhaltung etwa von Kinderrechten zu überwachen. Die Abschaffung ist eine reaktionäre Maßnahme zugunsten der Monopolprofite. Zudem sind massive staatliche Investitionen in Brücken, Schienenwege, Digitalnetze und andere Infrastrukturprojekte vorgesehen – finanziert aus dem 500 Milliarden Euro schweren Sondertopf, der ja jetzt auch im Grundgesetz steht.
Die kämpferische Opposition ist herausgefordert, der neuen Regierung den Kampf anzusagen und das von vornherein mit intensiver Aufklärung, Bewusstseinsbildung und entschlossenem Kampf gegen die AfD, gegen den modernen Faschismus zu verbinden.