Rote Fahne 08/2020

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Beethoven – visionärer Revolutionär und bahnbrechender Komponist

Vor 250 Jahren, am 17. Dezember 1770, wurde Ludwig van Beethoven in Bonn geboren. Er ist der international bekannteste und beliebteste klassische Komponist.

Von Hamburg (Korrespondenz)
Beethoven – visionärer Revolutionär und bahnbrechender Komponist
Foto: wiki_CC0

Seine Musik inspiriert, Widersprüche auszutragen und nach einer Lösung zu suchen; auch dazu, die Verhältnisse infrage zu stellen und sich gegen die Herrschenden zu erheben. 20 000 Menschen kamen trotz politischer Reaktion am 29. März 1827 zu seiner Beerdigung in Wien.1

 

Das können Reaktionäre im Beethoven-Jahr so nicht stehen lassen. Der Journalist Joachim Mischke2 hebt ihn zuerst auf den hohen Sockel: „Ein Genie, das übermenschlich Schönes schuf“ – um ihn dann herunterzureißen: „Die Radikalität seiner Musik hat sich abgeschliffen …“

 

Sie ist bis heute lebendig durch die Verbindung von bahnbrechender Musik und revolutionärem Engagement. Diese Verbindung greift Mischke an: Die berühmte 9. Sinfonie sei „das Stück, das viele Diktatoren, ganz linke wie ganz rechte, gern zur Selbstbestätigung aufführen ließen, obwohl der Text von Schillers Ode nur demokratische Visionen formulierte.“ Schillers „Alle Menschen werden Brüder“ ist aber die Sehnsucht nach einer klassenlosen Gesellschaft. Wie die Revolutionäre heute, unterschied Beethoven selbst zwischen reaktionären Diktatoren, revolutionären Führern und solchen, die ihre Farbe wechselten. Mischke rührt das aber alles zusammen in der stinkenden Brühe links gleich rechts.

 

Begeisterung für den Freiheitskampf

Vom Freiheitskampf der französischen Revolution begeistert, verbrachte Beethoven seine Jugend in Kreisen von Freimaurern und Illuminaten3, die in der öffentlichen Bonner Lesegesellschaft weltanschauliche Vorgefechte für die bürgerliche Revolution in Deutschland austrugen. Er begeisterte sich für Napoleon, solange der im Namen der französischen Revolution die feudalen Unterdrückerstaaten in Europa ins Wanken brachte; er brach mit ihm, als Napoleon sich am 18. Mai 1804 zum „Kaiser der Franzosen“ krönen ließ. Er unterstützte den Kampf gegen das französische Joch mit der Sinfonie „Wellingtons Sieg“, die auf dem Wiener Kongress unter Metternich aufgeführt wurde. Metternich, der jede revolutionäre Regung brutal verfolgen ließ, war sein Gegner. Der Wiener Kulturbetrieb machte diese Rechtsentwicklung mit, und mancher Kämpfer für die Freiheit zog sich zurück. Beethoven dagegen schuf mit der 9. Sinfonie (1824) sein bekanntestes, revolutionäres Werk mit Schillers Freiheitslied „Freude, schöner Götterfunke“.4 Erstmals trat ein Massenchor auf in einer Sinfonie! Die dialektische Sonatenform Haydns und Mozarts5 bringt Beethoven auf eine neue Stufe: Die ersten drei Sätze gestaltet er musikalisch in der Denkweise und Gefühlslage der Feudalherrschaft: Im 1. Satz ihre majestätisch-martialische Ausprägung; im 2. Satz die Ausflucht in eine dionysische Lebensweise; darauf der Katzenjammer der melancholischen Stimmung im 3. Satz. Der Finalsatz wird mit dem (gesellschaftlichen) Chaos dissonanter Bläserakkorde und synkopierter Rythmen eröffnet. Die Themen des 1. bis 3. Satzes werden dann „im Anfangsteil des Finalsatzes noch einmal geprüft ... und schließlich als Lösung abgelehnt“.6 Darauf beginnt ein Sänger: „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere!“ Der Chor folgt mit „Freude, schöner Götterfunke“. Die Massen machen die Geschichte bis zur Abschaffung jeder Unterdrückung, auch wenn einzelne Führer sie verraten – das ist Beethovens visionäre Erkenntnis. Seine Konsequenz und musikalische Ermutigung half den Kämpfern, die die Revolution 1848 in  Deutschland vorbereiteten.

 

Frei von feudaler Abhängigkeit

 

Beethoven war in dritter Generation Mitglied der Bonner Hofkapelle, die ihre Arbeit als Handwerk verstand. Auch das Komponieren erlernte er wie ein Handwerk aus der Tradition von Bach, Haydn und Mozart. Seine glanzvolle Pianistenkarriere in Wien7 musste er wegen zunehmender Ertaubung beenden. Seinem damaligen Mäzen erklärte er: „Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich durch mich; Fürsten hat es und wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen.“8 Zunehmend konnte er sich durch den Verkauf seiner Musik von feudaler Abhängigkeit freimachen, eine zwiespältige neue Freiheit, wie er feststellte.

 

Haydn und Mozart, noch abhängig von ihren Fürsten, komponierten im Takt des höfischen Menuetts, Beethoven mit der Dramatik unterschiedlichster Rhythmen – populär durch das Tatata Taaa der 5. Sinfonie. Er wendete in der Musik dialektische Entwicklungsgesetze revolutionär und in höchster Komplexität an. Er gab nie auf – völlig taub arbeitete er, auf seine Skizzenbücher gestützt, nur noch mit seinem inneren Gehör. So konnte er „auch ganz neue, nie gehörte Klangkonstruktionen … entwickeln und exakt und vollständig aufschreiben“9 – eine noch heute moderne, aber auch populäre Musik.