Achtungserfolg im Gegenwind
Der Bundestagswahlkampf ist nun vorüber, wie sind die Wahlergebnisse zu beurteilen?
Die große Koalition aus CDU, CSU und SPD hat eine schallende Ohrfeige
bekommen. Zirka 24,8 Prozent der Wählerstimmen hat sie gegenüber der
Bundestagswahl 2005 verloren. Das sind über 8 Millionen Wähler. Die SPD
ist mit 23 Prozent auf ihrem historischen Tiefpunkt angelangt. Auch die
CDU/CSU hat mit 33,8 Prozent ihr zweitschlechtestes Nachkriegsergebnis
eingefahren. Trotzdem wird es der CDU/CSU gelingen, gemeinsam mit der
FDP eine neue Regierung zu bilden. Die Große Koalition, die 2005 noch
mit 32,8 Millionen Stimmen gewählt wurde, erhielt bei der jetzigen Wahl
nur noch die Zustimmung von 24,6 Millionen Wählern. Die Parteien der
neuen Regierung – CDU, CSU und FDP – können zusammen nur noch auf knapp
21 Millionen Stimmen bauen. Damit hat diese neue Regierung die
fragwürdigste Legitimation, die je eine Bundesregierung besaß.
Diese Wunschregierung der herrschenden Monopole
wird nach einer gewissen Übergangsphase künftig einen verschärften Kurs
gegen die Massen einleiten, der zweifellos die Entwicklung des
Klassenkampfs nachhaltig beeinflussen wird und eine Zäsur in der
politischen Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland darstellt.
Das Ergebnis dieser Bundestagswahl bedeutet eine neue taktische Ausgangslage für die MLPD und die Kräfte der kämpferischen Opposition.
Wie hat sich bei der Bundestagswahl der Linkstrend entwickelt?
Der Linkstrend hat nicht nur angehalten, sondern sich unmittelbar vor der Bundestagswahl sogar wieder verstärkt.
Die Linkspartei konnte 3,2 Prozentpunkte mehr Wählerstimmen für sich
gewinnen und ist bei fast 12 Prozent gelandet. Zugleich hat sich der Prozess der Loslösung von den bürgerlichen Parteien, dem Parlamentarismus und seinen Institutionen deutlich ausgeweitet.
Die Wahlbeteiligung ist trotz verschiedenster
Wahlmobilisierungskampagnen um fast 7 Prozentpunkte gegenüber 2005
eingebrochen. Das heißt, dass 4 Millionen weniger Menschen gegenüber
dem letzten Mal wählen gegangen sind! Nicht etwa, weil die Leute
unpolitischer geworden wären oder am Wahltag etwa schlechtes Wetter
geherrscht hätte, sondern weil die Massen der bürgerlichen Politik
zunehmend kritisch gegenüberstehen. Kaum ein Wort wurde von diesen
Parteien über die großen Probleme der Weltwirtschafts- und Finanzkrise
verloren.
Es wurde so getan, als wäre alles okay. Aber die breiten Massen
spürten, dass hier etwas nicht stimmt. Mit unserer Losung „Aufpassen!
Nach den Wahlen kommt das Zahlen!“ haben wir die Wachsamkeit der Massen
geschärft, der bürgerlichen Heuchelei nicht zu glauben. Die Abstrafung der SPD für die Agenda 2010 ist zweifellos auch das Ergebnis der Überzeugungsarbeit der MLPD und der unermüdlichen Arbeit der bundesweiten Montagsdemonstrationsbewegung.
Bemerkenswert ist, wie eine wachsende Masse von Menschen der
bürgerlichen Meinungsmanipulation widerstanden hat. Seit dem so
genannten „Duell“ zwischen Merkel und Steinmeier wurde eine
gleichgeschaltete Propaganda in den Medien lanciert, die SPD sei wieder
im Aufwind. Auch ließen sich viele Arbeiter von der rechten
Gewerkschaftsführung nicht wieder auf die Wahl der SPD verdonnern, nur
um eine CDU/FDP-Regierung zu verhindern.
Die Suche nach einem Ausweg, einer gesellschaftlichen Alternative zu den herrschenden politischen Verhältnissen, hat sich zweifellos verstärkt.
Hat sich auch das Interesse an der MLPD verstärkt?
Noch kommt der Linkstrend in erster Linie der Linkspartei
zugute, die bei dieser Bundestagswahl und auch bei den gleichzeitig
stattfindenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Brandenburg neue Triumphe feiern konnte.
Die Attraktion der MLPD wird bei der Stimmenabgabe zu Wahlen
zweifellos noch von der linksreformistischen Politik der Linkspartei
überlagert. Mit etwa 39.000 Mindestwählern haben sich die Wahlergebnisse der MLPD etwa um ein Drittel gegenüber 2005 zu Gunsten der Linkspartei verschlechtert.
Bei der Erststimme konnten wir im Durchschnitt der Wahlkreise mit
Direktkandidaten 113,6 Prozent mehr Stimmen erzielen als bei der
Zweitstimme. Hier zeigt sich nicht zuletzt, dass die Wahlbehinderung -
wie die 5-Prozent-Hürde - kleinbürgerlich-reformistische Illusionen
direkt stärkt.
Der Hauptgrund dafür liegt in einer veränderten Ausgangslage gegenüber dem Jahr 2005.
Die offene politische Krise, verbunden mit einer ganzen Serie von
Massenkämpfen und Streiks, brachte die MLPD damals in die Schlagzeilen
und führte uns auch in bisher kaum von uns bearbeiteten Gegenden
Tausende von spontanen Proteststimmen zu. Das war diesmal nicht der
Fall!
Das Wahlverhalten heute zeigt nur bedingt, wie sich der Übergang
im Bewusstsein der Massen zu den Positionen der MLPD vollzieht. Die Stimme für die MLPD widerspiegelt nur einen relativ fortgeschrittenen Prozess.
Wir sind aber mit Zigtausenden in Kontakt, haben Tausende von
Sympathisanten und genießen Respekt weit in das Lager der Linkspartei,
der Grünen, der SPD und sogar der CDU hinein. Nur durch eine
systematische Kleinarbeit wird sich dieser Übergang im Bewusstsein der
Massen weiter entwickeln. Der Wahlkampf gab uns tiefergehenden
Aufschluss darüber, wie sich verschiedene Übergänge in der Entwicklung des Klassenbewusstseins gestalten:
da ist zunächst der Loslösungsprozess von den bürgerlichen Parteien,
dem bürgerlichen Parlamentarismus und seinen Institutionen. Ein
weiterer Übergang ist innerhalb dieses Prozesses die Orientierung und
Zuwendung zum Linkstrend; nicht alle orientieren sich nach links! Im
Linkstrend entfaltet sich dann der Kampf zwischen
(links-)reformistischer und revolutionärer Richtung. Je nachdem, wie
sich diese Auseinandersetzung entfaltet, entwickelt sich die Hinwendung
zur MLPD und führt zur bewussten Wahl der Alternative des echten
Sozialismus.
Ist das Stimmenergebnis der Direktkandidatur des Parteivorsitzenden in Gelsenkirchen nicht auch ein besonderer Erfolg der Parteiarbeit?
1,5 Prozent für die Erststimme in Gelsenkirchen sind immer noch nicht die ganze Wahrheit, aber sie sind ein Zeichen für die gewachsene Anziehungskraft der MLPD bei den Massen.
Das zeigt, dass sich hinter dem Sog von Wahlerfolgen der Linkspartei
auch viele Sympathien für die Politik und Zielsetzung der MLPD
verbergen. In Gelsenkirchen verfügen wir über relativ gute Kräfte im
Parteiaufbau und dort haben wir auch einen sehr intensiven
Straßenwahlkampf durchgeführt, der unter den gegebenen Bedingungen bei
den Wahlergebnissen relativ besser als anderswo zum Ausdruck kam.
Durch den Wegfall eines Direktkandidaten der Linkspartei treten
Entwicklungen im Klassenbewusstsein, in der Hinwendung zur MLPD in
Erscheinung, die an anderen Orten überlagert sind von den Ergebnissen
der Linkspartei. Doch die Entwicklung des Klassenbewusstseins, die darin zum Ausdruck kommt, beschränkt sich nicht auf Gelsenkirchen oder Herne!
Vor allem aber gelang es in Gelsenkirchen, über 400 Mitglieder für die
Wählerinitiative zu gewinnen, viele neue Interessenten, Sympathisanten
und Mitarbeiter an die MLPD zu binden und die organisatorische Basis
der MLPD erheblich zu stärken. Das ist auch bundesweit gut gelungen, wo
wir etwa 30 bis 40 Prozent mehr Mitglieder für die Wählerinitiativen
gewinnen konnten als noch vor vier Jahren. Das bestätigt unsere
Einschätzung vom August, dass sich die allgemeinen Bedingungen für
einen Wahlerfolg für die MLPD verschlechtert haben, zugleich eine
wachsende Minderheit verstärkt nach einer sozialistischen Alternative
sucht, was den Spielraum für die MLPD erweitert, sich vor allem
organisatorisch zu stärken und neue Kräfte zu gewinnen.
Wenn unsere Parteigruppen diese besondere Ausgangslage begriffen haben
– und das scheint mir in den letzten Wochen immer besser gelungen zu
sein –, dann konnte tatsächlich die Stärkung der MLPD voran schreiten.
Die wichtigste Rolle dabei spielte allerdings die Selbstveränderung der Partei selbst. Dies war der erste Wahlkampf nach der Reorganisierung der Partei in sieben Landesverbände.
Die neuen Landesverbände mussten sich die große Herausforderung von
Landeswahlkampagnen unter der Führung der neuen Landesleitungen
zuweilen hart erkämpfen. Aber die Organisation hat das Woche um Woche
besser gemeistert. Die einzelnen Landesverbände entwickelten ein eigenes Profil, die ganze Organisation wurde eng zusammengeschweißt.
Die Landesverbände in den „neuen Bundesländern“ wurden früher im
Wahlkampf zuweilen von der gesamten Partei unterstützt. Jetzt haben sie
einen hervorragenden Wahlkampf gänzlich aus eigenen Kräften gemeistert.
Die ganze Organisation ist sehr berechtigt stolz auf ihre geleistete Arbeit.
Wie kann die Partei stolz sein, wenn sie gut ein Drittel ihrer früheren Stimmen vor allem an die Linkspartei verloren hat?
Der Stolz bezieht sich vor allem auf die erfolgreiche Offensive,
einen regelrechten Durchbruch in der systematischen Kleinarbeit und die
unzähligen neuen Kontakte und Begegnungen mit den unterschiedlichsten
Menschen, Organisationen, Diskussionsthemen und Anliegen. Kein bürgerlicher Wahlvorgang dieser Welt kann Maßstab der Beurteilung dieser Arbeit sein!
In der Partei hatten wir es seit längerem mit einer Tendenz der
Anbetung der Spontaneität zu tun, die noch auf dem letzten Parteitag
kritisch diskutiert worden war. Mit dieser Anbetung der Spontaneität
ging auch die Kleinarbeit der Partei unter den Massen unter dem
Eindruck des Rückgangs der Volksbewegung und der Arbeiterbewegung
während der großen Krisenkoalition zurück. Auch die
Mitgliederentwicklung der MLPD stagnierte in den letzten vier Jahren.
In einzelnen Regionen ging sie sogar leicht zurück. Eine wesentliche materielle Grundlage für diese Entwicklung war die Krisendämpfungspolitik der Berliner Regierung in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise.
Mit der Offensive für den echten Sozialismus hat der Parteitag aber
die Aufgabe gestellt, das System der Kleinarbeit wieder allseitig zur
Entfaltung zu bringen und unabhängig vom Auf und Ab des Klassenkampfs
den Wahlkampf zu nutzen, die Partei zu stärken.
Über diese Aufgabenstellung gab es ein intensives Ringen, das
letztendlich im Lauf des Wahlkampfs für eine erfolgreiche Offensive für
den echten Sozialismus entschieden werden konnte. Der
zukunftsweisende Selbstveränderungsprozess der Partei und die immer
bessere Entfaltung des allseitigen Systems der Kleinarbeit war die
besondere Stärke, die wir im Lauf des Wahlkampfs immer besser
ausspielen konnten und die auch die Anziehungskraft der MLPD auf die
Massen erhöhte. Diese Tatsache ist mittelfristig von größter Bedeutung.
Viele „Rote Fahne“-Leser stecken nicht in dieser Arbeit und sind mit diesen Entwicklungen nicht so vertraut. Kannst du das etwas genauer erläutern?
Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass wir vor harten
Klassenauseinandersetzungen stehen. In unserer Wirtschaftsanalyse haben
wir festgestellt, dass die Weltwirtschafts- und Finanzkrise mit dem
Potenzial einer revolutionären Weltkrise schwanger geht. Auf diesem
Hintergrund gründeten die größten kapitalistischen Länder unter Führung
des US-Imperialismus die G20 und traten ein bisher einmaliges
internationales Krisenmanagement los, um die Situation unter allen
Umständen zu entschärfen, den Klassenkampf zu unterminieren und die
Klassenwidersprüche zu dämpfen. Das ist ihnen bisher zweifellos
gelungen. Aber noch ist die Weltwirtschafts- und Finanzkrise nicht bewältigt.
Die kleinen Aufwärtsbewegungen, der zeitweilige Anstieg der
Börsenkurse, die Belebung des Welthandels signalisieren durchaus nicht
das Ende der Krise. Noch ist der tiefe Weltproduktionseinbruch nicht
überwunden und es ist noch gar nicht ausgemacht, ob diese punktuelle
und zeitweilige Belebungstendenz nicht in erster Linie auf die
gigantischen staatlichen Krisenprogramme zurückzuführen ist. Es kann
also durchaus sein, wenn die Wirkung dieser Krisenprogramme nachlässt,
dass die Wirtschaft weiter einbricht und ein neues finanzpolitisches
Desaster auslöst. Bereits jetzt ist die Einheit der G20-Nationen
durchaus nicht mehr so eng wie in der akuten Phase des Ausbruchs der
Weltwirtschafts- und Finanzkrise Ende Oktober 2008. Inzwischen rücken wieder mehr die konkurrierenden Interessen in den Vordergrund,
und es wird schwierig werden, die gemeinsam vereinbarten
Schlussfolgerungen aus der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auch
tatsächlich umzusetzen. Letztlich wird es nicht gelingen,
Weltwirtschafts- und Finanzkrisen solcher Art nachhaltig zu überwinden
oder gar für die Zukunft auszuschalten.
Wir dürfen auch nicht übersehen, dass das internationale Krisenmanagement einen sehr hohen Preis gekostet hat.
Die Staatsverschuldung ist in mehr oder weniger allen imperialistischen
und kapitalistischen Ländern enorm in die Höhe geschnellt und die Krisenprogramme müssen nun auf dem Rücken der breiten Masse finanziert
werden. Die meisten der arbeitsmarktpolitischen Folgen der Krise stehen
in vielen Ländern wie auch in Deutschland im wesentlichen noch bevor
und werden zu einer Verschärfung der Klassenauseinandersetzungen
führen; insbesondere die Neuorganisation der internationalen
Automobilproduktion, der Chip-Produktion, der Kampf um die Märkte der
alternativen Energien wird die Ausbeutung in der Industrie enorm
verschärfen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass es der MLPD im
Wahlkampf gelungen ist, eine deutliche Stärkung der Reihen der MLPD und
ihrer Verbündeten zu erreichen. Von besonderer Bedeutung ist es, das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse in Deutschland ein Stück weit zu vereinheitlichen
durch eine sehr intensive und brüderliche Zusammenarbeit mit einer
Reihe von Migrantenorganisationen in Deutschland. Das revolutionäre
Potenzial der Arbeiterklasse in Deutschland kann nur zur Entfaltung
kommen, wenn sich die deutschen Arbeiter mit den Arbeitern mit
Migrationshintergrund zusammenschließen.
Wie ist es gelungen, die Jugendarbeit im Rahmen der Offensive für den echten Sozialismus voranzubringen?
Gerade in den letzten Wochen ist es zunehmend gelungen, einen größeren
Einfluss auf Jugendliche auszuüben. Wir konnten ein wichtiges Potential
für den REBELL und die Rotfüchse auftun. Allerdings mussten wir im
Zentralkomitee bisher feststellen, dass es in diesem Jahr zwar eine
Vielzahl jugendpolitischer Initiativen an der Basis gab, das Zentralkomitee es aber nicht verstanden hat, diese systematisch zusammenzuführen zu einer nachhaltigen Veränderung
der jugendpolitischen Praxis von Partei und Jugendverband. Dies ist
zweifellos die größte Schwäche unserer Offensive für den echten
Sozialismus und wird ein wichtiges Thema für unser nächstes ZK-Plenum
sein.
Die wichtigste Selbstveränderung der Jugendlichen im REBELL ist es, für seine Überzeugung gerade zu stehen:
stolz, ein Rebell zu sein; stolz, an der Befreiung der Menschheit von
Ausbeutung und Unterdrückung mitzuwirken; stolz, für die Perspektive
des echten Sozialismus zu kämpfen!
Reden wir noch kurz über die Entwicklung in der Automobilindustrie. Der „New Deal“ bei Opel wurde vor den Wahlen so dargestellt, als würde er die Arbeitsplätze der Opelaner retten und von den Arbeitern begrüßt. Was ist davon zu halten?
Opel steht zweifellos gegenwärtig im Blickpunkt der
Neuorganisation der internationalen Automobilindustrie. Das Problem
liegt aber tiefer und berührt mehr oder weniger alle Automobilmonopole.
Es gibt nach Angaben der EU-Kommission in der Weltautoindustrie
Produktionskapazitäten von 94 Millionen Autos pro Jahr. Den Weltabsatz
an Autos dagegen schätzt die EU für das Jahr 2009 auf 55 Millionen
Autos. Diesen Widerspruch wollen die weltweiten Automonopole so lösen,
dass sie weltweit dutzende Werke schließen und Hunderttausende Arbeitsplätze vernichten.
In diesem Zusammenhang bekommt der Automobilarbeiterratschlag, der seit längerem für den Oktober 2009 vorbereitet wird, eine besondere Bedeutung.
Dort haben sich bereits jetzt außer aus Deutschland Delegationen aus 19
wichtigen Autoländern angemeldet. Es gibt Überlegungen, die
Zusammenarbeit und Solidarität zwischen den Autoarbeitern
verschiedenster Länder zu verbessern, was zur Koordinierung und
gegenseitigen Unterstützung der Kämpfe auch dringend notwendig ist.
Welche Schlussfolgerungen muss die MLPD aus der veränderten taktischen Ausgangslage und der Regierungsumbildung ziehen?
Der Übergang zu einer schwarz/gelben Regierung ist auf jeden
Fall ein Signal der herrschenden Monopole für eine Verschärfung der
Klassenauseinandersetzungen und rücksichtslosere Angriffe auf
die Lebenslage der Arbeiter. Wir müssen davon ausgehen, dass der Zeit
der Zurückhaltung Stück für Stück eine Zeit der offenen Angriffe folgt.
Allerdings glaube ich nicht, dass das unmittelbar nach den Wahlen
erfolgt, denn nach wie vor verfolgen die Monopole die Politik eines
vorsichtigen Krisenmanagements, um die breiten Massen nicht zu
provozieren. Zugleich ist allerdings der vor allem über die
SPD-Regierungsbeteiligung organisierte gewerkschaftliche Pakt mit der
Regierung in Gefahr.
Eins der größten Probleme der kapitalistischen Gesellschaft ist zweifellos die tiefe Krise der Sozialdemokratie.
Diese muss versuchen, ihren Einfluss unter der Arbeiterklasse zurück zu
gewinnen. Das wird ihr nur möglich sein, wenn sie in Konfrontation mit
der schwarz/gelben Regierung geht. Es ist deshalb durchaus möglich,
dass der Spielraum zur Entfaltung von Massendemonstrationen und Streiks zunimmt.
Zugleich wird versucht werden, die Linkspartei stärker für die
Anbindung der Arbeiterklasse an das kapitalistische System in die
Pflicht zu nehmen. Es kann durchaus sein, dass verstärkt versucht wird,
die Linkspartei in Landesregierungen zu bringen, um ihre Opposition und
die teilweise noch vorhandenen radikalen Ansprüche zu unterminieren und
die Linkspartei als neuen sozialdemokratischen Ordnungsfaktor gegenüber
den Kämpfen der Massen und gegenüber dem Einfluss der
Marxisten-Leninisten zu etablieren. Das Gegenstück dazu ist die
erklärte Absicht von Oskar Lafontaine, das strategische Ziel der
Linkspartei in der Re-Sozialdemokratisierung der SPD zu sehen. Das
wiederum kann den Spielraum für die revolutionäre Arbeiterbewegung
links von der Linkspartei erhöhen, denn viele Erwartungen in die
Linkspartei werden dabei enttäuscht werden.
Sind mit einer Stärkung der Linkspartei und der Grünen und dem verbalen Bekenntnis aller Bundestagsparteien zum Umweltschutz nicht die Chancen für einen aktiven Umweltschutz gestiegen?
Man darf sich nicht zu sehr von den Wahlkampfparolen der Berliner Parteien täuschen lassen. Die verräterische Losung von der Vereinbarkeit von Wirtschaft und Umwelt bedeutet nichts anderes als Unterordnung des Umweltschutzes unter die Profitinteressen der Monopole. Die rigorose Verfolgung des Baus von 21 Kohlekraftwerken, die ernsthaften Absichten der CDU aber auch der FDP, Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern und sogar den Neubau zu planen, sind Anzeichen für einen gefährlichen Rückfall im Umweltschutz, der den aktiven Widerstand der Massen herausfordern wird. Die MLPD tut gut daran, ihre Initiativen in der Formierung eines aktiven Widerstands im Umweltschutz zu verstärken und mit allen relevanten Kräften dabei zusammenzuarbeiten.
Die MLPD hat jetzt über ein Jahr eine Offensive für den echten Sozialismus durchgeführt. Wird diese Offensive nun weiter gehen?
Nein. Die Offensive für den echten Sozialismus ist mit dem Ende des
Bundestagswahlkampfs erfolgreich beendet. Jetzt müssen wir, wie es in
der Militärstrategie und -taktik so schön heißt, „den Sieg sichern“
und die Erfolge festigen. Das bedeutet, dass wir uns in den nächsten
Monaten mit der nachhaltigen positiven Verarbeitung unseres
Wahlkampferfolgs befassen müssen; das bedeutet, die vielen neuen
Wählerinitiativen-Mitglieder für die Mitgliedschaft in Partei und Jugendverband zu gewinnen, neue Genossen für die wachsenden Aufgaben der Partei auszubilden und die Partei auch für die kommende Kleinarbeit auszurichten. Dazu gehört insbesondere auch die Intensivierung des Wechselverhältnisses zu den verschiedenen Selbstorganisationen der Massen
und auch ihre Stärkung durch neue Kräfte, die die MLPD im Wahlkampf
kennen gelernt hat. Insgesamt gilt die Devise, dass die
fortgeschrittensten Erfahrungen der Organisation in diesem Wahlkampf Standard in der tagtäglichen Kleinarbeit
werden müssen. Dazu gehört z.B. die gewonnene Fähigkeit, jede Aktivität
mit der Organisierung neuer Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu
verbinden. Dazu gehört ganz besonders auch die Kultur dieses Wahlkampfes
– seine Streitkultur, seine Polemik, seinen Geist der Solidarität und
der gelebten sozialistischen Visionen. Hinter den in der Offensive für
den echten Sozialismus erkämpften Stand der systematischen Kleinarbeit
dürfen wir nicht wieder zurückfallen.
Dem Studium und der ideologisch-politischen Ausbildung
muss wieder mehr Bedeutung beigemessen werden. Nicht zuletzt wachsen
die internationalen Verpflichtungen der MLPD gegenüber der weltweiten
revolutionären- und Arbeiterbewegung.
Wie ist der Prozess der internationalen Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen fortgeschritten?
Die erste Phase der meinungsbildenden Diskussion konnte auf sieben
Regionalkonferenzen gemeinsam mit ca. 70 Organisationen und Parteien
erst einmal abgeschlossen werden. Die teilnehmenden Organisationen sind
sich einig, dass die Zeit reif ist für einen organisierten Schritt der
künftigen verbesserten Zusammenarbeit auf revolutionärer Grundlage.
Mit welchem Inhalt, mit welchen Prinzipien und mit welchen
Organisationsstrukturen das abläuft, darüber gab es einen regen
Meinungsaustausch, der jetzt in konkreten Resolutionen, Anträgen und
Beschlussvorlagen nieder geschrieben werden muss als eine Grundlage für
den zweiten Schritt, der unmittelbaren Beschlussfassung über die
künftige Struktur der länderübergreifenden Koordination, der
revolutionären Tätigkeit in Parteiaufbau und Klassenkampf. Die MLPD hat
in diesem Prozess eine aktive und schöpferische Rolle spielen können
und viele ihrer Erfahrungen, die sie in den 25 Jahren auf
internationaler Ebene machte, dafür zur Verfügung stellen können. In
den nächsten Monaten kommt es darauf an, diesen Prozess zielgerichtet
weiter zu treiben und noch weitere relevante revolutionäre Parteien und
Organisationen in der Welt mit einzubeziehen. Eine wichtige Bedingung
für diesen Prozess sind zweifellos die Erfahrungen in der
Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die vielen Teilnehmern vor Augen
führten, wie schnell die kapitalistische Wirtschaft und ihr
gesellschaftliches Gefüge in die offene Krise stürzen kann und wie
wichtig in einer solchen Situation die internationale Zusammenarbeit
ist. Wir brauchen eine neue Qualität des proletarischen Internationalismus, der auch auf den Klassenkampf in den einzelnen Ländern zurückwirken wird.
Ich sehe die großen Erfolge in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Migrantenorganisationen
in Deutschland im Rahmen des Bundestagswahlkampfs 2009 in einem engen
Zusammenhang mit dem sehr positiven, schöpferischen und
vertrauensbildenden Prozess des Zusammenrückens revolutionärer Parteien
und Organisationen in der ganzen Welt und gehe davon aus, dass dieser
Prozess noch viele neue Kräfte freisetzen und einen wichtigen Beitrag
leisten wird, einen neuen Aufschwung für den Kampf für den echten
Sozialismus zu entfalten und die revolutionären Ideen der
Arbeiterklasse in einem neuen Umfang unter den Massen zu verankern und
die Parteien und Organisationen zu stärken.
Wir haben schon lange nicht mehr über die Aufgaben der revolutionären Theorie gesprochen.
Es ist dringend erforderlich, dass das Zentralkomitee nach den
intensiven Aufgaben im internationalen Bereich, aber auch zur Führung
der Offensive für den echten Sozialismus, die Arbeit am „Revolutionären Weg“ über die Vorbereitung der internationalen Revolution zielstrebig vorantreibt.
Da ist in den letzten Monaten einiges liegen geblieben. Insbesondere
der Prozess des Zusammenrückens in der praktischen Koordination der
Aufgaben im Parteiaufbau und Klassenkampf der internationalen
revolutionären Arbeiterbewegung macht es notwendig, dass wir uns
theoretisch mit den dabei aufkommenden Fragen gründlich beschäftigen
und weiterentwickeln. Auch wenn bei dieser koordinierenden Aufgabe die
Praxis im Vordergrund steht, so ist doch die Antwort auf die dabei
auftretenden theoretischen Fragen grundlegend, damit das auch
funktioniert und vor allem Perspektive bekommt. Die Vorbereitung der
internationalen Revolution unter der Bedingung der Neuorganisation der
internationalen Produktion und der eingeleiteten historischen
Umbruchphase ist etwas historisch Neues und braucht auch historisch neue theoretische Antworten, die nicht alle schon im Marxismus-Leninismus beantwortet sein können
und die nicht allein aus den Erfahrungen der Vergangenheit und der
bisherigen Praxis der Zusammenarbeit der internationalen Parteien und
Organisationen hergeleitet werden können. Die MLPD muss diesen
theoretischen Schlussfolgerungen größte Bedeutung beimessen. Die Partei
muss das Zentralkomitee bei dieser Aufgabe in jeder Hinsicht
unterstützen. Das bedeutet insbesondere auch, dass jede Leitungsebene
ihre Aufgaben in voller Verantwortung wahrnehmen muss. Auch dafür hat
dieser Wahlkampf eine gute Ausgangslage geschaffen.
Bei allen Genossinnen und Genossen, bei allen Wahlhelfern, bei
allen neuen Freunden und kritischen Begleitern möchte ich mich an
dieser Stelle ganz herzlich für ihren hohen Einsatz, ihr
Engagement, ihre schöpferischen – zuweilen auch kritischen Vorschläge
und Impulse bedanken. Ich freue mich sehr auf die künftige
Zusammenarbeit und darüber, dass wir eine ganze Reihe neuer Mitglieder
in MLPD und REBELL begrüßen dürfen. Zu diesem Schritt möchte ich jeden
Wahlhelfer ermutigen.
Vielen Dank für dieses Interview!