Rote Fahne 01/19

Rote Fahne 01/19

Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg – Leben für die Revolution

Lange Zeit in Schulen und Massenmedien verdrängt, erfährt die Novemberrevolution von 1918 aktuell neu erwachtes Interesse.

Von Anna Bartholomé
Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg – Leben für die Revolution
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg

Fernsehsendungen, Gedenkveranstaltungen, Sachbücher ohne Ende würdigen vor allem die sogenannten „Gemäßigten in der Revolution“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lobt die Novemberrevolution als „Geburtsstunde unserer Demokratie“. Die schändliche Rolle der damaligen SPD-Spitze bei der gewaltsamen Unterdrückung der Revolution wird dezent verschleiert. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sind und bleiben dagegen bis heute anerkannte und verehrte Repräsentanten der revolutionären Arbeiterbewegung – und das international! Aus gutem Grund:

 

Bereits kurz vor der Revolution 1918 hatte die SPD-Spitze die bürgerlichen Regierungsgeschäfte übernommen. „Gemäßigt“ war sie tatsächlich gegenüber der Militärführung, dem Beamtenapparat und den Monopolherren, die verantwortlich waren für den I. Weltkrieg mit 17 Millionen Toten. Den Staatsapparat ließen diese „Besonnenen“ auch nach dem Rücktritt des Kaisers im Wesentlichen unangetastet. Die Fortschritte der Novemberrevolution – als bürgerlich-demokratischer Revolution – mit dem Frauenwahlrecht, gewerkschaftlichen Rechten usw. wurden durch den Kampf der Massen erreicht!

 

Maßlos war dagegen ihr Hass auf die Revolutionäre des Spartakusbundes. Nicht einmal vor der Beteiligung an der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch eine reaktionäre Soldateska am 15. Januar 1919 scheuten sie zurück.

 

Der Geheimdienstmann, glühende Antikommunist und MLPD-Hasser Rudolf van Hüllen, kommentiert menschenverachtend höhnisch zu ihrem Tod: „Für beide realisierte sich das Risiko, das ein Revolutionär bei einer von ihm selbst angezettelten Revolution eingeht.“1 In den 1960er-Jahren strickte die Bundesregierung gar die Legende von einer standrechtlichen, quasi legalen Erschießung. Die Bundesregierung stützte sich dabei auf den Drehbuchautor Felix von Eckart. Der hatte auch schon für Hitler Propaganda betrieben. Aber selbst wenn das Standrecht gegolten hätte, wären sowohl Verteidiger als auch ein Urteil und seine Bestätigung nötig gewesen. „All das gab es nicht. Es war einfach Mord. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden einfach abgeknallt. Und der Sozialdemokrat Noske hat es abgesegnet“, so der Sozialwissenschaftler und Autor Klaus Gietinger im Dezember in der Frankfurter Rundschau.2

 

Zwei Richtungen – zwei Lager

 

Karl Liebknecht war der Sohn des SPD-Parteigründers Wilhelm Liebknecht. Schon lange vor dem Krieg hatte er sich als entschiedenster Kämpfer gegen Krieg und Militarismus große Popularität erworben. Karl Liebknecht prozessierte als Anwalt gegen Soldatenmisshandlungen und deckte die korrupten Machenschaften der Rüstungsindustrie und besonders des Krupp-Konzerns auf. Als einziger Abgeordneter der großen SPD-Fraktion im Reichstag verweigerte er 1914 die Kriegskredite für das imperialistische deutsche Kaiserreich. Dafür wurde er von seinen Parteigenossen als „Vaterlandsverräter“ beschimpft. Er vertrat: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ Als „Hochverräter“ verurteilt, wurde er ins Zuchthaus verschleppt, aus dem er erst kurz vor der Novemberrevolution freikam.

 

Rosa Luxemburg hatte sich schon früh mit den Vertretern opportunistischer Strömungen in der SPD angelegt. Vehement attackierte sie als junge, gerade in Deutschland eingebürgerte Genossin den berühmten „Cheftheoretiker“ der SPD, Eduard Bernstein. Sie wies ihm den reformistischen Verrat an sozialistischen Zielen nach und entlarvte die Revision des Marxismus in einer SPD, die sich damals noch als marxistisch verstand. Bernsteins berühmtester Satz gilt bis heute als Sinnbild des Reformismus und Verrats am Sozialismus: „Das Endziel, was immer es sei, ist mir nichts, die Bewegung alles.“ Damit war der Grundstein gelegt für die völlige Verbürgerlichung der SPD bis hin zur heutigen Monopolpartei und willfährigen Geschäftsführerin des deutschen Imperialismus. Heute ist die SPD in der „Großen Koalition“ voll an der Rechtsentwicklung der Regierung beteiligt.

 

Hoch engagiert beteiligte sich Rosa Luxemburg an internationalen Kongressen, damit die Resolutionen der II. Internationale verwirklicht würden: Kein Arbeiter des einen darf auf die Klassenbrüder eines anderen Landes schießen. So hatten es die sozialdemokratischen Parteiführungen feierlich versprochen. Mit Ausnahme der Bolschewiki in Russland verrieten aber die Führer der II. Internationale dieses Ziel. Als sozialchauvinistische Anhänger der „Vaterlandsverteidigung“ ihres jeweiligen Landes verordneten sie der Arbeiterklasse einen „Burgfrieden“ mit Streikverboten und Stillhalteabkommen. Rosa Luxemburg unterwarf sich zu keinem Zeitpunkt diesem Diktat und wurde dafür fast für die gesamte Kriegsdauer in „Schutzhaft“ genommen. Heute heißt das „Vorbeuge-Gewahrsam“ für „Gefährder“. Erst am 9. November 1918 wurde sie freigelassen und stürzte sich in die Führung der Revolution.

 

Vom Spartakusbund zur KPD

 

Zu Kriegsbeginn hatten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zusammen mit anderen Parteilinken wie Franz Mehring und Clara Zetkin, die „Gruppe Internationale“ gegründet – als revolutionäre Gruppierung innerhalb der SPD. Daraus entstand später der „Spartakusbund“ mit seinen „Spartakusbriefen“. 1917 spaltete sich die SPD zwischen Kriegsbefürwortern in der Mehrheits-SPD und Kriegsgegnern in der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD). Der Spartakusbund blieb in dieser ständig schwankenden USPD.

 

Von bürgerlichen Historikern wird die Spartakusgruppe kleingeredet oder verteufelt. Tatsächlich orientierten sich viele revolutionär eingestellte Arbeiterinnen und Arbeiter an den Spartakisten. Aber es existierte keine landesweite, einheitliche Organisation mit einer ausgearbeiteten Linie. Erst mitten in der Revolution gründeten die Spartakisten mit verschiedenen anderen Revolutionären zum Jahreswechsel 1918/1919 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

 

Das erleichterte es der SPD-Spitze, Verwirrung zu stiften. Unter dem Schlagwort „Einheit“ unterdrückten sie alle Bestrebungen zum Ausbau der Arbeiter- und Soldatenräte als Machtorgane. Eiligst beriefen sie eine Nationalversammlung als bürgerlich-parlamentarische Vertretung ein.

 

Die große Ausstrahlung der russischen Oktoberrevolution war – neben dem schreienden Kriegselend – ein Faktor für die sich im Sommer 1918 in Deutschland herausbildende revolutionäre Gärung. Unter Führung Lenins und der Bolschewiki hatte ein Jahr zuvor in Russland die proletarische Revolution gesiegt. Der Zar war schon zuvor verjagt worden. Nun wurde der Krieg beendet und mit dem Aufbau des Sozialismus unter schwierigsten Bedingungen begonnen. Die Machtorgane der dort verwirklichten Diktatur des Proletariats waren die Räte – Sowjets genannt. Diese Sowjets waren die Vorbilder der massenhaft entstehenden Arbeiter- und Soldatenräte im November 1918 in Deutschland.

 

Revolutionäre Führung entscheidend

 

Die späte Gründung der KPD war nicht nur Folge der Repression gegen die Spartakisten während der Kriegsjahre. Sie war zudem einem fehlerhaften Konzept des Parteiaufbaus geschuldet, das besonders Rosa Luxemburg auch formulierte. Sie war glühende Anhängerin der revolutionären Massenaktion, schätzte aber die Rolle der revolutionären Partei lange Zeit gering. So überhöhte sie den spontanen Massenkampf, der sich „unbekümmert um alle Vorschriften der Parteien“3 entwickeln würde.

 

Auch heute ist die Anbetung der Spontaneität noch ein Problem in der Arbeiterbewegung. Statt der spontanen Bewegung hinterherzutraben, kommt es darauf an, Bewusstheit und Organisiertheit zu fördern und zu entwickeln – umso mehr, je höher die Wogen der Kämpfe schlagen. Der Beeinflussung der Massen durch die Herrschenden kann nur eine starke, demokratisch-zentralistisch aufgebaute Organisation entgegentreten. Es geht nicht um „Vorschriften“, sondern um Führung! Die weitgehend führungslose Revolution erlitt eine blutige und verheerende Niederlage.

 

Revolutionäre Führung – das gilt erst recht heute, wo das System der kleinbürgerlichen Denkweise über die bürgerlichen Massenmedien, Religion, Schulen usw. universell verbreitet wird. Zu lernen, damit fertigzuwerden, braucht eine vorausschauende, starke, tief in den Massen und ihren Selbstorganisationen verwurzelte Partei. Und eine Revolution gegen den Imperialismus muss organisiert sein und sich gegen die Konterrevolution durchsetzen können: „Die Arbeiterklasse wünscht, dass sich die Revolution ohne Gewaltanwendung durchsetzen würde. Doch die Frage der Gewalt stellt sich unabhängig vom Willen des Proletariats. Wenn die Kämpfe einen revolutionären Aufschwung nehmen, werden die Monopole nach allen geschichtlichen Erfahrungen versuchen, ihre Macht mit brutaler Gewalt aufrechtzuerhalten. Deshalb muss sich die Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei gegebenenfalls zum bewaffneten Aufstand erheben.“4

 

Um einer revolutionären, von den Massen zutiefst ersehnten Entwicklung entgegenzutreten, hatte die oberste Militärführung mehrfach Putschversuche unternommen. Überwältigende Massendemonstra­tio­nen und die Befehlsverweigerung großer Teile der im Krieg zerschundenen Armee hatten sie immer wieder in die Defensive gedrängt.

 

Umso wütender war ihr Hass auf die als „bolschewistische Terroristen“ und „wahnwitzige Putschisten“ verunglimpften Revolutionäre. Rund um Berlin wurden „Freikorps“ mit den skrupellosesten und reaktionärsten Offizieren bewaffnet und ausgebildet. Das Großkapital, mit dem Stahlbaron Hugo Stinnes an der Spitze, finanzierte mit großen Geldsummen „antibolschewistische Ligen“. Sie hetzten zum Mord an Liebknecht und Luxemburg. Das alles duldete und beförderte die SPD-Spitze mit ihrem Ruf nach „Ruhe und Ordnung“.

 

Mörder und Mordopfer in einer Ahnengalerie?

 

Mit welchem Maß an Geschichtsunkenntnis rechnet die heutige SPD-Führung, wenn sie Friedrich Ebert und Rosa Luxemburg gleichrangig in ihre „Ahnengalerie“ einzuordnen versucht?

 

Die Linkspartei schmückt sich mit einer Rosa-Luxemburg-Stiftung und tut so, als sei sie die Erbin von Rosa Luxemburg. Dazu wird Luxemburg völlig verfälscht. So schrieb Sahra Wagenknecht zum 99. Todestag von Rosa Luxemburg, dass sie „gegen Kriege und soziale Ungerechtigkeit“5 gewesen sei – ohne ein Wort über sie als Revolutionärin zu verlieren! Das entspricht der Illusion der Linkspartei, ohne revolutionäre Überwindung des Kapitalismus „soziale Gerechtigkeit“ durchsetzen oder den Krieg abschaffen zu können. Dagegen wies Luxemburg klar darauf hin, dass es aus der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus „keine Hilfe, keinen Ausweg, keine Rettung als im Sozialismus“ gibt, dass eine „Weltrevolution“ notwendig ist.6

 

Lernen von Karl und Rosa

 

Heute hat die imperialistische Kriegsvorbereitung wieder eine allgemeine Tendenz angenommen. Nationalismus und Sozialchauvinismus stehen der Entfaltung einer neuen Friedensbewegung im Weg. Eine klare Haltung zum Imperialismus und neueren Entwicklungen darf nicht die Unterschiede zwischen großen und kleineren, mehr oder weniger offen aggressiven imperialistischen Mächten zum Ausgangspunkt machen. Das machen die DKP und Teile der Linkspartei mit der Losung „Frieden mit Russland“. Zweifellos ist der US-Imperialismus der Hauptkriegstreiber in der Welt – sich aber deshalb mit dem kleineren Imperialismus gemeinzumachen, verkennt deren imperialistischen Charakter. Wenn angeblich „friedensstiftende“ Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan oder Mali unterstützt werden, wenn der imperialistische Charakter der EU verkannt wird, dann muss man Karl Liebknecht vergessen oder bewusst über Bord werfen.

 

Heute gibt es in Europa und in Deutschland noch keine revolutionäre Situation. Aber die Lehren aus dem Leben von Karl und Rosa sind nicht historisch „abgehakt“. Das Potenzial einer revolutionären Weltkrise erweitert sich. In Deutschland rutschte die Regierung 2018 in mehrere offene politische Krisen. Streiks und Massendemonstrationen nehmen zu. Selbst zeitweilige Ablenkungsmanöver können den tiefgehenden Vertrauensverlust in die bürgerliche Politik und eine wachsende Kapitalismuskritik nicht aufhalten. In Frankreich stehen die sogenannten Gelbwesten Woche für Woche auf der Straße. Sie geben sich bisher mit Zugeständnissen nicht zufrieden, fordern den Rücktritt dieses schnell als „Präsident der Reichen“ entlarvten, noch vor einem Jahr als „Hoffnungsträger“ umjubelten Präsidenten Emmanuel Macron. Aber die Zielsetzung der Bewegung ist diffus – sie kann auch wieder abgewürgt werden.

 

Sozialismus – trotz alledem!

 

Eine wesentliche Lehre aus den Verdiensten – und Versäumnissen – von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ist es, den Parteiaufbau frühzeitig, gerade in einer noch nicht revolutionären Situation zu entwickeln. Gerade aufgewühlte Situationen und sich entfaltende Kämpfe und Bewegungen können und müssen für den beschleunigten Aufbau der Partei in Einheit mit der Förderung der überparteilichen Selbst­organisationen der Massen genutzt werden.

 

Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren und sind echte Vorbilder. In einer lebendigen revolutionären Organisation, wie der MLPD mit ihrem Jugendverband REBELL, kann jede und jeder Revolutionär seine besonderen Fähigkeiten in den Dienst der großen Sache stellen und sich dafür auch selbst verändern. Es gilt eine Zukunft zu gewinnen.

 

In der von ihr geleiteten Zeitung Rote Fahne schrieb Rosa Luxemburg am 14. Januar angesichts der blutigen Niederlage aufständischer Arbeiterinnen und Arbeiter: „Die Massen sind das Entscheidende, sie sind der Fels, auf dem der Endsieg der Revolution errichtet wird. … ‚Ordnung herrscht in Berlin!‘ Ihr stumpfen Schergen! Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon ‚rasselnd wieder in die Höh’ richten‘ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein!“7

 

An seinem Todestag erschien der letzte Artikel von Karl Liebknecht in der Roten Fahne: „Himmelhoch schlagen die Wogen der Ereignisse – wir sind es gewohnt, vom Gipfel in die Tiefe geschleudert zu werden. Aber unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel. Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!“8