Leserbrief einer Brasilianerin
Unser grün-gelbes Gaza
„Rio 40 graus, Stadt, Fegefeuer der Schönheit und des Chaos. Rio ist eine Stadt aus Städten, getarnt, mit vermischten, parallelen, verdeckten Regierungen, heimlich, Befehle verbergend." Lied von Fernanda Abreu, 1992.
Am vergangenen Dienstag drangen die Militärpolizei – eine Institution, die während der unternehmerisch-militärischen Diktatur geschaffen und gestärkt wurde, und die Zivilpolizei von Rio de Janeiro in die Komplexe von Penha und Alemão ein, Gebiete unter der Kontrolle der Drogenfraktion Comando Vermelho. Das Ergebnis war das tödlichste Massaker der jüngeren brasilianischen Geschichte. Bisher wurden über 80 Tote bestätigt, doch Anwohner berichten, dass die Zahl weit über 100 liegen könnte, da weiterhin Leichen gefunden werden.
Die brasilianische Militärpolizei ist eine der tödlichsten der Welt. Allein im Bundesstaat Rio de Janeiro tötete sie 2024 mehr als 700 Menschen; im Bundesstaat Bahia waren es über 1 500. Sie entstand, um die Machtverhältnisse der Bourgeoisie und der Oberschicht zu sichern, und bewahrt bis heute die gleiche repressive Mentalität. Ihre Spezialeinheiten sind strukturiert, um arme und schwarze Menschen zu eliminieren, im Namen eines vermeintlichen „Krieges gegen die Drogen".
Die brasilianische Politik – auf lokaler wie auf nationaler Ebene – ist tief mit dem Drogenhandel verflochten. In Wahljahren oder nach gebrochenen Absprachen zwischen Polizei und Banden steigt der Staat die Hügel hinauf und verwandelt die Favelas in Schlachtfelder.
Der Gouverneur Cláudio Castro, Mitglied der PL – der gleichen Partei wie Jair Bolsonaro –, erklärte die Operation für erfolgreich und behauptete, die einzigen Opfer seien vier getötete Polizisten gewesen. Ein Teil der Bevölkerung, oft fehlinformiert und durch Rassismus und Klassismus geprägt, glaubt dieser Erzählung und wiederholt, alle Toten seien „Verbrecher" gewesen. Doch selbst wenn das stimmte – die Verfassung garantiert jedem Menschen das Recht auf ein Gerichtsverfahren. Der Staat darf nicht zugleich Richter und Henker sein.
Die beschlagnahmten Waffen – Sturmgewehre russischer, israelischer und US-amerikanischer Herkunft – werden nicht in den Favelas hergestellt. Das Kokain kommt aus Kolumbien, aber die Profiteure leben nicht dort, sondern in Luxuspenthouses und politischen Büros. Währenddessen müssen die Bewohner selbst die Leichen bergen – gezeichnet von Folter, Kopfschüssen, Entstellungen. Eine Barbarei, gerechtfertigt durch eine „Sicherheits"-Rhetorik, die in Wahrheit ein Projekt sozialer Auslöschung ist.
Ein starkes Gefühl der Ungerechtigkeit entsteht aus diesem „Krieg gegen die Armen", der als „Krieg gegen die Drogen" verkleidet ist – ein System sozialer Kontrolle über marginalisierte Menschen, die vom kapitalistischen System als entbehrlich angesehen werden, um die Privilegien weniger zu sichern.