„Es schleckert ja überall …“

Interview mit Regine Liebich (Ver.di-Mitglied und Betriebsrätin bei Schlecker in Duisburg-Niederrhein)

Nachdem die noch rund 13.200 verbliebenen Schlecker-Beschäftigten seit März über Wochen zwischen Hoffen und Bangen hingehalten wurden, können jetzt alle zur ARGE gehen.

Ich bin wütend. Aber ich muss auch sagen, ich bin eigentlich nicht überrascht. Das ganze Dilemma war schon vor Jahren vorauszusehen. So um das Jahr 2000 hatte ich mal in einer Betriebsratssitzung gesagt: „Das System Schlecker ist wie ein Luftballon. Es wird aufgeblasen und aufgeblasen, bis es mal platzen muss.“ Anton Schlecker konnte sich ein ganzes Imperium aufbauen und wäre eigentlich allein haftbar. Er konnte sich immer auf Gesetze stützen, die ihm das erlauben …

… auf der Basis des im Grundgesetz verankerten „Recht auf Eigentum“ …

Ja, zwar steht auch im Grundgesetz, dass „Eigentum verpflichtet“. Aber das ist nur ein Trostpflaster für uns. Schlecker hatte mal 50.000 Beschäftigte. Bis März wurde bereits die Hälfte der Arbeitsplätze vernichtet. Die Schlecker-Kinder haben immerhin noch ein paar Millionen übrig. Ich dagegen muss mit 61 zum Arbeitsamt und laut Wirtschaftsminister Rösler um eine „Anschlussverwendung“ betteln. Das nach 15 Jahren bei Schlecker! Seit der Jugend habe ich durchgängig gearbeitet mit Ausnahme der Kindererziehungszeiten. Wie viele Schicksale Schlecker bereitet hat, zählt nicht. Mit 40 sieht die Aussicht, einen Vollzeitarbeitsplatz zu finden, trostlos aus. Und über 50 ist praktisch nichts mehr drin. Die wahren Schuldigen bleiben außen vor …
Jetzt hat die ARGE jobsuchenden Schlecker-Frauen sogar den Vorwurf gemacht, sie hätten zu viel verdient und seien deshalb schwer vermittelbar. In der Regel werden ihnen Stellen für 6 bis 7 Euro brutto die Stunde angeboten. Bestimmte Firmen im Bereich des Einzelhandels nutzen die Situation, um „Praktikumsstellen“ anzubieten. Da zahlen sie keinen Cent Lohn. Die Kolleginnen kriegen Arbeitslosengeld. Mit Praktikum im Sinne einer Weiterbildung hat das nichts zu tun. Sie werden einfach als Urlaubsvertretungen für sechs bis sieben Wochen eingesetzt. Danach kommen andere Kolleginnen usw. Die werden dann später auch wieder gegen neue ausgetauscht.

Habt ihr Kampfaktionen überlegt?

Die Beschäftigten in den tausenden Filialen zusammen zu kriegen war praktisch sehr schwierig. Es ist ihnen gelungen, die Kolleginnen scheibchenweise abzuservieren und auch noch zum Teil gegeneinander auszuspielen. So habe ich von manchen den Vorwurf gehört, wir Betriebsräte und gewerkschaftlich organisierten Frauen hätten uns gerettet und die Kolleginnen im Regen stehen lassen. Das gilt für viele von uns, die ich kenne, nicht. Schlecker hat den Kündigungsschutz so raffiniert ausgenützt, die vom Gesetz geschützten Kolleginnen in den restlichen Filialen einzusetzen und den Eindruck erweckt, Betriebsräte hätten sich auf Kosten der anderen die Stellen zugeschoben.
Gestern waren wir in Düsseldorf und haben einen Protestmarsch mit rund 50 bis 60 Teilnehmerinnen durchgeführt. Wir sind auch zur CDU-Zentrale gezogen. Da hat niemand rausgeschaut. Die haben sich feige versteckt. Genauso wie der Anton Schlecker. Der hat sich auch nicht bei den Kolleginnen blicken lassen …

Welche Schlussfolgerung ziehst du jetzt persönlich?

Ich habe mich früher nie groß politisch betätigt. Heute sage ich, da kommt man gar nicht drum herum. Denn es „schleckert“ ja überall. Ich sehe die Zeit bei Schlecker als positiv an. Ich habe sehr viel gelernt, gelernt, auf die Straße zu gehen und Rückgrat zu zeigen. Und ich habe so viele tolle Frauen kennen gelernt, die auch den Mut gefasst haben, gemeinsam zu kämpfen. Es war für mich eine Lehre „fürs Leben“ und für die Zukunft. Ich kann allen Kolleginnen und Kollegen, denen es morgen ähnlich wie uns geht, nur raten: Es lohnt sich, aufzustehen, es lohnt sich, die Stirn zu bieten.

Vielen Dank für das Gespräch!