Friedensnobelpreis für ein scheiterndes Projekt

Am 12. Oktober entschied das Nobelkomitee in Oslo, den diesjährigen Friedensnobelpreis an die Europäische Union zu verleihen. Es begründete seine Entscheidung damit, dass die EU über sechs Jahrzehnte zur „Förderung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa“ beigetragen habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte das Nobelpreiskomitee umgehend zu seiner „wunderbaren Entscheidung“. Auf Kopfschütteln, schallendes Gelächter bis hin zu heller Empörung stößt sie dagegen bei vielen „EU-Bürgern“. Was die Massen in Griechenland wohl dazu sagen?

Mit Entscheidung des Nobelkomitees wird versucht, die EU mitten in ihrer tiefsten Krise wieder aufzuwerten. Und mit ihr das Herrschaftssystem der kleinbürgerlichen Denkweise, das maßgeblich von der EU ausging und ebenfalls mehr und mehr in die Krise gerät. Es prägte den „friedfertigen europäischen Weg“ der Klassenzusammenarbeitspolitik, der Verhandlungslösungen und
Diplomatie auf „Samtpfoten“. Dieser soll als ein beispielhafter Rettungsanker aus der zunehmenden Krisenhaftigkeit des Imperialismus erscheinen.
Tatsächlich wurde die frühere Ära von Kriegen und Weltkriegen zwischen den imperialistischen Staaten Europas seit über 60 Jahren durch einen Prozess ihrer ökonomischen Durchdringung und schrittweisen politischen Vereinigung abgelöst. Natürlich sind die Massen froh darüber, dass so lange kein offener Kriegszustand mehr herrschte. Deshalb ist die EU noch lange kein Hort des Friedens und der Demokratie. Unter kapitalistischen Bedingungen konnte daraus nur ein reaktionäres Staatenbündnis erwachsen. Es konkurriert mit anderen imperialistischen Mächten wie China, Russland, Japan und den USA und hat erst im März 2012 in einem Plan „Europa 2020“ formuliert, die USA bis 2020 als führende Weltmacht verdrängen zu wollen.
Neben wirtschaftlicher und politischer Einflussnahme setzen auch die EU-Staaten dazu verstärkt auf militärische Auf- und Umrüstung. Von 2001 bis 2011 stiegen ihre Rüstungsausgaben um 11 Prozent. Die führenden EU-Länder beteiligen sich an Kriegen und Kriegseinsätzen auf der ganzen Welt. In deren Zentrum steht die Sicherung geostrategischer Einflussgebiete, die „Befriedung“ von Konflikten im Interesse der internationalisierten Produktion und die Aufstandsbekämpfung wie in Afghanistan. Auch innerhalb Europas sorgte die EU in den letzten Jahrzehnten keineswegs für „andauernden Frieden“. Es war die deutsche Regierung, die die Abspaltung von Teilstaaten Ex-Jugoslawiens wie Slowenien und Kroatien maßgeblich gefördert hat, um ihren Einfluss in der Region auszubauen, und die sich schließlich am Bombardement Serbiens durch die NATO beteiligt hat. Und mit ihrer Flüchtlingspolitik tritt die EU die „Menschenrechte“ mit Füßen, statt sie zu fördern.
Hunderttausenden wird in Griechenland, Spanien und Portugal der Lohn oder die Rente gekürzt, dafür werden Milliarden den Banken und Konzernen zugeschoben. Gegen ihren wachsenden Widerstand wird der staatliche Gewaltapparat ausgebaut und eingesetzt. In Spanien wurden Bergarbeiter wie „Terroristen“ angeklagt. Auch in Deutschland bereitet sich die Bundeswehr – mit erneuter Billigung des Verfassungsgerichts – auf die Niederschlagung von „aufstandsähnlichen Situationen“ vor.
Diese Politik der verstärkten Aggression nach außen und Reaktion nach innen soll mit der Verleihung des Nobelpreises als „Erfolgsprojekt“ gerechtfertigt und verklärt werden. Doch das imperialistische Europa-Projekt ist mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise in eine tiefe Krise geraten, die bis zu seinem Auseinanderbrechen führen kann. In Verbindung mit ihren Kämpfen setzen sich die Massen in Europa verstärkt über Alternativen dazu auseinander und beginnen, die richtige Antwort zu geben.
Die Ursachen dieser Entwicklung werden genauso wie die Perspektive Europas als Teil vereinigter sozialistischer Staaten der Welt Thema des Europaseminars „Die EU und die Arbeiter- und Volksbewegung in Europa“ sein. Es wird von MLPD und ICOR-Europa am 1./2. November mit internationaler Beteiligung durchgeführt. Alle Interessierten sind herzlich dazu eingeladen.