Rote Fahne 04/2019

Rote Fahne 04/2019

„Das zionistische Projekt hat sich früher oder später erledigt“

Moshe Zuckermann ist emeritierter Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Als fundierter Kritiker der israelischen Regierungspolitik befürwortet er eine Konföderation zwischen Israel und einem unabhängigen Staat Palästina. Die Rote Fahne sprach mit ihm über instrumentalisierte „Antisemitismus“-Vorwürfe

Von Redaktion
„Das zionistische Projekt hat sich früher oder später erledigt“
1949 wird er als Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv geboren und wächst dort auf. Seine Eltern übersiedeln 1960 nach Deutschland (Frankfurt am Main), wo Zuckermann das Gymnasium absolviert. Mit 21 kehrt er nach Israel zurück. Foto: Arne List

Rote Fahne: In Ihrem Buch „Der allgegenwärtige Antisemit“ werfen Sie unter anderem dem Zentralrat der Juden, Heiko Maas, der Bild-Zeitung und Volker Beck den ­Gebrauch der „Antisemitismus“-Keule gegen jede Kritik an Israels Politik vor. Wer steckt hinter dieser Kampagne?

 

Moshe Zuckermann: Ich glaube nicht, dass es sich bei den von Ihnen erwähnten Namen um eine bewusst gesteuerte Kampagne handelt, sondern um Protagonisten einer Konstellation, die unabhängig voneinander, aber eben zusammenwirkend die Ideologie des Antisemitismus-Vorwurfs in Deutschland ausmachen. Es handelt sich eben um die Vertreter der offiziellen Israel-Politik Deutschlands – ob nun CDU oder Die Grünen – und die Springer-Presse. Kampagnen gehen gemeinhin eher von der israelischen Botschaft als ­Instanz der israelischen Hasbara1 aus.

 

Sie sagen, der „Antisemitismus“-Vorwurf werde zu „fremdbestimmten“ Zwecken instrumentalisiert. Welche Rolle spielen dabei der israelische Geheimdienst und das von Israel finanzierte Hasbara-Forum?

 

Ich glaube, dass diese eine zentrale Rolle spielen, wobei nicht gleich der gesamte Geheimdienst hierfür in Anspruch genommen werden muss. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass ein Funktionär des Geheimdienstes in Zusammenarbeit mit der Botschaft bei der Orchestrierung der Verleumdungskampagnen seinen ­effektiven Anteil hat. Beim Hasbara-Forum erhebt sich überhaupt keine Frage – das ist sein Job.

 

Was halten Sie davon, dass sich die ultra­reaktionäre, faschistoide AfD mittlerweile israelfreundlich gibt und Henryk M. Broder2 vor deren Bundestagsfraktion für „fairen Umgang“ mit der AfD wirbt?

 

Für mich ist das gleich eine zweifache ­Perversion. Die AfD macht sich zunutze, dass man in Deutschland kaum fähig ist, Judentum, Zionismus und Israel auseinanderzuhalten, und spielt ihre „Israelfreundlichkeit“ instrumentell aus, um an Popularität zu gewinnen. Denn „Israelsolidarität“ ist ja der Lakmustest der deutschen Politideologie. Broder ist der Beweis dafür, dass auch vieles im jüdischen „Gedenken“ dessen, was geschah, nur noch im Hinblick auf Israel und den Zionismus gewertet wird. Das, was historisch geschah, was Juden vom deutschen Faschismus angetan worden ist, wird ideologisch ausgeblendet. Broder ist aber in guter Gesellschaft – Netanjahu suhlt sich ja ständig in Gesellschaft von Faschisten in der Welt.

 

Wie schätzen Sie die jüngste Entwicklung ­in Israel unter der Regierung Netanjahu ein?

 

Israel faschisiert zunehmend, bewegt sich dabei in eine historische Sackgasse, die früher oder später auch das zionistische Projekt erledigt haben dürfte. Netanjahu selbst wird (nach den Wahlen) fallen, aber wer immer sein Nachfolger sein wird, er wird dem rechten Lager entstammen. Es gibt in Israel keine nennenswerte linke Opposition, die das Blatt zu wenden vermöchte.

 

Wie könnte ein friedliches Zusammenleben von Juden und Palästinensern eines Tages zustandekommen?

 

Es geht nicht um „friedliches Zusammenleben“, sondern um Frieden. Der hat zur Voraussetzung, dass die Palästinenser ihren souveränen Staat errichten können. Daran sind die Israelis aber nicht interessiert, und sie tun seit vielen Jahrzehnten alles, was in ihrer Macht steht, um diesen Staat zu verhindern.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Von der Regierung 2007 eingerichtetes Forum zur Koordinierung einer „positiven“ Propaganda für den israelischen Staat

Ultrareaktionärer, „antideutscher“ Publizist