Rote Fahne 05/2019
Wenn die Weber (wieder) aufstehn – eine Theaterbesprechung
Was auf der Bühne zu sehen ist: eine Gruppe von Webern – Männer, Frauen, Kinder –, die auf Bergen von Jeans stehen, ja, aufzustehen beginnen. (Foto) Später ein großes Glashaus, in dem oben der reiche Fabrikant mit Familie und Dienerschaft wohnt. Es schwankt gefährlich, darunter stehen die Weber, sie sind aufgestanden. Es sind solche Bilder, die aus dem berühmten Drama von Gerhart Hauptmann „Die Weber“ – aufgeführt von Schauspielern des Stuttgarter Staatstheaters unter der Regie von Georg Schmiedleitner – eine gelungene und eindrucksvolle Inszenierung machen
Bei dem Stück handelt es sich um nichts weniger als die künstlerische Darstellung der Geburtsstunde des proletarischen Klassenkampfes in Deutschland: Den schlesischen Weberaufstand von 1844 – nun genau 175 Jahre zurückliegend. Während der fünf Akte erklingt immer wieder das historisch verbürgte Lied vom „Blutgericht“, gesungen von einer großen Schar, ähnlich einem Chor. Vorgetragen werden viele Strophen der Anklage und des Zorns gegen die ausbeuterische „Brut“ mitsamt „Henkern und Schergen“. Im Jahr dieses Aufstands schrieb darüber der junge Karl Marx:
„Zunächst erinnere man sich an das Weberlied, an diese kühne Parole des Kampfes, worin Herd, Fabrik, Distrikt nicht einmal erwähnt werden, sondern das Proletariat sogleich seinen Gegensatz gegen die Gesellschaft des Privateigentums in schlagender, scharfer, rücksichtsloser, gewaltsamer Weise herausschreit. Der schlesische Aufstand beginnt grade damit, womit die französischen und englischen Arbeiteraufstände enden, mit dem Bewußtsein über das Wesen des Proletariats. Die Aktion selbst trägt diesen überlegenen Charakter.“1
Auch Friedrich Engels, der im gleichen Jahr zu Marx Verbindung aufnahm, verfasste einen Artikel über den Aufstand, dessen Titel „Rascher Fortschritt des Kommunismus in Deutschland“ lautete.2 Dabei waren die Kämpfe der Weber in der Hauptseite noch urwüchsig und spontan, aber sie dienten der zur selben Zeit entstehenden kommunistischen Bewegung und ihren Begründern vor allem dazu, „aus dem Aufstand der schlesischen Weber die … Idee von der revolutionären Befreierrolle des Proletariats (zu konkretisieren).“3
Als Gerhart Hauptmann diesen Aufstand 50 Jahre später auf die Bühne bringen wollte, wurde die erste Aufführung von 1892 durch den Berliner Polizeipräsidenten verboten. Die Begründung: „Aufreizung zum Klassenhaß“. Kaiser Wilhelm II. kündigte sogar seine Theaterloge wegen „demoralisierender Tendenzen“, als das Schauspiel 1894 dann doch noch im Deutschen Theater zur Vorstellung gelangte. Bis heute ist es das bekannteste Werk Gerhart Hauptmanns geblieben, der nicht zuletzt dafür 1912 auch den Nobelpreis für Literatur erhielt. Es gilt als Paradestück des deutschen Naturalismus.
Franz Mehring, der Ende des 19. Jahrhunderts zu den Revolutionären in der Führung der SPD gehörte, und der der Kunstrichtung des Naturalismus durchaus kritisch gegenüberstand, schrieb seinerzeit in einer Rezension: „Keine dichterische Leistung des deutschen Naturalismus kann sich nur entfernt mit den ‚Webern‘ messen … Die ‚Weber‘ quellen über von echtestem Leben, aber nur, weil sie mit dem angestrengten Fleiße eines feinen Kunstverstandes gearbeitet sind.“4
Besonders die starke Haltung der Frauen, die die Qualen der damals verbreiteten Kinderarbeit an ihren eigenen Jungen und Mädchen und deren Hungerschreien am meisten zu spüren bekamen, wie überhaupt die Folgen der brutalen Lohndrückerei weit unter das Existenzminimum, kommt in dem Stück immer wieder zum Vorschein. Als gegen Ende das Militär aufmarschiert, um die Aufständischen mit Gewalt zusammenzuschießen – und mancher Webersmann zögert –, ruft eine Webersfrau in die Stube hinein: „Gottlieb, sieh dir amal dei Weib an, die hat mehr Krien (Mumm – der Autor) wie du, die springt vor den Bajonettern rum, wie wenn se zur Musike tanzen tät.“5 Kurz darauf sammeln sich die Weber auf der Straße, lesen Steine auf, werfen sie auf die Soldaten und treiben sie aus dem Dorf. Zumindest fürs Erste. Später wird der Aufstand niedergeschlagen, was auf der Bühne nicht mehr zu sehen ist. Dennoch durchzieht das Stück eine auch durch helle Scheinwerfer, die die Dunkelheit durchbrechen, geschaffene lichtvolle Atmosphäre und Stimmung.
Die Schauspieler erhielten anhaltenden Beifall, bestimmt auch deshalb, weil die 90-minütige Aufführung keineswegs allein als historisch aufgefasst wurde. Gerade die modernen Jeans, die fast ständig und zu Tausenden auf der Bühne liegen – gedacht wohl auch als Element der Verfremdung des ursprünglich rein naturalistischen Stils der Textvorlage, symbolisieren die gegenwärtigen Realitäten und Zustände der international organisierten kapitalistischen Produktion. Sie werden von den Webern fortlaufend bearbeitet, geordnet und manchmal voll Wut in die Luft geschleudert. Mögen derart massenhaft gefertigte Klamotten heute auch nicht mehr aus Schlesien stammen – Bangladesch, Äthiopien und andere globale Textilzentren liegen nicht weit entfernt.
1 Marx/Engels, Werke, Bd. 1, S. 404
2 Marx/Engels, Werke, Bd. 2, S. 510
3 aus dem Vorwort Marx/Engels, Werke, Bd. 1 S. XXVIII
4 „Die neue Zeit“ vom 1. März 1893
5 Reclam, Die Weber, S. 115