Rote Fahne 08/2018
Wie Banken Milliarden Steuergelder ergaunert haben
Mit betrügerischen Aktiengeschäften – bekannt geworden unter den Schlagworten „Cum-Cum“ oder „Cum-Ex“ – haben Banken und Börsenhändler seit 2001 mehr als 32 Milliarden Euro an Steuergeldern ergaunert. Gedeckt wurden sie dabei jahrzehntelang von höchsten staatlichen Stellen
Redakteure von Die Zeit und Zeit online haben zusammen mit dem ARD-Magazin Panorama aufgedeckt: Etwa 40 deutsche Banken haben den Staat betrogen, darunter die Commerzbank, die Deutsche Bank, die HypoVereinsbank, die DZ Bank, die HSH Nordbank und die Landesbank Baden-Württemberg. Mindestens weitere 100 internationale Banken und Aktienfonds mischten mit.
Es ist ein Krimi der besonderen Art. Er kam nur ans Licht, weil eine „untergeordnete“ Sachbearbeiterin des Bonner Bundeszentralamtes für Steuern nicht lockerließ bei der Nachforschung, was sich hinter ungewöhnlich hohen Forderungen nach Steuerrückzahlungen verbarg. Sie holte 2011 den über 20 Jahre laufenden Betrug ans Tageslicht.
Wie funktionierten diese „Geschäfte“?
Im Besitz sogenannter Cum-Aktien ist das Recht auf eine kommende Dividende mit (lateinisch „cum“) eingeschlossen. Diese wird auf der Hauptversammlung einer Firma festgelegt. Der Tag dieses Beschlusses wird Cum-Tag genannt. Anspruch auf Dividende hat ein Aktionär nur, wenn ihm eine Aktie an diesem Tag gehört. Die Auszahlung der Dividende erfolgt in der Regel am Tag nach (lateinisch „ex“) dieser Hauptversammlung, dem sogenannten Ex-Tag.
Bei Cum-Cum-Geschäften wurden von ausländischen Anlegern gehaltene Aktien deutscher Firmen kurz vor dem Stichtag an inländische Anleger übertragen, etwa an Banken. An diese wurde die Dividende dann ausgeschüttet, auf die eine Kapitalertragsteuer fällig wurde. Deutsche Banken konnten sich diese aber erstatten lassen, weil sie schon Körperschaftsteuer zahlten. Ausländische Aktionäre konnten das nicht. Nach der Rückzahlung wurde das Aktienpaket samt Dividende von den Banken an die ausländischen Anleger zurückgegeben und die erstattete Steuer untereinander aufgeteilt. In den Jahren von 2001 bis 2016 sind dem Staat dadurch mindestens 24,6 Milliarden Euro entzogen worden. Das war ein als legal geltender „Steuertrick“. Erst 2016 wurde dieses Steuerschlupfloch geschlossen.
Die Steigerung des Betrugs heißt Cum-Ex. Diese Methode läuft darauf hinaus, dass eine Steuer einmal bezahlt und zweimal oder noch öfter vom Finanzamt zurückgefordert wird. Der dadurch entstehende Gewinn wird zwischen den einzelnen Teilnehmern des Geschäfts aufgeteilt. Das war möglich durch die Praxis des „Leerverkaufs“. Dabei verkauft jemand Aktien – ohne sie tatsächlich zu besitzen – vor dem Cum-Tag an einen Anleger, der damit juristisch ihr Eigentümer wird. Der „Leerverkäufer“ erwirbt sie tatsächlich aber erst nach dem Dividendentermin. Das konnte wie ein Kettengeschäft gleich mehrmals geschehen. Damit konnten sich zwei oder mehr Aktionäre als Besitzer der Aktie ausgeben – nämlich der ursprüngliche Inhaber und die Kunden der Leerverkäufer. Sie konnten somit alle eine Gutschrift für einmal gezahlte Steuern einstreichen. Der Finanzwissenschaftler Christoph Spengel von der Universität Mannheim schätzt, dass der Staat seit 2005 über 7,2 Milliarden Euro Steuern durch Cum-Ex zu Unrecht zurückzahlte. Da all diese Geschäfte aber nachweislich schon spätestens Anfang der 1990er-Jahre begannen, liegt die tatsächliche Betrugssumme noch erheblich höher.
Von höchsten staatlichen Stellen ermöglicht
Schon 1992 wurde der damalige hessische Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) von August Schäfer, einem Mitarbeiter des hessischen Wirtschaftsministeriums, über die Cum-Cum-Geschäfte informiert. Sechs Jahre später wird Eichel Finanzminister – und weiß von nichts. Die Chefs der Deutschen Bank wie Hilmar Kopper und Josef Ackermann „beraten“ ihn. Sie sind im Kanzleramt quasi zu Hause. Zwischen 2007 und 2010 werden die jeweiligen Finanzminister und die Finanzaufsicht in Deutschland ständig auf den Betrug hingewiesen – von Bundestagsabgeordneten, von Finanzbeamten, von Whistleblowern. Aber es geschieht nichts. Erst 2012, exakt 20 Jahre nach der ersten Warnung, werden die Cum-Ex-Geschäfte gesetzlich unmöglich gemacht. Aber es dauert noch einmal vier Jahre, bis auch die Cum-Cum-Geschäfte gesetzlich unterbunden werden.
Diese Praktiken werden vom allein herrschenden internationalen Finanzkapital weltweit betrieben. Elise Bean, ehemalige Leiterin eines Untersuchungsausschusses des US-Senats, hat sich schon 2008 mit solchen Methoden in den USA beschäftigt. Sie berichtete damals: „Das sind multinationale Konzerne, die in vielen Ländern gleichzeitig Geschäfte machen. Sie versuchen die gleichen Tricks in verschiedenen Ländern und schauen, wie sie damit durchkommen.“ So treiben sie die im staatsmonopolistischen Kapitalismus weitgehend legale Umverteilung der Staatshaushalte zu ihren Gunsten und zulasten der breiten Massen auf die Spitze.
Inwieweit nach einigen Cum-Ex-Betrügern jetzt die an den Cum-Cum-Steuerhinterziehungen beteiligten Banken und „Finanzberater“ zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt ungewiss. Denn die Banken könnten ja „ihre Stabilität dadurch gefährdet“ sehen. So die Argumentation der Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht). Außerdem hielten ihnen die Finanzminister und die Finanzaufsicht die Tür – sprich: die Gesetzeslücken – weit offen. Dadurch haben mindestens die vier Finanzminister in dieser Zeit, Theo Waigel (CSU), Hans Eichel (SPD), Peer Steinbrück (SPD), Wolfgang Schäuble (CDU) – diesen Betrug praktisch ermöglicht und gedeckt.