Rote Fahne 24/2017

Rote Fahne 24/2017

Über die Perspektiven des Kampfes gegen Gewalt an Frauen

#MeToo – „ich auch“, so lautet der wütende Aufschrei Zehntausender Frauen über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt und Nötigung. 2016 wurden in Deutschland 7919 Fälle schwerer sexueller Gewalt und Nötigung bekannt. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Die Täter sind oft Männer in Entscheidungs- bzw. Machtpositionen, aber auch Ehemänner und Lebenspartner. Die Behauptung, Gewalt an Frauen gehe vor allem von Flüchtlingen aus, hält der Realität nicht stand. Gewalt gegen Frauen spiegelt die gesellschaftlich unterdrückte Lage der Frauen der Welt wider. Sie zeigt sich hinter der Glamourfassade Hollywoods, in europäischen Parlamenten ebenso wie im Alltag. Weltweit ist in der Frauenbewegung der Kampf gegen Gewalt und um Menschenrechte von Frauen zu einem Schwerpunkt geworden.

Von (nek)
Über die Perspektiven des Kampfes gegen Gewalt an Frauen
In vielen Protestbewegungen (hier Barcelona) sind viele junge Frauen vornedran (Foto: adolfo lujan / CC BY-NC-ND 2.0)

Rechtsruck der Regierungen – Angriff auf Frauenrechte

 

„Wir stehen an einem historischen Wendepunkt,“ ruft der amerikanische Vize-Präsident Mike Pence beim „Marsch des Lebens“ den Teilnehmern zu. Sie stehen hier für das frauenfeindliche Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und sind gegen Verhütungsmittel. Ähnliche „Lebensschützerdemonstrationen“ mit Unterstützung prominenter Politiker finden auch in vielen europäischen Ländern statt. Sie wollen eine reaktionäre, profaschistische, religiös verbrämte Massenbasis fördern. Für die reaktionäre polnische PiS-Regierung kommt weder das Recht auf Schwangerschaftsabbruch infrage noch Sexualkundeunterricht. Das unterstützten zum Teil auch Bischöfe der katholischen Kirche. Der faschistische türkische Präsident R. T. Erdogan ruft die in Europa lebenden Türken auf, nicht nur drei, sondern fünf Kinder zu gebären. In Deutschland ist mit der AfD eine profaschistische Kraft in den Bundestag gekommen, die den „Erhalt des eigenen Staatsvolks“ für „vorrangige Aufgabe der Politik und jeder Regierung“ hält. Diese Regierungen und Parteien sind offensichtlich nicht mehr bereit, den Frauen sinkende Geburtenraten zuzugestehen. Für ihre chauvinistische Politik und die Verteidigung nationaler Interessen brauchen sie ein wachsendes „eigenes Volk“. Im Portfolio sind aber nicht nur aggressive Attacken, sondern auch Zugeständnisse – wie bei der alten und bei der neuen bundesdeutschen Regierung, bei gleichzeitig aktiver Zusammenarbeit mit der polnischen, türkischen oder US-Regierung. So hat die CSU vor den Bundestagswahlen eine „familienpolitische Offensive“ angekündigt, abgestimmt mit Angela Merkel. So wurden finanzielle Hilfen für Babyausstattung , ein „Kindersplitting“ und weitere steuerliche Entlastung für Familien, schrittweise Abschaffung der Kita-Gebühren und anderes in Aussicht gestellt.

 

Doch wehe, wer nicht willig ist! In immer mehr Ländern stehen führende Repräsentantinnen der kämpferischen Frauenbewegungen unter besonderen Repressionen reaktionärer Kräfte. Die anerkannte kämpferische Vertreterin der Frauenbewegung und international bekannte Marxistin-Leninistin Monika Gärtner-Engel wurde mit Mord bedroht; Dana Lützkendorf (ver.di und Linkspartei) wurde in einem Shitstorm unter anderem Vergewaltigung angedroht. Sarah Rißmann, Bundestagskandidatin des Internationalistischen Bündnisses in Dortmund wurde ebenso von Faschisten bedroht wie Susanne Schaper von der Linkspartei in Chemnitz. Und es ist kein deutsches Phänomen. Beim Weltkoordinatorinnentreffen der Weltfrauenbewegung vor wenigen Wochen berichteten Frauen aus Afrika, wie ihre Aktivistinnen angegriffen werden. Der faschistische IS geht besonders brutal gegen Frauen vor. In Indien war die Weltfrauenaktivistin Sharmista Choudhury monatelang in Haft; die antifaschistische Journalistin Gauri Lankesh wurde mutmaßlich von Hindu-Faschisten ermordet. Die Solidarität gegen diese Attacken ist riesig.1

 

Widerstand der Frauen wird herausgefordert

 

Die Arbeiterbewegung ist die führende Kraft im fortschrittlichen Stimmungsumschwung. Gleichzeitig ist die Frauenbewegung inzwischen ein starker, oft vorwärtstreibender Teil des Kampfes gegen den Rechtsruck geworden. In Polen oder den USA spielt die Frauenbewegung eine wichtige Rolle als Bindeglied und Katalysator gegen den Rechtsruck. So schreiben Vertreterinnen der polnischen Frauenbewegung: „Wir haben gesehen, dass ein Regierungsplan, der mit dem Angriff auf Frauenrechte beginnt, mit Nationalismus und Dämonisierung von Immigranten weitermacht und dafür auch die Geschichtsbücher von Schulkindern umschreiben lässt. Wir waren Augenzeuginnen einer Präsidentschaft, die zuallererst damit anfing, die Zügel über Frauenleben in die Hand von Behörden zu legen, die auch nicht auf den Schutz von gefährdeten natürlichen Lebensräumen achtet und Umweltschutz wieder zurücknimmt.“ In Polen sagen heute viele: Ohne die Frauen und ihren Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch wären niemals so viele Bewegungen – auch gegen die „Justizreform“ – zusammengekommen.

 

Auch in den USA übernimmt die Frauenbewegung eine gewisse Vorreiterrolle und organisiert den Kampf um Frauen-, Menschen-, Arbeiter-, Migrantenrechte und Umweltschutz. Sie rief am 8. März 2017 zum ersten Frauenstreik in der US-Geschichte auf. Frauen aus 40 Ländern schlossen sich an. Die amerikanische Frauen­bewegung hat sich gestärkt durch ihre Verbindung mit Bewegungen wie der „Black Lives Matter“, die gegen Gewalt an Schwarzen eintritt, und der Umweltbewegung „Dakota Access Pipeline“.

 

Im Focus des Frauenstreiks standen Trumps Frauenfeindlichkeit, seine Angriffe auf die reproduktiven Rechte von Frauen und seine reaktionäre Einwanderungspolitik. In der Türkei hat sich – selbst unter der Bedingung des Faschismus – eine kämpferische Frauen­bewegung formiert. Sie verbindet den Kampf um Frauenrechte mit dem Kampf für Demokratie und für den Frieden. Die Frauenorganisation „Yeryüzü kadinlar“ (Frauen der Welt) demonstrierte am 8. März. Erdogan traute sich nicht, gegen sie vorzugehen. Häufig prägen junge Frauen den Widerstand. Der Jugendverband REBELL schreibt in seiner Erklärung zum Tag gegen Gewalt an Frauen, dem 25. November: „Sexuelle Gewalt … resultiert aus der Degradierung der Frauen und Mädchen zum reinen Lustobjekt auf besonders widerliche Weise. Diese Unterdrückung wirkt unterschwellig bis ins Verhalten von vielen jungen Frauen, vor allem so, ihr Selbstbewusstsein nur aus ihrem Aussehen zu ziehen“.2

 

Deutschland – keine Insel der Seeligen

 

Die große Koalition in Deutschland unter Angela Merkel setzte der Gewalt an Frauen nur wenig entgegen. Ursula Scheele vom Bundesverband Frauennotruf kritisiert, dass es kaum einen Bereich in der Justiz gebe, in dem so wenig Sachverstand herrsche wie in der Frage Sexismus und Gewalt an Frauen. Sie deckt auf, dass nach der Verschärfung des Sexualstrafrechts nicht die nötige Finanzierung gewährleistet wurde. Die Bundesregierung macht mit der Aussetzung des Familiennachzugs deutlich, dass Flüchtlingsfrauen nicht mit ihrer Fürsorge rechnen können. In der Frauenbewegung reifte mit den Bundestagswahlen die Erkenntnis, dass sie selbst aktiv werden muss für ihre Interessen, statt ihr Schicksal in andere Hände zu legen. So schreibt der Deutsche Frauenrat in einer Pressemitteilung am Tag nach der Bundestagswahl: „Wir setzen auf eine starke frauenpolitische Opposition außerhalb des Bundestags.“

 

Proletarische Frauenbewegung steht auf 

 

Zu dieser Opposition gehören die vielen Frauen, die mit ver.di den Kampf um menschenwürdige Pflege und ebensolche Arbeitsbedingungen führen. In der Ottweiler Marienhausklinik fand im Oktober erstmals ein Streik in einem konfessionellen Krankenhaus statt. Aus dem ganzen Bundesgebiet kamen Solidaritätserklärungen. Die Krankenschwester Anne Schmidt sagte gegenüber ver.di über den ersten Streik ihres Lebens: „Es fühlt sich sehr gut an.“ Gesellschaftliches Potenzial hat auch die Aktion der vier von VW gekündigten Hannoveraner Leiharbeiterinnen.3 Sie vertreten mit ihrem Kampf auch die Interessen von 300.000 Frauen in Leiharbeitsverhältnissen. IG-Metallerinnen sind bei den aktuellen Warnstreiks aktiv.

 

Entfaltete Auseinandersetzungen in der Frauenbewegung

 

In der Frauenbewegung belebt sich vor diesem Hintergrund der Kampf um die Denkweise. Aber es finden sich auch falsche Freundinnen. So spielte die Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen in der Sendung „Maischberger“ am 8. November 2017 die vielen Fälle sexueller Nötigung und Gewalt herab mit dem Hinweis, Frauen würden Männer auch zu Unrecht beschuldigen. Sie persönlich sei mit der Zeit immer besser fertiggeworden mit männlicher Anmache – man müsse halt die passende Antwort finden. Auch unter jungen Frauen gehört es oft zum Selbstverständnis, dass man selbstbewusst auf Sexismus und sexuelle Belästigung reagiert. Zweifellos ist das eigene Selbstbewusstsein ein wichtiger Aspekt, doch er schützt letztendlich nicht vor Gewalt.

 

Viele Frauen stellen sich vor, mit Frauenquoten, mit der Equal-Pay-Day-Bewegung oder mit paritätischer Besetzung von Ämtern die Situation verbessern zu können. Dies findet sich in der kleinbürgerlich geprägten, aber auch in der gewerkschaftlichen Frauenbewegung wieder. Der Anspruch, dass Frauen in der Gesellschaft gleichberechtigt sind, ist richtig. Viele dieser Bestrebungen werden mit der Hoffnung verknüpft, den Kapitalismus zu einer humaneren, frauengerechten Gesellschaft reformieren zu können. Das ist jedoch eine Illusion und geht am Kern des Problems vorbei. Ist es denn nicht gesellschaftlich verursacht, dass die weibliche Hälfte der Menschheit bis zu zwei Dritteln aller Arbeitsleistungen erbringt, sie jedoch nur mit zehn Prozent am Welteinkommen beteiligt sind und nur ein Prozent des Eigentums besitzen?

 

Viele Frauen und Männer sagen, den Frauen in Deutschland ginge es doch viel besser als in anderen Ländern. Die Frauen in Deutschland sind formal rechtlich durchaus gleichgestellt. Das war allerdings kein Geschenk der Regierungen. Tatsächlich hat die kämpferische Frauenbewegung in Verbindung mit der Arbeiterbewegung in den letzten hundert Jahren einen bedeutenden gesellschaftlichen Fortschritt erkämpft! Das Wahlrecht für Frauen ist Ergebnis der Novemberrevolution. Es war die Kommunistin Clara Zetkin, die für die Einführung des 8. März als Weltfrauenkampftag eintrat. Und seit 1911 gehen Frauen an diesem Tag an die Öffentlichkeit, streiten für ihre Rechte und stärken sich. In den 1970er-Jahren kämpfte die Frauen­bewegung für die Abschaffung des Paragrafen 218. Die proletarische Frauenbewegung kämpfte seit den 1970er-Jahren mit Streiks für höheren Lohn, für die Abschaffung der Leichtlohngruppen, gegen Lohndiskriminierung, für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. 2015 streikten die Beschäftigten in Sozialberufen, und mit dem Streik stieg das Bewusstsein, dass qualitativ hochwertige Betreuung in Kinderkrippen und Tagesstätten ein gesellschaftliches Recht ist. Die Bewegung „Nein heißt Nein“ erstritt 2016 die Verschärfung des Sexualstrafrechts.

 

Revolutionäre Veränderungen nötig und möglich

 

Dass die Gewalt gegen Frauen auch gesellschaftlich bedingt ist, sehen immer mehr Menschen. Aber ob man das verändern kann und welche Rolle der Sozialismus dabei spielt, darüber gehen die Meinungen noch weit auseinander. Eine wesentliche Bedingung für die Abschaffung von Gewalt an Frauen ist ihre finanzielle Unabhängigkeit, ihre rechtliche und tatsächliche gesellschaftliche Gleichstellung, das Verbot von Sexismus und Gewalt jeglicher Art sowie ein gesellschaftliches Umdenken über die Rolle der Frau. Das kann nur eine sozialistische Gesellschaft leisten, weil die Befreiung der Frau und die Abschaffung von Ausbeutung und Unterdrückung zwei Seiten einer Medaille sind. Die marxistisch-leninistische Freiheitsideologie misst den Fortschritt einer Gesellschaft daran, ob sie Frauen rechtlich und gesellschaftlich gleichstellt. Deshalb heißt es im Programm der MLPD: „Die Befreiung der Frau ist eine vorrangige gesellschaftliche Aufgabe des Sozialismus. Sie bedeutet, dass alle Fesseln der jahrtausendelangen Unterdrückung der Frau in den gesellschaftlichen Strukturen oder den patriarchalen Traditionen gesprengt werden und jegliche Unterdrückung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts überwunden wird. Die Familie wird schrittweise von ihrer Funktion als Wirtschaftseinheit befreit und die private Verantwortung für die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens geht immer mehr in gesellschaftliche Verantwortung über. Alle Potenziale der Frauen für den sozialistischen Aufbau kommen zum Tragen und werden im Arbeitsleben, in den persönlichen Beziehungen ebenso wie im politischen oder kulturellen Leben gefördert.“ 4

 

Frauenförderung prägt auch die MLPD. 43 Prozent der MLPD-Mitglieder sind Frauen. Sie stellen einen hohen Prozentsatz in vielen Leitungen und Kontrollorganen. In der MLPD lernen Frauen, für ihre Interessen und die Zukunft aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu kämpfen. Die Gruppen der MLPD organisieren ein kulturvolles Leben, in dem Politik und Privatleben zusammengehören. Und die Rotfüchse, die Kinderorganisation im Rebell, lernen, dass die Mamas nicht dafür da sind, der Familie hinterherzuräumen. Frauenstudiengruppen und Dialektikkurse sind Bestandteil der Frauenförderung. Und vor allem setzt sich die MLPD beständig für die Organisierung von Frauen ein, in der MLPD, im Rebell und in Selbstorganisationen, wie dem Frauenverband Courage.

 

In der polnischen Frauenbewegung gibt es eine Diskussion, ob ihre Kraft ausreichen wird, nochmals einen großen Kampf wie 2016 zu führen. Diese Frage ist berechtigt. Wenn man bedenkt, welche Macht die Regierungen haben und wie hochorganisiert sie sind, dann muss die Frauenbewegung selbst in hohem Maß organisiert sein und sich eng mit anderen Bewegungen verbinden. Das ist das Anliegen des Internationalistischen Bündnisses. Es steht vor der Herausforderung, auch die kämpferische Frauenbewegung zu gewinnen. Gleichzeitig muss sich auch die Frauenbewegung ihrer Verantwortung bewusster werden und sich dieser gesellschaftsverändernden Bewegung anschließen.    

 

 

1 Siehe Seite 24

2 Siehe Seite 22

3 siehe Seite 20

4 Programm der MLPD, Seite 61/62