Rote Fahne 08/2018

Rote Fahne 08/2018

Bergarbeiterstreik 1997: „Überall war Aufruhr in den Revieren“

In Presse und Fernsehen wird die von RAG und Regierung beschlossene Beendigung des Steinkohlenbergbaus 2018 ständig als angeblich unabwendbar wiederholt

Von (kw)
Bergarbeiterstreik 1997: „Überall war Aufruhr in den Revieren“
Wütende Bergleute 1997 an den Absperrgittern der Bannmeile im damaligen Bonner Regierungsviertel. Foto: Faksimile

„Wenn das einmal beschlossen ist, dann änderst du als Kumpel nichts mehr daran“, hört man auch von Bergleuten. Schon einmal hatte ein Kanzler namens Helmut Kohl erklärt, er werde sich auf keinen Fall dem „Druck der Straße beugen“. Etwas später musste er selbst seinen Hut nehmen, eingeleitet vom Bergarbeiterstreik 1997 mit dem verbreiteten Slogan „Der Dicke muss weg!“

 

Als die Kohl-Regierung 1997 provokativ ein Ende des Bergbaus verkündete, was die offene Entlassung von mindestens 60.000 Kumpel bedeutete, trat am 7. März ausgehend von der Zeche Hugo (Gelsenkirchen) die Frühschicht in den Streik. An dem selbständigen sechstägigen Streik beteiligten sich insgesamt 130.000 Kumpel. Die klassenkämpferische Kollegenzeitung Vortrieb wurde zur Streikzeitung: „Die Kumpel an der Ruhr und an der Saar haben die Faxen dick, Verhandlungen, Menschenketten, symbolische Aktionen, Mahnwachen konnten die Herren in der Regierung und in der Ruhrkohle-Zentrale nicht von ihren Stilllegungsplänen abbringen. Der Streik der Kumpel ist die richtige Lehre.“ (zitiert aus Vortrieb Nr. 1/1997)

 

Selbst die offizielle dreibändige RAG-Chronik „Unter uns“ (Verlag C. H. Beck) kommt an diesem Streik der Bergarbeiter vom März 1997 nicht vorbei. Anders als in vielen anderen Rückblicken wird die politische Brisanz und Wirksamkeit dieses selbständigen Streiks deutlich1:

 

  • Die Chronik lässt keinen Zweifel, dass gegen einen Massenstreik keine juristischen Mittel helfen, auch wenn die RAG ein Recht auf Erstattung des Produktionsausfalls hatte: „Allen Beteiligten war völlig klar, … daß zigtausende Bergleute schlecht per Arbeitsrichter in ihre Betriebe zurückgeschickt werden konnten.“

 

  • Die Situation war außer Kontrolle geraten: „Überall war Aufruhr in den Revieren.“ Autobahnen wurden blockiert, Kanäle, zwei Bahnhöfe und der Dortmunder Flughafen zeitweilig besetzt, ohne dass die Polizei dies verhinderte oder ein Gericht zur Strafverfolgung des Landfriedensbruchs griff. Auch dann nicht, als die Kumpel die Absperrgitter der Bannmeile im Bonner Regierungsviertel stürmten.

 

  • Am 11. März traten zehntausende Bergarbeiter von Ruhr und Saar den Marsch auf Bonn an. Die Chronik: „Unter dem Druck der Straße, so Kohl, verhandele er nicht. Nun drohte die aufgeheizte Lage endgültig zu eskalieren.“ Was tun? „Der Ältestenrat des Bundestags forderte den Bundesgrenzschutz zur Sicherung des Regierungsviertels an“. Zum Einsatz kam es nicht. Denn die Räumung des Regierungsviertels hätte zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen können, mit der Gefahr der Ausbreitung des Aufruhrs auf die gesamte Bundesrepublik. Davor schreckte die Kohl-Regierung zurück.

 

„Um den Streik abzuwürgen, setzten die Herrschenden Joschka Fischer mit damals noch linkem Image ein. Und der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine verkündete öffentlichkeitswirksam den „Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen“. Was blieb, war die erhebliche Rücknahme des Arbeitsplatzabbaus und ein Abbremsen der Zechenstilllegungen und die politische Demontage der Regierung Kohl, die bei den Bundestagswahlen 1998 abgewählt wurde.     

 

„Dass ich auf die Bergleute zuging, hatte weniger mit meiner Partei zu tun als mit meiner klassenkämpferischen Vergangenheit. ... Wenn er (Kanzler Kohl) damals etwas verstanden hatte, dann ... dass man ... gegen revoltierende Bergleute nichts erreicht.“ (Joschka Fischer) (Chronik, S. 79)

 

1 Alle Zitate sind der Chronik entnommen – wenn nicht anders gekennzeichnet.