Rote Fahne 06/2020
Warum das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands verfassungswidrig war
Josef Foschepoth ist Historiker und Autor wichtiger Bücher zur Zeitgeschichte. Im September 2017 gab er das vielbeachtete Buch „Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg“ heraus. 2018 wurde er dafür mit einem Wissenschaftspreis „für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der juristischen Zeitgeschichte“ ausgezeichnet
Rote Fahne: Herr Foschepoth, Sie weisen in Ihrem Buch nach, dass das Verbot der KPD 1956 verfassungswidrig war.
Professor Foschepoth: Ja, das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD war verfassungswidrig. So lautet die zentrale These meines Buches. Das ist harter Tobak, wie ein Rezensent schrieb. In der Tat! Umso exakter und fundierter muss der wissenschaftliche Nachweis dieser These sein. Dies war nur möglich aufgrund einer gründlichen und systematischen Auswertung riesiger Aktenbestände in den Kellern des Bundeskanzleramtes, des Auswärtigen Amtes, des Bundesinnenministeriums, des Bundesjustizministeriums, des Bundesverfassungsgerichts und zahlreicher anderer staatlicher Stellen. Viele der von mir entdeckten Akten und Dokumente waren noch mit dem roten Aufdruck „Geheim“ oder „Streng Geheim“ versehen. Allein die vertrauliche Behandlung vieler Akten als Verschlusssache über eine Frist von 30 Jahren weit hinaus zeigt, dass die Akteure wussten, was sie taten. Umso schockierender ist das Ergebnis.
Was genau haben Sie bei Ihren Recherchen herausgefunden?
Im Wesentlichen geht es um drei große Fragenkomplexe: 1. Druck und Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht: Hat die Bundesregierung politischen Druck auf das Verfassungsgericht ausgeübt? 2. Verletzung verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Bestimmungen: Wie stand es um die Einhaltung der Gewaltenteilung, Grund-frage jeden Rechtsstaats? 3. Verletzung verfahrensrechtlicher Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung? Da alle drei Fragen mit ja beantworten werden, stellen sich zahlreiche weitere Fragen, insbesondere nach Art, Ausmaß und Folgen der Verletzungen von Recht und Gesetz in der Zeit des deutsch-deutschen Kalten Bürgerkriegs in der Bundesrepublik.
Der Prozess gegen die KPD dauerte fünfmal (55 Monate) so lange wie das zeitgleich eingeleitete Verfahren gegen die rechtsradikale SRP (11 Monate). Im Unterschied zur SRP wurde die KPD verboten, obwohl nachweislich von ihr keine ernsthafte Gefahr für die Bundesrepublik ausging. Deshalb waren alle vier Besatzungsmächte, die Innenminister der Länder, die Chefs der Verfassungsschutzämter, die Sozialdemokraten, die Gewerk-schaften und viele andere mehr gegen ein Verbot der KPD. Selbst die Richter des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts sträubten sich bis zuletzt, ein entsprechendes Urteil zu fällen.
Wie kam es dann dennoch zum Verbot?
Um das Unmögliche möglich zu machen, kamen die Verfassungsrichter auf die Idee, aus der Not eine Tugend zu machen. Und schrieben ausdrücklich das nicht Nachweisbare als entscheidenden Urteilsgrund in ihre Entscheidung hinein: Eine Partei könne „auch dann verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2GG sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können“. So wurde die KPD verboten, weil sie bestimmte politische Inhalte „planvoll“ propagiere. Der Nachweis konkreter „Tathandlungen“ spielte ausdrücklich keine Rolle. So bewegt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1956 mit ihrer präventiven Gefahrenabwehr ganz im Dunstkreis des politischen Gesinnungsstrafrechts der Fünfziger- und Sechzigerjahre.
Mehr als 60 Jahre sollten vergehen, ehe „materielle Tathandlungen“ als entscheidende Voraussetzung für ein Parteiverbotsverfahren gefordert wurden. So verkündete das Bundesverfassungsgericht am 17. Januar 2017 im Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD folgende Entscheidung: Die NPD sei zwar eine verfassungswidrige Partei, doch fehle es „an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht“, die es möglich erscheinen ließen, „dass dieses Handeln zum Erfolg führt“. Damit distanzierten sich die Karlsruher Richter ausdrücklich von der im KPD-Urteil getroffenen Feststellung, dass eine Partei schon aufgrund ihrer verfassungswidrigen Ziele verboten werden könne. Ein Parteiverbot sei eben „kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot“, sondern ein „Organisationsverbot“. Der Entscheidungsgrund für das Verbot der KPD von 1956 ist somit kein geltendes Recht mehr. Die NPD-Entscheidung vom 17. Januar 1917 hat das Kartenhaus des KPD-Verbots nun endgültig zum Einsturz gebracht.
Muss ein solches Urteil nicht aufgehoben werden?
Dies bedeutet allerdings nicht, dass das KPD-Urteil aufgrund der neuen historischen Erkenntnisse oder aufgrund der jüngsten Karlsruher Entscheidung ungültig wäre oder ohne Weiteres aufgehoben werden könnte. Es bedeutet nur, dass es eine Entscheidung wie die gegen die KPD von 1956 aufgrund der juristischen und historiographischen Revision des Jahres 2017 in Zukunft nicht noch einmal geben dürfte.
Herzlichen Dank für das Interview!