Rote Fahne 07/2019
Mussa Dshalil, revolutionärer Dichter des tatarischen Volkes
Am 12. Februar 1944 wurde Mussa Dshalil (Musa Dshälil) vom 2. Senat des faschistischen Reichskriegsgerichts in Dresden zusammen mit zehn Kameraden wegen „Zersetzung der Wehrkraft, Feindbegünstigung und Kriegsverrats“ zum Tode verurteilt. Am 25. August 1944 wurde die Gruppe in Plötzensee ermordet
Mussa Dshalil genießt in seiner Heimat großes Ansehen und Verehrung. Hochzeitspaare besuchen das Denkmal für ihn und seine Kameraden in Kazan. Seine Gedichte sind in viele Sprachen der ehemaligen Sowjetunion übersetzt und auch in Schulbüchern abgedruckt worden. Als 2006 ein Staatsakt zu seinem hundertsten Geburtstag stattfand, waren die Ränge der Oper in Kazan gefüllt von Veteranen des Krieges. Man gedachte der Leiden und Siege im Großen Vaterländischen Krieg.1 In diesem Patriotismus kommt die Identifikation mit der damals sozialistischen Sowjetunion zum Ausdruck.
Mussa war Kommunist und hat sich zu Lebzeiten atheistisch engagiert. Trotzdem wurde das Denkmal für ihn und seine Kameraden in Kazan mit einem arabischen Schriftzug aus dem Koran ergänzt. Das unterstreicht, dass er auch in muslimischen Kreisen als große Persönlichkeit des tatarischen Volkes angesehen wird.
Mussa Dshalil veröffentliche bereits als Jugendlicher Gedichte. Er war Mitglied im Kommunistischen Jugendverband und seit 1929 Mitglied der Kommunistischen Partei. Nach dem Literaturstudium in Moskau arbeitete er als Dramaturg an der tatarischen Staatsoper in Kazan. 1940 wurde er Vorsitzender des tatarischen Schriftstellerverbandes. Als Nazideutschland die UdSSR im Juni 1941 überfiel, meldete er sich freiwillig und wurde zur Roten Armee einberufen. Er diente als Politoffizier und Frontkorrespondent der Zeitung Otvaga (Der Mut) an der Wolchow-Front bei Leningrad. Im Juni 1942 geriet er schwer verwundet in Gefangenschaft.
Die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden von Wehrmachtsangehörigen oft unfassbar brutal behandelt. Hunderttausende verhungerten und erfroren. Offiziere, politische Kommissare, Juden, viele Kaukasier, Angehörige mittelasiatischer und tatarischer Nationalitäten wurden ermordet.
Da der Krieg für die Wehrmacht langwierig und verlustreich verlief, versuchte die Führung mit Genehmigung Hitlers, Legionäre unter den tatarischen und kaukasischen Kriegsgefangenen zu gewinnen. Im August 1942 begann der Aufbau der Wolga-Ural-Legion, an dem nach Deutschland emigrierte Exiltataren aktiv beteiligt waren. 1942–1943 wurden insgesamt sieben Gefechtsbataillone und mehrere andere Bataillone aus den Gefangenenlagern in Polen aufgestellt. Etwa acht- bis zehntausend Legionäre.
Unter den Soldaten der Legion und Propagandaeinheiten befanden sich einige tatarische Intellektuelle und Offiziere – unter ihnen Mussa Dshalil. Es gelang ihnen, mit patriotischen Dichtungen, Liedern und Flugblättern tatarische Legionäre zu beeinflussen. Beim ersten Einsatz des 825. Bataillons, im Februar 1943, lief die komplette Einheit mit Waffen und Ausrüstung zu sowjetischen Partisanen in Belorussland über. Der Kommissar der Partisanenabteilung, Grigorjew, schrieb in seinem Bericht:
„Das Treffen war voller Freude, mehrere lachten glücklich, andere weinten, sich erinnernd an die schrecklichen Bedingungen und Qualen, die sie erlitten hatten, als sie in der Gefangenschaft waren, sie umarmten und küssten mich, riefen, dass sie wieder unter den Ihren waren, mit uns ist Genosse Stalin usw.“2
Die übrigen Einheiten der Legion wurden nach diesem Debakel in den besetzten Gebieten der Sowjetunion nicht mehr eingesetzt. Aber auch an den Fronten in Westeuropa liefen viele dieser Soldaten zu den Partisanen über. Kein Wolga-tatarisches Bataillon konnte im Interesse der Wehrmacht genutzt werden.
Im August 1943 wurde Mussa Dshalil mit seinen Kameraden festgenommen. Vor seiner Hinrichtung hat er einem belgischen Mithäftling, Andre Timmermans, seine Gedichte gegeben, die er im Gefängnis geschrieben hat. Dieser ließ die Hefte nach seiner Befreiung aus deutscher Gefangenschaft der sowjetischen Botschaft seines Landes zukommen. Sie wurden unter den Titeln „Aus dem Moabiter Heft“ 1957 und „Moabiter Hefte“ 1977 in der DDR veröffentlicht. In der BRD bestand bis heute kein Interesse, diese Gedichte aufzulegen. Nur ganz wenige Exemplare sind antiquarisch zu bekommen.
1 Mark Kirchner, Leben zwischen Wolga und Ural, hingerichtet in Berlin, in: Dirk van Laak, Literatur, die Geschichte schrieb, Vandenhoeck & Ruprecht,Göttingen, 2011, S. 246
2 Das Fiasko der Pläne des nationalsozialistischen Deutschlands, im Kampf gegen die Sowjetunion Tataren einzusetzen (Februar 1943) von Dr. Rustem Gaynetdinow, Republik Tatarstan. https://www.gedenkstaette-ploetzensee.de/pics/Tatarische_Legion.pdf