Rote Fahne 20/2019
Lehrermangel – sehenden Auges herbeigeführt
Ein, höchstens zwei Tage war es die TOP-Schlagzeile in Zeitungen und Fernsehsendungen: Die Bertelsmannstiftung errechnete, dass bis zum Jahr 2025 bundesweit mindestens 26 000 Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen fehlen werden
Die Kultusministerkonferenz war „nur“ von 15 300 Fehlstellen ausgegangen. Rechenkünstler am Werk? Dabei sind die Kinder, denen 2025 die Lehrerinnen und Lehrer fehlen werden, heute schon auf der Welt. Und es werden bei steigenden Geburtenzahlen immer mehr.
Alarmierender Lehrermangel erst 2025?
Was für die bürgerlichen Massenmedien schnell kein Thema mehr war, ist es tagtäglich für Zigtausende von Kindern, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer: Schon heute herrscht gerade im Grundschulbereich alarmierender Lehrermangel. Unterricht fällt aus, die Klassen werden über die Richtliniengrößen hinaus aufgefüllt. Lehrerinnen und Lehrer kommen an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – oder darüber hinaus. Allein in Gelsenkirchen konnten für das soeben begonnene Schuljahr nur 17 von 59 ausgeschriebenen und offiziell genehmigten Stellen besetzt werden. Wer jetzt überrascht tut – lügt. Studienplätze für Grundschulen und besonders für Sonderpädagogen werden seit Jahren bewusst knapp gehalten – an vielen Universitäten sogar mit dem Numerus Clausus blockiert. Ist nur, wer im Abitur einen Notenschnitt von 1,7 oder besser hat, geeignet, künftig Kinder zu unterrichten?
Lehrerausbildung für Unis nicht attraktiv?
Die Universitäten drängen keineswegs darauf, mehr Studienplätze anzubieten. Im Unterschied zu naturwissenschaftlichen oder technischen Studiengängen ist im Wettlauf um sogenannte „Fremdmittel“ von Großkonzernen, oder um sich als „Exzellenzuniversität“ zu profilieren, die Lehrerausbildung nicht attraktiv. Um ihre Anzahl schnell zu erweitern, muss der Staat die Universitäten verpflichten – auch dazu, den Numerus Clausus sofort abzuschaffen.
Woher kommt der Mangel an Lehrern?
Für den akuten Mangel gibt es noch mehr Gründe: Weil die Möglichkeiten zu Betreuung kleinerer Kinder immer noch völlig unzureichend sind, verzichten besonders Grundschullehrerinnen auf einen Ganztagsjob – sie zahlen dafür mit geringerer Eigenständigkeit und künftig niedrigeren Renten. Grundschullehrerinnen und -lehrer verdienen deutlich weniger als Realschul- oder Gymnasiallehrer – und müssen zugleich eine höhere Anzahl von Unterrichtsstunden stemmen. Dabei sind die Herausforderungen mit einer wachsenden Anzahl von Kindern mit besonderem Förderbedarf und von Kindern aus Zuwanderer- oder Flüchtlingsfamilien sprunghaft gestiegen. Die Schulbehörden tun das, was das ganze bürgerliche Schulsystem prägt: Konkurrenz und Wettbewerbe mit „Talentschulen“, Lockangebote mit besserer Bezahlung, Zwangsversetzungen in besonders schlecht ausgestattete Städte, Angebote an „Seiteneinsteiger“, selbst ohne pädagogische Ausbildung, usw.
Die Einführung einer (immer noch nur) vierjährigen Gemeinschaftsgrundschule vor 100 Jahren war eine Frucht der Novemberrevolution in Deutschland. Auch zu diesem „Festtag“ wird von den bürgerlichen Parteien nach Kräften gelogen und geheuchelt: Die CDU macht die „Bildung zum Herzstück ihrer Politik“; die SPD will „kein Kind zurücklassen“; die FDP setzt vor allem auf die „Digitalisierung der Schulen“ als Allheilmittel. Die AfD will die Lehrinhalte nach rechts rücken und „ausmisten“.
Im europäischen Vergleich liegen die Bildungsausgaben in Deutschland besonders niedrig. Wenn dorthin mehr Geld fließt, dann oft vor allem für die Ausstattung mit digitalen Medien. Mehr Lehrerstellen – das kostet Geld – und das muss erkämpft werden.